Irgendwas mit Solidarität. So hätte das Thema am Donnerstagabend bei "maybrit illner", ehrlicherweise heißen müssen, denn mehr als das Schlagwort Solidarität hatte die jüngste Ausgabe nicht an rotem Faden. Zum Glück gab es einen Gast, der immerhin diesen roten Faden konsequent im Auge behielt.
Urlaubsrestriktionen für Menschen aus Corona-Hotspots, Stigmatisierung von Güterslohern und Schuldzuweisungen an Arbeiter aus anderen Ländern. Derzeit bestimmen die Corona-Infektionen beim Massenschlachter Tönnies die Schlagzeilen.
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:
Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-VorpommernMarkus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, aus Nürnberg zugeschaltet- Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitswesen (BvöGD)
- Jagoda Marinić, Journalistin, aus Heidelberg zugeschaltet
- Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg
- Michael Esken, Bürgermeister der Stadt Verl im Kreis Gütersloh, zugeschaltet
Das waren die Themen bei "maybrit illner":
Es war ein Sammelsurium von einzelnen Themen, die man diesmal bei "maybrit illner" zusammengetragen und irgendwie unter dem Motto Solidarität vereint hatte. Das kann man natürlich machen, allerdings blieb dabei Manches nur oberflächlich behandelt, Anderes gar nicht und Einiges wurde bereits umfangreich an anderer Stelle diskutiert.
Schwindet die Solidarität in Deutschland?
"Gemeinsam gegen das Virus war gestern", erklärt der Off-Sprecher gleich zu Beginn in einem Einspieler und Illner sucht im Folgenden bei ihren Gästen eine Bestätigung oder Zurückweisung dieser Behauptung.
"Vernunft und Lebensfreude sind ja kein Gegensatz", erklärt Markus Söder, warum man immer noch vernünftig sein müsse und ergänzt: "Wir haben das bisher in Deutschland miteinander ganz gut gemacht und ich habe auch den Eindruck, dass ein großer Teil der Bevölkerung nach wie vor vorsichtig und umsichtig sein will. Die sind nicht so laut, aber sie sind besorgt und denen müssen wir auch Stimme geben."
Weil man Urlauber aus Gütersloh in Mecklenburg-Vorpommern wieder nach Hause geschickt habe, rechtfertigt sich Manuela Schwesig: "Alle Urlaubsgäste sind willkommen, aber wir haben schon strenge Vorschriften. (…) Wir haben eine klare Regel aufgestellt – übrigens schon vor Gütersloh – dass wir gesagt haben: Wenn es einen Hotspot gibt in Deutschland, dann ist es wichtig, dass diejenigen einen negativen Test mitbringen oder, wenn sie bei uns sind und nachträglich ein Hotspot werden, bei uns getestet werden."
"Solidarität ist eigentlich eine Gerechtigkeitsfrage"
Jagoda Marinić glaubt weiterhin an Solidarität unter den Menschen, macht aber auf die Ungleichheit in der Gleichheit aufmerksam: "Natürlich treffen die Maßnahmen diese Bevölkerung auf unterschiedliche Weise. Die gleichen Maßnahmen haben natürlich nicht die gleichen Folgen für die Menschen. (…) Je länger die Maßnahmen dieser Pandemie gehen, desto mehr fächert sich die Gesellschaft in einzelne Gruppen auf. (…) Die Solidarität ist eigentlich eine Gerechtigkeitsfrage", erklärt Marinić und fordert von der Regierung, dass sie diese Ungleichheiten in einer zweiten Stufe der Solidarität auffängt.
In Bezug auf Ausgrenzungen von Menschen aus Hotspots macht Jonas Schmidt-Chanasit auf die Gefahr, die dadurch entsteht, aufmerksam: "Diese Stigmatisierung ist problematisch, das sollten wir tunlichst vermeiden. Das ist kontraproduktiv in diesem Ausbruch. Das haben andere Ausbrüche deutlich gezeigt, weil man sich dann versteckt, weil man sich nicht offenbart, weil man nicht zum Arzt geht."
Corona-Tests in Bayern
Markus Söder formuliert noch einmal sein Vorhaben, in Bayern schnelle Tests für jedermann anzubieten: "Wir werden bis zu 30.000 Tests pro Tag als Kapazität anbieten."
Ute Teichert fordert hierzu bei Tests eine Regelmäßigkeit: "Ein Test sagt nur aus, dass ich zu dem Zeitpunkt, an dem der Abstrich genommen wurde, negativ bin. Er sagt nichts über die Zukunft. Also muss ich dauerhaft testen."
Weil Marinić davor warnt, die Menschen mit Tests in einer falschen Sicherheit zu wiegen, erklärt Jonas Schmidt-Chanasit: "Es ist eine ärztliche Aufgabe darüber aufzuklären, was die Vor- und Nachteile dieser Testungen sind."
Zu den von Söder angekündigten Tests in Bayern sagt Schmidt-Chanasit, dass man hier ja "nicht ohne Sinn und Verstand" testen wolle und erklärt: "Ich sehe hier ein sehr sinnvolles Vorgehen, zielgerichtet und man kann hier nur nochmal anmahnen, dass das natürlich mit den Kapazitäten in den Gesundheitsämtern eng verzahnt werden muss."
Arbeits- und Wohnverhältnisse in Deutschland
Jonas Schmidt-Chanasit stellt fest, dass die Corona-Pandemie "ein klares Brennglas auf schwierige Lebens- und Arbeitssituationen" sei, was Jagoda Marinić sofort aufgreift: "Natürlich ist Corona ein Brennglas. Aber es ist deswegen ein Brennglas, weil es jahrelang eine Kultur des Wegsehens gibt."
Auf die Äußerungen von
Die Menschen, die in prekären Wohnverhältnissen leben und nun in Quarantäne müssten, täten ihr leid, erklärt Manuela Schwesig und fordert gleichzeitig vom Rest Solidarität mit ihnen: "Sie sind nicht Schuld daran, dass sie dieses Virus haben."
Der Schlagabtausch des Abends:
Den gab es in dieser Form nicht. Stattdessen lieferten sich Markus Söder und Manuela Schwesig ein vergleichsweise peinliches Marketing-Wettrennen um die Frage, in welchem Bundesland man am besten Urlaub machen könne – Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern.
Der missglückte Abwürger des Abends:
Nach knapp 25 Minuten nutzt Markus Söder die Gelegenheit beim Thema "Tests für jedermann in Bayern" aufzuzählen, was man in Bayern bisher alles gemacht hat und noch machen wird. Als Illner Söders Wortbeitrag unterbrechen will, möchte Söder das nicht hinnehmen und unterbricht seinerseits die Unterbrechung mit einer maximal dramatischen Begründung: "Wenn's um Leben oder Tod geht, muss man das schon einmal sagen."
Illner lässt ihm das durchgehen, stattdessen relativiert Ute Teichert daraufhin Söders Ausführungen: "Auch außerhalb von Bayern kann man sich testen lassen, auch wenn man keine Symptome hat. (…) Sonst haben wir hier so das Gefühl: Bayern ist anders als der Rest der Republik. Nein, das gilt für alle Menschen."
So schlug sich Maybrit Illner:
Unnötig unglücklich. "Die Maske des Gemeinsinns fällt" - der Off-Sprecher überschlägt sich beim Einleitungseinspieler in Bauchgefühl-Thesen und auch Maybrit Illner greift an diesem Abend einmal zu oft zu Behauptungen oder Selbstverständlichkeiten: "Gestern hat uns das Virus noch in Angst vereint, heute entzweit es uns", behauptet Illner beispielsweise und führt als Untermauerung nicht repräsentative Zitate von befragten Menschen an, die ihre These bestätigen sollen.
"Jeder hofft, dass die Pandemie für ihn vorüber ist und tut möglichst viel von dem, was man ihm wieder erlaubt", erklärt Ilner mit dem nächsten Satz, als sei es ein Beleg von Rücksichtslosigkeit, wenn Menschen machen, was man ihnen erlaubt. Ob Illner mit ihren selbstgestrickten Thesen das Thema ihrer Sendung rechtfertigen will oder umgekehrt, ist dabei nicht ganz klar.
Fazit des Polit-Talks
"Wir müssen aufpassen", "Man muss mehr anschauen", "Da sind wir aufgefordert" - es war eine Diskussion mit vielen Forderungen, was alles getan werden muss oder müsste, aber es war keine Diskussion, in der es hieß: "Ich mache."
Der diesbezügliche Höhepunkt an Forderungen in den leeren Raum war Söders Ansage im Rahmen der Diskussion über Billigfleisch und Arbeitsbedingungen: "Wir müssen auch über eine Agrarwende diskutieren."
Das ist in der Sache natürlich richtig, zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Landwirtschaftsministerium bis 2018 13 Jahre lang von Söders CSU geführt wurde und dort vieles gemacht wurde – nur keine Agrarwende. Und auch die aktuell verantwortliche Julia Klöckner von der CDU ist bisher nicht in die Schlagzeilen geraten, weil sie mit Vehemenz eine Agrarwende vorantreibt.
So gut Deutschland die Corona-Pandemie bisher gemeistert hat, so sehr muss die Politik angesichts der an diesem Abend locker ins Nichts getragenen Forderungen beweisen, dass man die sichtbar gewordenen Fehler im System nun endlich behebt – oder das System ändert. Dass dieses eigentliche Thema bei all den vielen "Man sollte"-Phrasen nicht verloren ging, verdankte der Abend vor allem Jagoda Marinić.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.