Seit drei Monaten lässt Wladimir Putin nun schon die Ukraine bombardieren. Fast genauso lange dauert die Kritik an Olaf Scholz und seiner Zögerlichkeit bei der Unterstützung mit schweren Waffen. Bei "Anne Will" bringt CDU-Mann Roderich Kiesewetter diese Kritik am Sonntagabend nun mit neuer Klarheit zum Ausdruck.
Egal, was sich
Doch sind diese Reaktionen die richtigen? Das fraghet sich zumindest die Redaktion von "
Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will
Roderich Kiesewetter (CDU): Der Bundestagsabgeordnete und Oberst a.D. meint, dass Deutschland nicht das leistet, was es leisten könnte. "Ich sehe die Kritik nicht bei der FDP und nicht bei den Grünen, sondern ausschließlich im Kanzleramt", erklärt Kiesewetter. Man dürfe nicht in einen Abnutzungskrieg geraten und müsse deshalb die Ukraine massiv unterstützen und der deutschen Bevölkerung sagen: "Wenn die Ukraine fällt, dann fällt auch Moldau, dann wird als Nächstes das Baltikum erpresst."
Michael Roth (SPD): Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses erklärt, man habe mit dem Bundestagsbeschluss vom 27. April über eine weitreichende Unterstützung der Ukraine, auch mit schweren Waffen, der Bundesregierung einen Arbeitsauftrag gegeben, der nun umgesetzt werden müsse. Dies sei aber nicht ganz leicht, behauptet Roth. "Ich würde da keinen Konflikt herbeireden wollen zwischen dem Bundestag einerseits und der Bundesregierung andererseits", sagt Roth und stellt fest: "Wir haben schon viel geleistet, aber es muss auch noch viel getan werden."
Marina Weisband (Die Grünen): Die deutsch-ukrainische Publizistin sagt: "Ich hätte gerne vom Bundeskanzler gehört, dass er das direkt heraussagt: Ich möchte, dass die Ukraine gewinnt." Weisband fordert erneut die Bezahlung russischer Energie via Treuhandkonto, sodass Russland erst Geld bekommt, wenn es sich aus der Ukraine zurückzieht. Ihre Grundeinstellung gegenüber Putins Drohungen: "Das beste Mittel gegen Angst ist nicht, einem Aggressor etwas zu geben. Das verstärkt meine Angst. Sondern es ist Resilienz, es ist Widerstandskraft."
Jan van Aken (Die Linke): Van Aken arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu internationalen Krisen- und Konfliktgebieten. Er fordert, dass man sich fragen muss, wie man die Menschen in der Ukraine am effektivsten unterstützen kann. "Wenn wir jeden Tag 320 Millionen dahin überweisen, dann unterstützen wir sie nicht", erklärt van Aken zum Kauf russischen Öls. Vor militärischen Lösungen solle man die wirtschaftlichen ausreizen.
Carlo Masala (Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München): Er ist sich sicher: Würde Putin wegen der Sanktionen morgen "so auf den Knien sein" und verhandeln, "dann sitzt er auf zweimal mehr Territorium als vor dem 23. Februar – und das gibt er nicht her". Masalas Strategie wäre eine Verschärfung der Sanktionen, weitere Waffenlieferungen und die Ukraine in die Lage zu versetzen, Territorium zurückzuerobern, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen.
Darüber diskutierte die Runde bei "Anne Will"
Über die ukrainische Verlängerung des Kriegsrechts um 90 Tage kommt Anne Will zur Frage, wer welches Ziel im Krieg in der Ukraine verfolgt. Was will die Ukraine, was wollen die baltischen Staaten, was die USA und was die G7? Dementsprechend will sie auch wissen, warum Bundeskanzler
Von hier aus ist es nicht mehr weit, um nach der grundsätzlichen Solidarität der Bundesregierung mit der Ukraine zu fragen, Stichwort Waffenlieferungen und deren Verzögerung. Hier wird nicht nur Kritik an Kanzler Scholz laut, sondern auch die Frage von van Aken nach dem angeblichen Vorrang militärischer Lösungen vor wirtschaftlichen. Um die zu beantworten, versucht die Runde - allen voran Carlo Masala - eine Einschätzung der aktuellen militärischen Situation in der Ukraine.
Die Einordnung des Abends
Dieser Einschätzung zufolge ergibt sich ein gemischtes Bild. Russland grabe sich tief im Osten ein, um dort auf die große Gegenoffensive der Ukraine im Juni zu warten. Gleichzeitig gebe es gerade einen russischen Umzingelungsversuch der Stadt Charkiw. Hier droht laut Masala "ein neues Mariupol". Sollte sich all das bewahrheiten, stehe ein langer Abnutzungskrieg bevor. "Das Problem der Ukraine wird ihr Erfolg sein", schätzt Masala die Folgen dieses langen Krieges ein.
Denn je länger der Krieg dauere, desto stärker nehme die Aufmerksamkeit auf diesen Krieg bei den Verbündeten ab. Außerdem werde die Unterstützung immer teurer, wodurch sie auch immer erklärungsintensiver werde. Am Ende werde die Anteilnahme an diesem Krieg zurückgehen und dann würden Stimmen lauter, an den Verhandlungstisch mit den Russen zu kommen – womöglich zum Vorteil Putins.
Marina Weisband sieht das nicht zwingend so kommen. Putins Armee müsse erst den Nachschub organisieren, was bis Ende Juli dauern könnte. "Wenn bis dahin die versprochenen Lieferungen schwerer Waffen kämen, dann könnte die Ukraine jetzt tatsächlich zumindest versuchen, entscheidend vorzustoßen", erklärt Weisband und zieht den Schluss: "Das heißt: Es kommt auch auf uns an."
Der Vorwurf des Abends
Der entscheidende Part an Weisbands Einschätzung ist: "Wenn die versprochenen Lieferungen schwerer Waffen kämen." An dem Einhaltungswillen dieser Versprechen hat Roderich Kiesewetter inzwischen erhebliche Zweifel und die macht er bei "Anne Will" in aller Deutlichkeit öffentlich. Als Anne Will fragt, warum Friedrich Merz von einem "Spiel" des Bundeskanzlers spricht und was der Grund für die angebliche Verzögerungstaktik von Olaf Scholz sein soll, erklärt der CDU-Politiker zunächst die Situation aus seiner Sicht.
Michael Roth hatte zuvor beschrieben, dass die Lieferung der Gepard-Panzer nicht so leicht sei - doch die stünden gar nicht auf der Wunschliste der Ukraine. "Sie brauchen Schützenpanzer und Kampfpanzer, um den Russen auf Distanz zu halten. (…) Und hier hätten bereits die ersten 20 vor vier Wochen geliefert werden können. Die zweiten 25 in zwei Monaten und innerhalb eines Jahres insgesamt 100 Stück. Geliefert wurden bisher null. Die deutsche Industrie hat bereits am 28. Februar deutlich gemacht, dass sie sehr rasch um die 100 Leopard und um die 100 Marder ertüchtigen könnte. Bis heute kein Auftrag."
"Es liegt nicht an den Koalitionspartnern. Ich verstehe hier wirklich nicht unseren Bundeskanzler", erklärt Kiesewetter und wird auf die Frage nach den Gründen deutlich: "Ich denke, er spielt auf Zeit." Je länger der Krieg dauere und je länger Deutschland nicht liefere, desto schwieriger werde es für die Ukraine und desto lauter die Stimmen nach einem Waffenstillstand und damit nach einem "Einfrieren" der russischen Gebietsgewinne.
Da fragt Will noch einmal ungläubig nach: "Damit sagen Sie gerade: Der Bundeskanzler will nicht, dass die Ukraine gewinnt?" Erst antwortet Kiesewetter, dass das Wills Interpretation sei, wird dann aber doch deutlich: "Ich werde Ihnen das sehr klar sagen: Ich befürchte, dass der Bundeskanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Gewinnt in dem Sinne, dass die russischen Truppen aus dem Land getrieben werden."
Scholz wolle auch keinen Machtwechsel in Russland, sondern "schlichtweg einen Rückzug hinter die Grenze. Ursprünglich war gedacht, dass das die Grenze vom Januar ist." Das wundere ihn, die Union und auch die FDP und die Grünen.
Das Fazit
Als Diskussion alleine funktionierte der Abend bei Anne Will sehr gut. So gut, dass Will gar nicht viel mehr machen musste, als die Themen vorzugeben und hin und wieder an der richtigen Stelle zu komprimieren. Inhaltlich hingegen brachte auch diese Talkrunde nicht wirklich Neues, denn die allermeisten Argumente hatte man so oder so bereits gehört. Das Gute an diesem Abend war also nicht der Austausch an sich oder der Inhalt, sondern dass er in dieser Klarheit vorgetragen wurde.
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