Mehr Europa oder weniger Europa? Bei Anne Will standen vier EU-Anhänger einer großen Skeptikerin gegenüber. Und die beschimpfte gleich mal Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als "Loser".

Eine Kritik

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Was war das Thema bei "Anne Will"?

Europa steckt seit Jahren in der Krise. Die einen wollen die Vereinigten Staaten von Europa oder zumindest eine Vertiefung der bestehenden Strukturen, die anderen ein Europa mit starken Nationalstaaten.

Die Wahl zum EU-Parlament am 26. Mai ist eine Richtungsentscheidung über den künftigen Kurs der Union.

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Was ist das Thema?

Die populistischen Parteien könnten so stark wie noch nie ins EU-Parlament einziehen. Auch deswegen hat der französische Präsident Emmanuel Macron in einem offenen Brief an die Bürger aller Mitgliedsländer für seine Vision eines "Neubeginns für Europa" geworben. Er sieht die EU in einer schweren Krise.

Aber ist eine vertiefte EU mit noch mehr Institutionen und Kompetenzen tatsächlich die richtige Antwort darauf? Oder schlägt das Pendel – wie beim Brexit gesehen – doch wieder Richtung eigene Souveränität zurück?

Das Thema bei Anne Will: "Europa vor der Wahl - mehr EU oder mehr Nationalstaat?"

Wer sind die Gäste?

Christian Lindner: Der FDP-Chef sprach sich für eine starke EU aus und begrüßte die Vorschläge Emmanuel Macrons. "Ob man jede seiner Behörden oder Vorschläge teilen muss", sei aber dahingestellt, so Lindner. Ideen wie den europäischen Mindestlohn und die Vergemeinschaftung von Schulden lehnt er ab.

"Wenn die Freunde von Frau Storch in Italien munter Geld verprassen, dann darf das nicht auf dem Rücken der deutschen Steuerzahler passieren." Dafür gab es Applaus.

Beatrix von Storch: Für die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion ist Macron "ein Loser im eigenen Land, der sich als großer Europäer profilieren will." Die AfD sei die einzige Partei, die weniger EU wolle und nationale Interessen vertrete. Sie lobte Italien, wo es durch einen nationalen Alleingang 95 Prozent weniger Flüchtlinge gibt.

CSU-Mann Weber unterstellte sie, dass er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gar nicht aus der konservativen EVP-Fraktion ausschließen wolle. "Herr Weber will Kommissionspräsident werden, er braucht auch die Stimmen aus Ungarn."

Manfred Weber (CSU): Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei zur Europawahl ging auf diese Unterstellung erst gar nicht ein. Orban müsse "den Beweis antreten, dass er Teil der Partei bleiben will" und sich entschuldigen.

Ansonsten werde er ausgeschlossen. Zugleich bemängelte Weber die "Hochnäsigkeit gegenüber Osteuropa. "Auch wenn wir alle rausschmeißen, müssen wir trotzdem mit allen reden".

Yanis Varoufakis: Der ehemalige Finanzminister Griechenlands sagte, mehr oder weniger Europa sei ein falsch gestelltes Problem. "Wir brauchen ein besseres Europa und nicht mehr von dem scheiternden Europa".

Das bisherige Scheitern von Macrons Reformvorschlägen lastete er Deutschland an. "Macrons Agenda ist tot, weil das politische Establishment in Deutschland sie abgestochen hat." Deutschland habe Macron zu Tode umarmt.

Cathrin Kahlweit: Die Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in London bedauerte, dass die Debatte, ob die Lösung für die Probleme der EU die Stärkung der Nationalstaaten ist, in Großbritannien gar nicht geführt wird.

Schließlich fragte Kahlweit, warum es so lange gedauert hat, bis Orban aus der EVP rausfliegt. Orban habe "mit einem kalten Lächeln Demokratie abgebaut". Und das schon seit zehn Jahren.

Was war das Rededuell des Abends?

Weber kritisierte Lindner, weil der Liberale an einigen Forderungen des ebenfalls liberalen Macrons kein gutes Haar gelassen hatte. "Man kann nicht Macron toll finden und dann sein Programm zerlegen!", so Webers Logik. Das ließ Lindner nicht auf sich sitzen. "Es gibt Unterschiede zwischen uns und Herrn Macron. Aber die Unterschiede, die sind kleiner als die Unterschiede zwischen ihnen und ihrem Freund Orban in Ungarn. Und bevor Sie meiner Partei sagen, wir sollen auf eine Linie kommen, stellen sie erstmal in ihrer eigenen Parteienfamilie klar, dass sie sich klar vom Antisemitismus distanzieren, mit dem Herr Orban in Ungarn Wahlkampf macht." Das saß.

Dann setzte Lindner noch einen drauf. "Mein Ratschlag: Trennen Sie sich von Herrn Orban!

Was war der Moment des Abends?

Eurokrise, Brexit, Bürokratie-Monster Brüssel. Selten ist von Europa in einem positiven Kontext zu hören. Dem wollte Manfred Weber etwas entgegensetzen. "Wir leben im besten Europa, dass wir je hatten."

In Frieden und Wohlstand. "Wir sollten das auch mal wertschätzen", erklärte der EVP-Spitzenkandidat. So klingt der vielleicht nächste Kommissionspräsident der EU.

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Die Gastgeberin entlarvte Beatrice von Storchs Einstellung zur Migration. Als die AfD-Politikerin das italienische Vorgehen lobte, keine Boote vom Mittelmeer mehr ins Land zu lassen, fragte Will: "Auf Kosten der Flüchtlinge. Das finden Sie gut? Storch: "Das ist eine Rechtsfrage."

Will antwortete: "Nee, das ist im Zweifel auch ´ne Lebensfrage." Argumente, die für von Storch offenbar nicht zählen. Zudem punktete Will durch ihre Kritik am Umgang der CSU mit Viktor Orban, der vom Ex-Vorsitzenden Horst Seehofer jahrelang hofiert wurde.

Was ist das Ergebnis?

Mehr EU oder weniger EU – über diese Frage wird bei der Wahl zum Europa-Parlament im Mai abgestimmt. Bei Anne Will befürwortete nur Beatrice von Storch eine Rückkehr zum Nationalstaat.

Storch sieht den Dexit, den Austritts Deutschlands aus der EU, als Fernziel. Als Linder sie fragte, wie Deutschland mit seinen 83 Millionen Einwohnern alleine Handelsverträge mit dem Milliarden-Reich China abschließen solle, wurde die AfD-Frau jedoch kleinlaut.

Richtige Jubelstürme lösten Macrons Vorschläge, die ein Mehr an EU-Institutionen und Kompetenzen vorsehen, unter den übrigen Gästen aber auch nicht aus. Es war schon ein wenig ulkig, wie Manfred Weber lächelnd berichtete, dass das EU-Parlament "jetzt wieder über 50 Richtlinien verabschiedet" hätte.

Verbot von Plastik, Klimaschutzziele, Vernetzung von Verbrecherkarteien. Ja, Europa ist im Prinzip eine gute Sache und die Errungenschaften wie die Reisefreiheit will niemand missen. Aber so richtig sexy und mitreißend hört sich das eben nicht an, wenn darüber debattiert wird.

Und so tat es dem Sonntags-Talk irgendwie ganz gut, dass Macrons Vorschläge nicht bis ins kleinste Detail aufgedröselt wurden und die Debatte ein Stück weit oberflächlich blieb.

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