Ausgerechnet Russland. Nur noch wenige Tage, dann wird dort die Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen. Für viele ein Freudentag, aber zugleich ein moralisches Dilemma. Soll man die WM boykottieren? Das Nein von Gregor Gysi am Sonntagabend bei "Anne Will" überrascht kaum. Umso mehr dafür die Stimme eines "ehemaligen kalten Kriegers".
Nach den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 findet mit der Fußball-Weltmeisterschaft in wenigen Tagen wieder ein sportliches Großereignis in Russland statt. Auch die Diskussionen im Vorfeld sind wieder die gleichen: Sollen Politiker die WM besuchen oder boykottieren?
Das war das Thema des Abends:
Der Titel der Sendung, "Putins WM – die Welt zu Gast bei Ex-Freunden?" - angelehnt an das Motto der WM 2006 in Deutschland, "Die Welt zu Gast bei Freunden" - führt natürlich ein wenig in die Irre. Die Frage ist nämlich nicht, ob Russland ein Ex-Freund ist, sondern wie politisch mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland umzugehen ist.
Kernfrage dabei ist natürlich wieder, ob Politiker die Weltmeisterschaft wegen Russlands Politik unter anderem in Syrien, auf der Krim oder in der Ukraine insgesamt boykottieren sollen. Isländische Politiker beispielsweise haben angekündigt, wegen der Skripal-Affäre nicht nach Russland reisen zu wollen. Aber wie sinnvoll ist so ein Boykott? Darüber wollte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen sprechen.
Diese Gäste diskutierten mit Anne Will:
Edmund Stoiber (CSU), ehemaliger Ministerpräsident von Bayern und Mitglied im Aufsichtsrat des FC Bayern München- Norbert
Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags - Rebecca Harms (Die Grünen), Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende von Euronest
Gregor Gysi (Die Linke), Bundestagsabgeordneter und Präsident der Europäischen Linken- Arne Friedrich, ehemaliger Fußball-Nationalspieler
Das waren die Argumente des Abends:
Wie bei kaum einem anderen Thema einer Polittalkshow waren die Argumente beider Seiten so triftig wie bei der Frage nach dem Sinn eines Boykotts der WM. Der einzige Gast, der sich vehement für einen politischen Boykott des Turniers aussprach, war Rebecca Harms. Angesichts der Politik Putins in Syrien und der Ukraine oder angesichts der abgeschossenen Malaysia-Airlines-Maschine (Flugnummer MH-17) dürften laut Harms "Hochkaräter der Politik Putin nicht die Ehre erweisen".
Mit einer Teilnahme von Politikern werde laut Harms vieles legitimiert, was Putin zu verantworten habe. Zugleich sei die WM nach Russland geholt worden, damit Putin nach innen Stärke zeigen könne. Man dürfe deshalb "keine gute Miene zu Putins bösem Spiel" machen.
Au contraire meint hingegen Norbert Röttgen. Bezüglich der Einschätzung von Putins Politik ist der CDU-Mann mit der Vertreterin der Grünen einer Meinung, nur den Rückschluss will er nicht mit ihr teilen. Eben weil Russland die WM politisch instrumentalisieren wolle, wäre ein Boykott Wasser auf Putins Mühlen. Dann könne er sich nämlich wieder als ein Opfer des Westens darstellen, der Russland nicht als gleichberechtigten Partner sieht.
Unterstützung bekam Röttgen dabei von unerwarteter Seite, denn Edmund Stoiber sagte am Sonntagabend über sich selbst, er sei einst einer "der kältesten Krieger" gewesen. Trotzdem müsse man weiterhin den Dialog mit Russland suchen, denn "Russland ist Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung". Ein Boykott ist für Stoiber lediglich "Symbolpolitik".
Das war das Rede-Duell des Abends:
Den leidenschaftlichsten Schlagabtausch lieferten sich Rebecca Harms und Gregor Gysi. Gysi, der nicht nur einmal am Abend unrechtmäßiges Verhalten Russlands durch unrechtmäßiges Verhalten des Westen zu relativieren versuchte, war für die Russlandkritik von Rebecca Harms nur bedingt zugänglich: "Nur bei Russland reagieren sie so allergisch, das nervt mich ein bisschen", fuhr er die Grünen-Abgeordnete an.
Die ließ das aber nicht auf sich sitzen: "Ich habe nicht erst angefangen gegen Kriege zu demonstrieren als die Krim besetzt wurde oder der Krieg in der Ukraine losging." Der Streit verlief mitunter sogar so vehement, dass sich Ex-Fußballer Arne Friedrich kurz Gedanken machte, ob er sich nicht zwischen die beiden Streithähne setzen sollte.
Der Moment des Abends:
Es liefen bereits die letzten Minuten der gestrigen Ausgabe, als die ansonsten weitgehend besonnene Diskussion noch einmal Puls bekam.
Norbert Röttgen wollte zum Schluss den Unrechtsrelativierungen von Gregor Gysi etwas entgegensetzen: "Wir haben auch vieles falsch gemacht, aber es gibt ein Verhaltensmuster seit vier Jahren bei Putin: Das ist Gewaltanwendung außerhalb seiner Grenzen, das ist Unterdrückung innerhalb seiner Grenzen und es ist dieses Narrativ 'Wir sind die Verfolgten, wir sind die Opfer'. Das ist eine permanente Verharmlosung, die sie machen."
Das anschließende Wortgefecht versuchte
So hat sich Anne Will geschlagen:
Nun ist es wahrlich eine Herkules-Aufgabe, Edmund Stoiber zu zwingen, auf den Punkt zu kommen oder einen Gregor Gysi in seinem Mitteilungsbedürfnis zu zähmen. Trotzdem hätte Anne Will beides besser gelingen können. Vor allem der Schlussstreit zwischen Röttgen und Gysi wäre in geordneten Bahnen inhaltlich sicher interessant gewesen.
Was ist das Ergebnis?
Dass Putin die Spiele für sich nutzen wird, darin waren sich alle Gäste einig. Allerdings sahen Röttgen und Stoiber diese Wirkung als begrenzt an. Zum einen, weil es vor allem um Fußball gehe und zum anderen, wie Stoiber darauf hinwies, weil die Wirkung auch vom Erfolg der russischen Nationalmannschaft abhinge – und der sei als eher gering einzuschätzen.
Trotzdem ist die Antwort auf die Frage, ob ein Boykott nun mehr schadet als nützt, zu einem großen Teil Spekulation – so triftig die Argumente auf beiden Seiten auch sind. Aber, und das machte die Diskussion deutlich: Dass die WM überhaupt in Russland stattfindet, ist das eigentliche Problem. Dem muss sich aber zunächst einmal die Fifa stellen.
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