Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen über den aktuellen Stand im Krieg in der Ukraine. Besonders für CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen geht die Lieferung von Waffen nicht schnell genug. Grünen-Chef Omid Nouripour stellte derweil deutsche Raketen in Aussicht.

Eine Kritik
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Der nahende Herbst und schlechteres Wetter könnte die ukrainische Gegenoffensive vor schwerwiegende Probleme stellen. Ob es Kiew in den kommenden Wochen gelingt, die von Russland besetzt Krim von anderen besetzten Zonen abzuschneiden, ist von großer strategischer Bedeutung.

Zugleich wächst die Kritik von Verbündeten am schleppenden Vormarsch, während die Ukraine auf mehr militärische Unterstützung drängt. Neues Ungemach droht auch vom Bündnis Russlands mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un, der fest von einem Sieg Moskaus ausgeht und Waffen liefern könnte. Das Thema bei Maybrit Illner: "Ukraine unter Zeitdruck – kleine Erfolge, große Ungeduld?"

Das sind die Gäste

  • Omid Nouripour (Grünen): Der Parteivorsitzende von Bündnis ´90/Die Grünen kritisierte die US-Kritik am langsamen Vorrücken der ukrainischen Truppen in der Gegenoffensive. Es sei "ein bisschen wohlfeil, am Schreibtisch zu sitzen, viele Tausende Kilometer entfernt und zu erzählen, warum man es besser weiß". Dass die Ukraine alles tue, um die eigenen Soldaten anders als die Russen nicht zu verheizen, spreche für sie.
  • Hanna Maljar: Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin lobte die eigene Gegenoffensive als "einzigartig". Obwohl das Land weniger Menschen und weniger Waffen als Russland zur Verfügung habe, habe es "gegen alle Wissenschaft" weniger Verluste als Russland erlitten. Normalerweise braucht es für eine erfolgreiche Gegenoffensive mindestens eine deutliche numerische Überlegenheit. "Wir tun alles, was wir tun können", versicherte die Ministerin.
  • Norbert Röttgen (CDU): Beim CDU-Außenpolitiker stießen die zögerlichen Waffenlieferungen aus den USA und aus Deutschland auf Unverständnis. Erst kämen die Lieferungen zu spät und dann kritisiere man den ausbleibenden Erfolg. Das dann auch noch öffentlich zu tun, wie zuletzt beispielsweise vom US-Generalstabschef Mark Milley geschehen, nannte Röttgen "wirklich ungehörig". Der Weg, um den Krieg zu beenden, führt für Röttgen über die Krim. Wenn es gelingt, die Halbinsel von der Versorgung abzuschneiden, könnte das zur "Destabilisierung in Russland und von Putin" führen und einen politischen Weg zum Kriegsende eröffnen. Wenn das der Weg sei, findet es der CDU-Mann "ungeheuerlich, dass wir den Ukrainern nicht alles geben, was sie brauchen".
  • Sabine Adler: Auch die Moskau-Korrespondentin des Deutschlandfunks wunderte sich über die öffentliche Kritik aus Großbritannien und den USA an der Ukraine. Sie erinnerte an die extrem lange Frontlinie, die numerische russische Überlegenheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten eines Durchbruchs durch Kiews Truppen. "Angesichts der Übermacht, den Ukrainern auch noch schlaue Ratschläge zu geben, halte ich für vermessen", sagte Adler. Auch sie sieht in der Krim, die "ein einziger Militärstützpunkt" sei, den Schlüssel für den Erfolg der Gegenoffensive.
  • Gustav Gressel: Der Militär- und Sicherheitsexperte vom European Council on Foreign Relations (ECFR) machte Hoffnung, dass es der Ukraine doch noch gelingen können, die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Je tiefer die Ukrainer in die russischen Linien vordringen, desto schneller kommen sie voran, unter anderem weil die Russen dann mehr improvisieren müssen. Und darin seien sie aufgrund ihrer streng hierarchischen Kommandostrukturen "nicht gut".
  • Elmer Theveßen: Der Leiter des ZDF-Studios Washington ist sich sicher, dass die Ukraine nun schnelle Gewinne erzielen müsse, um in den USA weitere finanzielle und logistische Unterstützung zu bekommen. Der Druck steige auch deswegen, weil Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2024 gewinnen und dann einen Deal mit Putin auf dem Rücken der Ukraine machen könnte. Theveßen betonte, dass die Krim nicht zwingend zurückerobert werden müsse, sondern dass es schon ausreichen könnte, Russland zur Demilitarisierung der Halbinsel zu zwingen, um eine Kriegswende zu erreichen.

Das ist der Moment des Abends

Omid Nouripour geht davon aus, dass es "schnell" eine Entscheidung gibt, "dass die Taurus rübergehen". Gemeint war natürlich der Taurus-Marschflugkörper, den sich die Ukraine zum Kampf gegen die russische Besatzung von Deutschland erbeten hat. Bislang hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu nicht abschließend geäußert. Dem hat der Grünen-Chef nun offenbar vorgegriffen.

Das ist das Rededuell des Abends

Beim Thema Taurus redete sich CDU-Außenpolitiker Röttgen in Rage. "Der Kanzler will nicht!", behauptete er. Die neuerliche Verzögerung bei der Lieferung eines Waffensystems "kostet Vertrauen und es kostet Menschenleben". Überlegungen zur Reduzierung der Reichweite der Raketen, um Angriffe auf russisches Territorium auszuschließen, nannte er einen Misstrauensbeweis gegenüber der Ukraine.

Nouripour reagierte auf diese Wutrede mit einem Wörtchen: "Wow!" – "Ich glaube, dass wir liefern sollten und dass wir auch liefern werden". Es müssten nur noch technische Details geklärt werden, damit alles funktioniert. Für Röttgen nur "eine Ausrede". Nouripour reagierte irritiert, weil "diese Tonlage nichts bringt".

Sabine Adler sah es wie der CDU-Politiker und sprach von "Rumeierei", um einen Teil der SPD, der die Waffenlieferungen kritischer sieht, zu besänftigen. Nach dem Motto: Wir überlegen uns das aber mal ganz genau. Das Zögern koste Deutschland aber "eine Menge Vertrauen", so Adler.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Die Gastgeberin gab sich alle Mühe. Einmal, zweimal fragte sie bei Hanna Maljar, der stellvertretenden ukrainischen Verteidigungsministerin, nach: "Was, wenn das nicht gelingt?" Gemeint war die Isolation der Krim von den anderen russisch besetzen Gebieten, um die Nachschubwege abzuschneiden, und ihre Rückeroberung.

Die Politikerin vermied es wenig überraschend, auf dieses Negativszenario einzugehen. Stattdessen setzte sie auf kämpferische Losungen. Das Ziel sei es, "alle unsere Gebiete zu befreien und zurückzuerobern." In einer insgesamt eher wenig streitlustigen Runde hatte die gut vorbereitete Illner kaum Gelegenheiten, sich weiter auszuzeichnen. Kleiner Minuspunkt war die Auswahl der Gäste, die in zu vielen Punkten übereinstimmten.

Das ist das Ergebnis bei Illner

Wie lange hat die Ukraine in diesem Jahr noch Zeit, um Russland weiter zurückzudrängen? Nach den Schätzungen des US-Generalstabschefs Mark Milley bleiben nur noch 30 bis 45 Tage, dann wird das Kämpfen wegen des Wetters kaum noch Erfolge bringen können.

Sabine Adler war sich da nicht so sicher. Im Krieg gebe es kein "schlammfrei" und "die Ukrainer müssen selber entscheiden", wie lange sie weitermachen. Norbert Röttgen war ebenfalls felsenfest davon überzeugt, dass die Ukraine weiter kämpfen wird. "Sie wird nicht kapitulieren." Auch wenn der Krieg noch Jahre dauern wird.

Genau das könnte aber in die Karten des russischen Machthabers Wladimir Putin spielen, meinte Gustav Gressel. Denn Putin hofft, dass in einem langen Krieg der Westen irgendwann die Unterstützung einstellt. Und solange ihn die Masse der westlichen Rüstungsproduktion nicht beeindruckt, "solange fährt er diesen Kurs fort". Auch Röttgen war daher klar: "Ich glaube, dass Putin nie verhandeln wird."

Hanna Maljar erinnerte vor diesem Hintergrund an die militärischen Bedürfnisse der Ukraine: Langstreckenraketen zum Angriff und Waffen zur besseren Luftverteidigung. Dies seien die Schlüsselfaktoren, "ohne die wir nicht siegen können". Selbst wenn die USA und Deutschland ihre weitreichenden Raketen bald liefern sollten, scheint eine entscheidende Kriegswende in den nächsten Wochen eher unwahrscheinlich. Und im Herbst und Winter haben die Russen wohl wieder die Gelegenheit, ihre Verteidigungslinien zu verstärken. Der Krieg in der Ukraine – ein Ende ist nicht in Sicht.

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