• Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban droht damit, seine Fidesz-Partei aus der EVP-Fraktion im EU-Parlament abzuziehen.
  • An diesem Mittwoch wird sich zeigen, wie ernst es ihm damit wirklich ist.
  • Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Konflikts, der seit Jahren in der Europäischen Volkspartei (EVP) brodelt.

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Viktor Orban bläst zum Gegenangriff. Seiner Fidesz-Partei droht im Europaparlament die Suspendierung aus der christdemokratischen EVP-Fraktion. Das will sich der ungarische Ministerpräsident nicht gefallen lassen. Deshalb droht er, seine Abgeordneten selbst abzuziehen.

An diesem Mittwoch dürfte sich zeigen, wie ernst der rechtsnationale Ungar es meint. Dann soll die EVP-Fraktion, der auch CDU-, CSU- sowie ÖVP-Abgeordnete angehören, über eine neue Geschäftsordnung abstimmen, die die Suspendierung und den Ausschluss ganzer Parteien ermöglichen würde.

Es ist quasi die Lex Fidesz. Und es ist der vorläufige Höhepunkt eines Konflikts, der seit Jahren in der Europäischen Volkspartei brodelt und diese zu spalten droht. In den Hauptrollen, neben Orban und Fraktionschef Manfred Weber (CSU): Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und seit kurzem auch der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet.

Orban und Fidesz-Partei schon lange eine Belastung EVP-Parteienfamilie

Die EVP bildet die größte Fraktion im Europaparlament, stellt etliche EU-Staats- und Regierungschefs und vereint christdemokratische, konservative und auch rechtspopulistische Parteien unter einem Dach. Orban und seine Fidesz-Partei sind jedoch schon lange eine Belastung für die Parteienfamilie. Kritiker werfen Ungarns Regierung vor, Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen.

In Berlin und Brüssel tat man sich dennoch lange schwer mit klarer Kante gegen den Haudrauf aus Budapest. Brücken bauen und im Dialog bleiben - dieses Motto verfolgten vor allem die deutschen Unionsparteien, ohne die in der EVP nicht viel geht. Dabei spielte auch die Sorge eine Rolle, Orban könnte sich mit Rechtspopulisten wie Matteo Salvini aus Italien, Geert Wilders aus den Niederlanden und Marine Le Pen aus Frankreich zu einer großen rechten Fraktion zusammenschließen.

Die erste Zuspitzung brachte 2019 eine Plakat-Kampagne der Regierung in Ungarn, die den damaligen EU-Kommissionschef und EVP-Mitglied Jean-Claude Juncker sowie US-Milliardär George Soros als Förderer illegaler Migration diffamierte. Kurz vor der Europawahl rang sich die EVP dazu durch, den Fidesz zu suspendieren - auf Parteiebene.

Orban selbst verkaufte das als selbstgewählten Schritt. Wenig später kündigte der Ungar dem Bayern Manfred Weber, der damals Kommissionschef werden wollte, die Gefolgschaft.

Die Fidesz-Mitgliedschaft in der Partei ruht seitdem, einer endgültigen Entscheidung kam auch die Corona-Pandemie in die Quere. In der Fraktion machen die rund ein Dutzend Fidesz-Abgeordneten bislang jedoch weiter mit - und verteidigen Orbans Politik, die das Asylrecht einschränkt und die Medienvielfalt beschneidet. Jetzt, zwei Jahre später, könnte mit dieser Rücksicht Schluss sein.

Auslöser ist eine verbale Entgleisung des Fidesz-Abgeordnete Tamas Deutsch, der Weber-Aussagen Ende vergangenen Jahres in die Nähe der Gestapo rückte. Rund 40 Fraktionskollegen forderten damals Deutschs Ausschluss - doch Weber konnte sich dazu nicht durchringen.

Aus Fraktionskreisen heißt es, Merkel habe Weber gebeten sich zurückzuhalten, weil in Ungarn und anderen EU-Staaten noch die Zustimmung für das Corona-Hilfspaket ausstand. Deutsch verlor nach turbulenter Fraktionssitzung im Dezember nur einige Rechte in der Fraktion.

Neue Geschäftsordnung soll es ermöglichen, ganze Gruppen auszuschließen

Etliche EVP-Abgeordnete sehen aber in dieser Entscheidung einen kapitalen Fehler Webers. Er habe es verpasst, in einem konkreten Fall klare Kante zu zeigen, sagen mehrere im vertraulichen Gespräch. Denn bei immer mehr EVPlern ist die Geduld mit dem Fidesz zu Ende - auch unter den sonst eher zurückhaltenden Deutschen. "Ich kann da keine Verbindungslinie mehr erkennen", sagt etwa Dennnis Radtke (CDU).

Nun soll die Fraktion am Mittwoch über die neue Geschäftsordnung abstimmen, die infolge der Dezember-Sitzung ausgearbeitet wurde. Diese soll ermöglichen, nicht mehr nur einzelne Abgeordnete, sondern auch ganze Gruppen aus der Fraktion auszuschließen oder sie zu suspendieren - und so Entscheidungen der Parteienfamilie nachvollziehen. Ist eine nationale Partei wie der Fidesz aus der EVP suspendiert, kann die Entscheidung auf Vorschlag des Fraktionspräsidiums auch im Parlament getroffen werden. Dafür bräuchte es mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen.

Aus Fraktionskreisen heißt es, sobald die neue Geschäftsordnung angenommen sei, dürfte innerhalb weniger Tage der Vorschlag zur Fidesz-Suspendierung folgen. Eine Mehrheit gilt als sicher. Othmar Karas (ÖVP) hat bereits angekündigt, das neue Instrument unverzüglich gegen Fidesz einsetzen zu wollen.

Orban gibt sich nicht einfach geschlagen

Doch lässt Orban sich das Heft des Handelns nur ungern aus der Hand nehmen. Am Sonntag schrieb er mit dem Briefkopf der ungarischen Regierung an Weber: "Diese Änderungen sind maßgeschneidert, um Fidesz-Abgeordnete zu sanktionieren." Das werde er nicht hinnehmen. Orban warf seinen Parteikollegen "zutiefst undemokratisches" Verhalten vor.

Falls die Fraktion den Änderungen zustimme, werde seine Partei die Fraktion von sich aus verlassen, drohte Orban. Die EVP bliebe zwar stärkste Kraft im Europaparlament, doch fehlten der Fraktion wichtige Stimmen. Zudem bekäme eine Gruppe rechts der EVP wohl Zuwachs.

Die EVP-Fraktionsspitze will sich davon nicht einschüchtern lassen. Die Abstimmung werde so oder so stattfinden, heißt es. Ein Großteil der Fraktion wäre wohl ohnehin erleichtert, wenn Orban von sich aus ginge. "Reisende soll man nicht aufhalten", meint Radtke. Er tritt als einer der wenigen deutschen EVP-Mitglieder seit Langem für eine harte Linie gegen Fidesz ein. Von den Drohungen aus Ungarn zeigt sich Radtke unbeeindruckt. "Wenn Orban jetzt selbst geht, ist das Problem auch gelöst."

Orban selbst hat schon oft damit kokettiert, mit anderen, rechten Parteien zu kooperieren. So greifbar wie jetzt war der Bruch mit der EVP allerdings selten. Dabei ist unklar, ob der Fidesz nur die Fraktion oder auch die Parteienfamilie EVP verlassen würde. Denn die Kontakte zu all den einflussreichen EVP-Politkern - Merkel, Kommissionschefin Ursula von der Leyen oder Österreichs Kanzler Sebastian Kurz - sind von unschätzbarem Wert.

Doch könnte es auch damit bald vorbei sein. EVP-Chef Donald Tusk dringt schon lange darauf, den Fidesz komplett auszuschließen. Im Juni dürfte er einen neuen Versuch starten - falls Orban bis dahin nicht von sich aus gegangen ist. Dann dürfte auch die Position des neuen CDU-Chefs Laschet ausschlaggebend sein. Der mögliche Kanzlerkandidat hatte eine klare Positionierung in der Angelegenheit bislang vermieden. (dpa/afp/pak/mf)

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