Anne Will gibt SPD und Linkspartei die Chance, bei ihrem Haus- und Hofthema die CDU in die Zange zu nehmen. Stattdessen fetzen sich Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz, der zu harten Bandagen greift.

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Wer vor diesem Sonntagabend noch immer glaubte, es gebe in Deutschland eine Chance auf eine Art linkes Projekt im Bundestag, auf eine Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei, der muss nun endgültig einsehen: Es sieht in absehbarer Zeit nicht danach aus.

Stellvertretend für ihre Parteien versicherten sich Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz bei "Anne Will" ihrer gegenseitigen Abneigung. Man wüsste gern: Wie gehen diese Menschen erst miteinander um, wenn keine Kamera läuft?

Dabei hatte die Gastgeberin ihnen den roten Teppich ausgerollt: Um soziale Gerechtigkeit in Deutschland sollte es gehen - das Kernthema linker Bewegungen - und nur ein einziger CDU-Mann stellte sich ihnen entgegen.

Die Koalitionen hatte Anne Will gleich im Thema vorgegeben: "Wahlkampfthema soziale Gerechtigkeit – Malt Rot-Rot hier schwarz?"

Doch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident verbrachte einen entspannten Abend als der feixende Dritte in der Runde. "Sagen Sie, Herr Laschet", fragte Anne Will gegen Ende in Anspielung auf die streitenden Linken: "Reiben sie sich nicht die Augen und können ihr Glück kaum fassen?" Armin Laschet grinste.

Ein Hauch Elefantenrunde 2005

Zugegeben: Ein Streit zwischen SPD und Linkspartei hat keinen Neuigkeitswert, eher im Gegenteil. Immer wieder reden Talkshow-Gastgeber eine mögliche Koalition im Bund herbei, immer wieder ziehen die jeweiligen Vertreter der Parteien rote Linien, immer wieder geht es dabei um Hartz IV.

Dem Muster folgte auch der Schlagabtausch bei "Anne Will". Bis Olaf Scholz dem gewohnten Prozedere einen Hauch von Elefantenrunde 2005 beimischte.

Damals entwich Gerhard Schröder nach seiner knappen Wahlniederlage jedes Maß an Professionalität. Der designierte Ex-Kanzler verhöhnte die Wahlsiegerin Angela Merkel und tönte, er werde eine Regierung bilden.

Peinlich berührt blickten sich Merkel und Guido Westerwelle an, bis dem FDP-Chef der Geduldsfaden riss: "Ich weiß wirklich nicht, was sie vor der Sendung noch gemacht haben."

"Für Trump war es Obama, für Sie Schröder"

Für seine erste Attacke erntete Olaf Scholz sogar noch Lacher und Applaus. Alle klassischen Industrieländer, sagte der Hamburger Bürgermeister, hätten im Zuge von Technologisierung und Globalisierung mit sozialen Problemen zu kämpfen.

"Überall gibt es dann Leute mit Verschwörungstheorien – Trump in den USA, Frau Wagenknecht in Deutschland …" weiter kam er nicht. Auch Sahra Wagenknecht lächelte noch, wenn auch entgeistert.

Scholz hätte es dabei belassen können. Er wählte die Eskalation. "Jetzt erzählen Sie mir mal wo Sie keine Verschwörungstheorien erzählen", unterbrach er Wagenknecht bei nächster Gelegenheit, die Linken-Frau redete gerade über den Niedriglohnsektor in Deutschland.

"Bei Trump war es immer Obama, bei ihnen war es Schröder." Unbeirrt referierte Wagenknecht Gesetze und Regelungen, die von der SPD beschlossen wurden: "Der Niedriglohnsektor ist nicht vom Himmel gefallen, das war eine politische Entscheidung."

Gastgeberin Anne Will, offensichtlich schon leicht irritiert, erinnerte Olaf Scholz daran, dass die SPD auf einige dieser Entscheidungen ja auch stolz sei.

Der neue Stil

Aber Scholz war nun nicht mehr einzufangen: "Ich teile keine der Einschätzungen von Frau Wagenknecht, ich halte sie alle für falsch und wiederhole das, was ich eben gesagt habe: Es gibt in jedem Land einen mit Verschwörungstheorien, in Deutschland sind das Sie."

Lacher provoziert das nicht mehr, Buhrufe ertönen aus dem Publikum, Anne Will fragt: "Ist das jetzt der neue Stil, Sie greifen Frau Wagenknecht an, ohne das zu begründen?"

Was Scholz offenbar nicht bedacht hat: Mit Sahra Wagenknecht glauben auch viele andere Menschen daran, dass die SPD mit den Hartz-Gesetzen den Niedriglohnsektor ausgebaut und damit die soziale Ungerechtigkeit im Land größer gemacht hat.

Sie pauschal mit 9/11-Truthern, Chemtrail-Paranoiden und Trumpisten gleichzusetzen, beißt sich mit Martin Schulz' Versprechen, er wolle die vielen Abgehängten mit ihren Sorgen ernst nehmen.

Reichtum als Lösung

Dass sich die Menschen Sorgen machen müssen, illustrieren stellvertretend die Gäste aus dem Publikum.

Die Gewerkschafterin Maurike Maaßen verkörpert das Dilemma, in das sich die SPD mit ihrer Politik manövriert hat: Sie hat sich nach vielen Jahren als Stammwählerin abgewendet und gibt nun der Linkspartei ihre Stimme. "Ich bin einfach zu oft enttäuscht worden von der SPD."

Katja Lorenz, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, findet keine bezahlbare Wohnung in Berlin. Armin Laschet, der sich den rot-roten Infight genüsslich anschauen durfte, hat eine Lösung parat, die Lorenz ratlos zurücklässt: Gerade hat sie erzählt, dass ihre Kinder schon mal auf das Freibad verzichten müssen und sie wegen einer Mieterhöhung von 50 Euro im Monat umziehen muss.

Dieser Frau am Existenzminimum erklärt Laschet, er wolle es Menschen möglich machen, auf ihre eigene Wohnung zu sparen, Eigentum zu erwerben. Reichtum als Lösung, es könnte ein gefundenes Fressen sein für SPD und Linkspartei - wenn Olaf Scholz nicht immer noch einen auf Lager hätte.

Auf die obligatorische Frage nach der Koalitionsbereitschaft antwortet Sahra Wagenknecht noch halbwegs versöhnlich, wenn auch nicht ohne maliziösen Hinweis darauf, dass die SPD Schuld sei, wenn Angela Merkel die Wahl gewinnt: "Wir stehen dann zur Verfügung, wenn es darum geht, den Sozialstaat wieder herzustellen – wenn es denn eine Mehrheit gibt."

Olaf Scholz aber denkt gar nicht daran, zurückzurudern. "Die SPD macht sozialdemokratische Politik und es stört den politischen Frieden in Deutschland, etwas anderes zu behaupten."

Einspruch von Anne Will: Jeder dürfe sich doch seine Meinung dazu haben. Nicht mit dem Hamburger Bürgermeister. Eine Partei, die so viel für die soziale Gerechtigkeit getan habe, "ist eine sozialdemokratische Partei und muss sich nicht beleidigen lassen von einer Partei, die sieben Prozent holt."

Und Armin Laschet grinst.

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