Dass Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Union wird, kommt Lars Klingbeil gelegen. Den Eindruck versuchte der SPD-Chef zumindest bei "Markus Lanz" zu vermitteln. Beim Thema Migration kam es später zum Schlagabtausch mit dem ZDF-Moderator.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Doris Neubauer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In Straßburg wurde eine neue EU-Kommission gewählt, in Deutschland hat die Union CDU-Chef Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten präsentiert: Um die Ereignisse dieses "spannenden politischen Tages" ging es am Abend im ZDF bei Markus Lanz. Dabei geriet vor allem der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil des Öfteren in die Defensive.

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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

"Erste erfolgreiche Zurückweisung" - so lautete die Schlagzeile der "TAZ" nach der Bekanntgabe, dass Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Union wird, und eben nicht CSU-Chef Markus Söder. Die Migrationspolitik werde bei der Bundestagswahl aber nicht das dominierende Thema sein, kündigte der CDU-Vorsitzende sofort an.

Zwar ist der Umgang mit Migranten und Flüchtlingen nur eine von vielen Baustellen, die bei Markus Lanz am 17. September diskutiert wurden. Die Kehrtwende in der Asylpolitik sorgt aber nicht nur für innenpolitische Unruhe; der Alleingang Deutschlands an den europäischen Grenzen könnte gar Europa und die Idee eines gemeinsamen europäischen Vorgehens zerfleddern.

Diskutiert wurden auch die bevorstehende Wahl in den USA sowie Chancen möglicher Friedensinitiativen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Das sind die Gäste

  • Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender, über die Maßnahmen an den deutschen Grenzen: "Temporäre stichprobenartige Kontrollen kann ich politisch vertreten, aber für mich ist das Ende der Fahnenstange erreicht."
  • Daniel Friedrich Sturm, Journalist ("Tagesspiegel"): "Wenn ich mir vorstelle, dass wir diesen Attentismus noch eineinhalb Jahre haben, ist das schädlich, nicht nur für die Wirtschaft in Deutschland."
  • Jana Puglierin, Politologin: "Wenn wir die Erosion des europäischen Rechts zulassen, sind alle Türen offen, dass jedes Land macht, was es will."
  • Ulf Röller, ZDF-Korrespondent: "Europa macht Deutschland den Vorwurf, (...) mit der restriktiven Migrationspolitik innenpolitische Blutungen zu stoppen oder die K-Frage zu lösen."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Friedrich Merz als Kanzlerkandidat kommt für Lars Klingbeil gelegen. Das behauptete zumindest der SPD-Chef: "Hendrik Wüst wäre gefährlicher gewesen", freute er sich, dass nicht der Ministerpräsident von NRW gekürt worden war. Dieser hätte einen Platz in der politischen Mitte eingenommen, den die SPD besetzen wollte. Friedrich Merz hingegen habe den Kurs der Merkel-Union peu à peu abgebaut und nach rechts geschoben.

"SPD in Tradition der Merkel-CDU?", so wie Markus Lanz es formulierte, wollte es Klingbeil nicht verstanden wissen. "Durch Friedrich Merz sind demokratische Spielräume geöffnet worden", meinte er vielmehr diplomatisch. Jetzt gehe es darum, sich bei wichtigen Themen wie Rente, Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie Migration programmatisch und strategisch aufzustellen.

"Die Personalwahl aber ist klar", betonte er. Von dieser Antwort ließ er auch nicht ab, als Lanz provokativ meinte: "Alle haben einen Kanzlerkandidaten, aber bei Ihnen rumort es?" - "Wir haben sogar einen Kanzler", konterte Klingbeil. "Haben Sie auch einen Kandidaten?", wollte es der Moderator genau wissen. Dass man mit Olaf Scholz kandidieren werde, stehe außer Frage, kam die Antwort prompt. Innenpolitische Debatten fänden auch in anderen Parteien statt und seien kein Grund zur Sorge.

Um den Wahlsieg innerhalb der nächsten zwölf Monate organisieren zu können, "erwarte ich mir eine andere Performance", sprach er dann aber doch Klartext. Noch deutlicher wurde der SPD-Vorsitzende, als Markus Lanz überrascht und interessiert nachfragte, woran es denn fehlte. Die Replik: Die SPD hätte sich viel zu lange in der Moderationsrolle aufgehalten.

In den nächsten zwölf Monaten Regierungszeit müsste man noch viel erreichen: So solle das neue Rentenpaket eingeführt werden, und auch die Rettung der Industriearbeitsplätze sei ein wichtiges Ziel: "Die SPD muss ausstrahlen, wir kämpfen um jeden Industriearbeitsplatz", betonte er. Durch Maßnahmen wie Anreizmodelle für E-Fahrzeuge und einen Ausbau der Ladeinfrastruktur würde man alles dafür tun, um beispielsweise drohende Werkschließungen bei VW zu verhindern. "Ausschließen und verhindern sind zwei verschiedene Dinge", wies Lanz auf die Wortwahl hin.

"Warum hat kein Autogipfel stattgefunden?", bemerkte Journalist Daniel Friedrich Sturm die bisherige Untätigkeit der Regierung in dieser Sache. Er fand es "symptomatisch für Scholz: zaudern, zögern - und das bringt viele Leute in der SPD auf die Palme." Generell seien zahlreiche Wahlversprechen der SPD nicht eingehalten worden, was die fehlende Zustimmung der Bevölkerung an einer Fortsetzung der Ampel-Regierung erkläre: "Woher Herr Klingbeil die Fantasie hernimmt, dass es ausgerechnet im vierten Jahr, wo alle Akteure unter rational verständlichem Druck des Wahlkampfes stehen, nach all den Appellen besser werden sollen ... Mir fehlt da die Fantasie."

Das ist das Rede-Duell des Abends

"Warum erst jetzt?", wollte der Moderator vom SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil wissen und bezog sich auf die Wende in der Migrationspolitik. "Anfang des Jahres wurde ein großes Migrationspaket mit auf den Weg gebracht", wollte der den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen.

Grenzkontrollen oder die Abschiebungen nach Afghanistan seien früher für nicht durchführbar erklärt worden. "Warum geht es jetzt schon, zwei Tage vor der Landtagswahl?", hakte Lanz nach. Eine Theorie, die auch für Journalisten-Kollegen Daniel Friedrich Sturm vom "Tagesspiegel" "ganz nahe" lag und sich durch die Umfragewerte der AfD erklären ließe.

"Sie glauben dass der Flieger abgehoben ist, weil es zwei Tage vor der Landtagswahl war?", empörte sich Klingbeil. "Glauben Sie ernsthaft, dass Nancy Faeser das so datiert hat? Das ist ein wahnsinnig komplexer Vorgang!"

Dass eben diese deutsche Bundesinnenministerin jetzt sagte: "Ich bin zu allem bereit", konnte Klingenbeil nicht unterschreiben: "Ich kenne den Kontext nicht, bin nicht ihr Pressesprecher, aber bei mir sind die Grenzen erreicht", verwies er auf die Vorschläge der Union der Grenzschließung. Man dürfte "in Migrationsdebatten, die aufgeregt geführt werden" nicht vergessen, dass es nicht um die Millionen Menschen ginge, die Deutschland bereicherten und hier ihre Heimat gefunden hätten.

"Dieser Einwand kommt häufiger", ließ Markus Lanz dieses Argument kalt. Man könnte auch sagen, "diese inkonsistente Art, Migrationspolitik zu betreiben", hätte zu einem Rechtsruck in Deutschland geführt.

Wüst unterstützt Merz als Kanzlerkandidat

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich für eine Kanzlerkandidatur des Bundesvorsitzenden Friedrich Merz ausgesprochen. Er rief die CSU dazu auf, das ebenfalls zu tun.

Asylbewerber und Flüchtlinge müssten zudem schneller arbeiten können, ergänzte Sturm: "Warum funktioniert es in Polen und Dänemark besser, liegt es am bösen Bürgergeld?", warf er in den Raum, "das ist auch ein Problem, das die SPD wie einen Mühlstein um ihren Hals trägt. Hätte sie in den ersten zwei Jahren eine vorausschauende Politik gemacht, hätten wir diese Debatten nicht."

"Dass wir beim Bürgergeld in die Defensive gebracht wurden, kann ich nicht leugnen", verwies Klingbeil auf aktuelle Korrekturmaßnahmen. "Ich kann aber nicht akzeptieren, dass der Sozialstaat weg kann. Wir reden von über 16.000 Totalverweigerer, und es ist richtig, dass wir das adressieren, aber es gibt auch 800.000 Menschen - darunter viele Frauen, die arbeiten gehe und nicht genug Geld haben."

"Niemand will in Deutschland den Sozialstaat abschaffen", wurde es Sturm zu bunt, "wir hatten auch schon einen Sozialstaat, als es das Bürgergeld in dem Ausmaß noch nicht gab, das Elterngeld noch nicht gab, die Rente mit 63 noch nicht gab. Auch unter Helmut Kohl und Willy Brandt hatten wir einen Sozialstaat."

"Wenn Sie das zurückhaben wollen, dann haben wir eine unterschiedliche politische Einschätzung", konterte Klingbeil, "es ist eine Errungenschaft, dass Leute, die 45 Jahre lang hart gebuckelt haben, aussteigen können". Und dabei spräche er nicht von "Leuten wie wir, die in Talkshows sitzen", machte er klar.

So hat sich Markus Lanz geschlagen

"Am Ende eines spannenden politischen Tages" zeigte Markus Lanz keine Anzeichen von Ermüdung: Er präsentierte sich schlagfertig, interessiert und navigiert - wie üblich gut informiert - durch die breite Palette an Themen. Dabei gab er sich nicht mit "guten Allgemeinplätzen" zufrieden, sondern bohrte bei seinem politischen Gast Lars Klingbeil immer wieder nach.

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Will die SPD die Bundestagswahl gewinnen, haben Klingbeil und das Führungsteam der Partei noch zahlreiche Hürden zu überwinden. Den Eindruck versuchte der Parteivorsitzende Klingbeil bei "Markus Lanz" erst gar nicht zu zerstreuen.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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