SPD-Chef Lars Klingbeil glaubt noch immer an ein sozialdemokratisches Jahrzehnt. Im Interview spricht er über die Lage seiner Partei, wirtschaftliche Turbulenzen und rote Linien im Haushaltsstreit.

Seit 2021 stellt die SPD wieder den Bundeskanzler. Und damit rückt auch ein Mann ins Zentrum, der dafür sorgen muss, dass in der Ampel die Farbe rot kräftig leuchtet: SPD-Chef Lars Klingbeil. Doch zuletzt lief es für die Genossen nicht gut. Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gingen verloren. Im Haushalt für das Jahr 2025 klafft noch eine Milliardenlücke. Und die Ampelkoalition wirkt zerrüttet.

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Klingbeil ist von all dem wenig begeistert. Er empfängt zum Gespräch im Willy-Brandt-Haus, zuvor war VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo zu Gast. Noch so eine Baustelle: Auch Deutschlands größter Autobauer erlebt turbulente Zeiten. Was nun?

Herr Klingbeil, im Bundestag laufen die Haushaltsberatungen fürs kommende Jahr. Der Regierung fehlen mindestens 2,4 Milliarden Euro. Wo soll das Geld herkommen?

Lars Klingbeil: Es ist jetzt die Aufgabe des Parlaments, zu erledigen, was die Regierung schon hätte machen können. Alle drei Fraktionen werden nochmal sehr genau auf den Haushalt schauen. Für mich als SPD-Chef gilt: Dieser Haushalt muss leisten, was für unser Land notwendig ist: Investitionen in die Zukunft, in Straßen und Schienen, in unsere Sicherheit. Und wir werden nicht zulassen, dass bei den Renten gespart wird, wir werden nicht zulassen, dass bei wirtschaftlicher Stärke gespart wird. Diese Punkte sind unverrückbar.

CDU-Chef Friedrich Merz findet: Die Haushaltspolitik der Ampel ist nicht seriös.

Was Friedrich Merz seriös findet und was nicht, ist für mich keine Währung. Schauen Sie sich an, was er diese Woche für eine Show abgezogen hat. Wir haben ihm die Hand ausgestreckt, beim Thema Migration als Demokraten gemeinsam etwas hinzubekommen. Aber er ist vor der Verantwortung weggelaufen. Das passiert bei ihm immer, wenn es ernst wird. Es ist einfach, aus der Opposition heraus markige Sprüche zu klopfen, aber zu Politik gehört auch die Bereitschaft für Lösungen.

Der Bundeshaushalt hat ein Volumen von knapp einer halben Billion Euro. Was sagt es über den Zustand der Koalition aus, wenn sie es nicht schafft, sich auf eine Mini-Einsparung von 2,4 Milliarden Euro zu einigen?

Für die SPD kann ich klar sagen, wir stellen uns die Finanzpolitik in diesem Land anders vor. Wir brauchen mehr Spielräume, um unser Land für die Zukunft fit zu machen und zu investieren. Um dafür die politischen Mehrheiten zu bekommen, wird es bei der nächsten Bundestagswahl gehen.

Saskia Esken meinte nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen, dass jetzt mehr SPD in der Ampel stattfinden muss: Hat sich Ihre Partei zu lange von den kleineren Koalitionspartnern auf der Nase herumtanzen lassen?

Wir waren stark in der Moderationsrolle. Ich will nicht bewerten, ob das richtig oder falsch war. Aber ich erwarte von der Regierung in dieser Legislatur noch die Umsetzung einiger Vorhaben, die für die SPD sehr wichtig sind.

Und zwar?

Das Tariftreuegesetz, das am Ende dazu führen wird, dass wir bessere Löhne haben, ist ein wichtiger Punkt. Die Regierung muss sich außerdem darauf konzentrieren, für die Industriearbeitsplätze zu kämpfen. Und auch für das Rentenpaket gibt es eine Zusage im Koalitionsvertrag, das muss jetzt kommen. Es geht darum, dass diejenigen, die jahrelang hart für unser Land gearbeitet haben, sich auf eine stabile Rente verlassen können. Es hat immer Klarheit darüber gegeben, was die Sozialdemokratie will, und ich habe die Erwartung, dass das jetzt umgesetzt wird.

Sie nennen das Moderationsrolle. Aber hat die Parteiführung nicht auch die Regierung zu lange verteidigt, statt für die SPD auf den Tisch zu hauen?

Wenn es um Familien, um die hart arbeitende Mitte, um Rentnerinnen und Rentner geht, haben wir unsere Punkte gesetzt. Weil es uns wichtig ist, das Leben der Fleißigen zu verbessern. Mit einem höheren Mindestlohn, mit stabilen Renten, mit einem Kindergeld auf Rekordhöhe. Wir stehen allerdings nicht für permanenten Konflikt und Streit. Wir arbeiten für Verbesserungen, die die Menschen in Zeiten von Inflation im Geldbeutel spüren.

Der Kanzler hat sich für einen Mindestlohn von 15 Euro ausgesprochen. Kritiker meinen, dass durch einen höheren Mindestlohn auch alle anderen Löhne steigen müssen – und sich das so manches Unternehmen nicht leisten kann.

Als Sozialdemokrat finde ich es richtig, wenn Löhne steigen. Das Leben ist teurer geworden. Da ist es nur gerecht, wenn Arbeit sich lohnt und die, die das Land am Laufen halten, auch mehr Geld in der Tasche haben.

Olaf Scholz und Christian Lindner

Scholz macht Druck bei der Rente, die FDP zögert

Vor der Haushaltsdebatte 2025 soll das zweite Rentenpaket verabschiedet werden. Olaf Scholz setzt auf zügige Entscheidungen im Bundestag. (Credit Teaserphoto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)

Verantwortlich für die Anhebung des Mindestlohns ist aber eine Kommission. Wie stark darf Politik hier eingreifen?

Die Kommission haben wir auf den Weg gebracht, damit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam den Mindestlohn festlegen und Vorschläge machen. Ich bin enttäuscht von der Arbeitgeberseite. Die hat sich bei der letzten Entscheidung rigoros durchgesetzt, statt sich auf einen gemeinsamen Vorschlag zu einigen. Deswegen dürfen wir diese Entscheidung sehr wohl kritisieren und ein deutliches Signal an die Kommission senden.

"Klar ist aber auch, wer sich einer Zusammenarbeit mit dem Staat verweigert, der wird das zu spüren bekommen."

SPD-Chef Lars Klingbeil

Auch das Leben von Bürgergeldbeziehenden ist teurer geworden. Trotzdem werden die Regelsätze 2025 nicht steigen. Lässt sich die SPD hier von der Union treiben?

Ich fühle mich nicht getrieben. Die Erklärung ist simpel: Die Inflation ist zurückgegangen, das wirkt sich auf die Regelsätze aus. Die Nullrunde ergibt sich aus der Berechnung, die wir gemeinsam mit CDU/CSU verabschiedet haben.

Das Bürgergeld sollte die Sozialreform des Jahrzehnts werden. Von den vielen Verbesserungen gegenüber dem Hartz-System wurde nun wieder einiges zurückgedreht. Vom sozialdemokratischen Jahrzehnt scheint nicht viel geblieben.

Das Bürgergeld einzuführen, war richtig. Wir bringen Menschen durch Qualifizierung und Weiterbildung auf den ersten Arbeitsmarkt. Klar ist aber auch, wer sich einer Zusammenarbeit mit dem Staat verweigert, der wird das zu spüren bekommen. Es gibt kein Recht auf Faulheit. Und zum zweiten Teil ihrer Frage: Wir sind mitten in einem sozialdemokratischen Jahrzehnt, wenn Sie auf die Herausforderungen schauen, die wir bewältigen müssen. Die Handlungsfähigkeit des Staates, Investitionen in Infrastruktur und Gerechtigkeitsfragen, das sind alles Themen, die sozialdemokratische Antworten erfordern.

Bei Volkswagen stottert der Motor. Der Vorstand schließt Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus. Muss die Politik helfen?

Zunächst muss klar benannt werden, was bei Volkswagen schiefgelaufen ist. Die Beschäftigten haben keine Fehler gemacht, es war die Konzernführung, die notwendige Reformen verschleppt und Strukturveränderungen verpennt hat. Ich denke an den Dieselskandal oder das Thema Elektromobilität, wo die Chinesen konsequenter waren. Darunter dürfen aber nicht die VW-Mitarbeiter leiden. Jetzt Leute rauszuschmeißen, ist genau die falsche Antwort in so einer Krise.

Aber nochmal: Kann die Politik Volkswagen unter die Arme greifen?

Ja, als SPD werden wir um jeden Industriearbeitsplatz kämpfen. Und die Unternehmen brauchen Klarheit und Planbarkeit. Dann kann die Politik schauen: Braucht es wieder eine Förderprämie für E-Autos? Bei der Frage der Infrastruktur, also Ladesäulen, drückt der Kanzler bereits aufs Tempo. Beides ist wichtig für die gesellschaftliche Akzeptanz von Elektromobilität.

"Friedrich Merz ist schon wieder auf Hochtouren und redet das ganze Land schlecht, Schuld ist natürlich immer die Ampel."

SPD-Chef Lars Klingbeil

Die Ampel hat erst im Dezember letzten Jahres die Kaufprämie für E-Autos abgeschafft.

Und das lag an den Haushaltsschwierigkeiten. Aber man muss festhalten, dass die Förderung hilfreich war, um Elektromobilität in Deutschland zu stärken.

Volkswagen ist nicht das einzige Unternehmen, das in der Krise steckt. Auch bei Thyssenkrupp, BASF oder Bosch läuft es nicht gut. Ist der Standort Deutschland in Gefahr?

Da muss man wirklich aufpassen. Friedrich Merz ist schon wieder auf Hochtouren und redet das ganze Land schlecht, Schuld ist natürlich immer die Ampel. Dabei hat die Union 16 Jahre zuvor regiert – und den Wandel verschlafen. Natürlich gibt es viel zu tun: beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Digitalisierung, auch bei E-Mobilität, beim Fachkräftemangel. Deutschland ist aber die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, an Niedergangserzählungen beteilige ich mich nicht. Ich stecke meine Energie da rein, dass unser Land stark bleibt.

Sie waren kürzlich beim Nominierungsparteitag der Demokraten in den USA. Dort haben Sie erlebt, welche Euphorie eine neue Kandidatin auslösen kann. Haben Sie auch mal gedacht: Olaf Scholz muss den Joe Biden machen?

Nein, das habe ich nicht. Trotzdem war der Parteitag beeindruckend: Die Demokraten legen den Fokus auf die arbeitende Mitte, auf die Anständigen, die Solidarischen – die große Mehrheit. Das ist eine sozialdemokratische Erzählung, die ich mitgenommen habe und an der wir auch arbeiten werden. Darum geht es bei der Bundestagswahl 2025.

Geht die SPD auch dann mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat in die Wahl, wenn Brandenburg am 22. September verloren geht?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Dietmar Woidke die AfD besiegt und Ministerpräsident bleibt. In Brandenburg spitzt sich der Wahlkampf auf die Frage zu: Woidke oder AfD. Mit Dietmar Woidke haben die Bürgerinnen eine starke Wahl, der beliebte Amtsinhaber, der Brandenburg nach vorne gebracht hat, der Klartext spricht und volksnah ist.

Zur Person

  • Lars Klingbeil wurde 1978 im niedersächsischen Soltau geboren. Er ist einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD. Zuvor war er Generalsekretär der Partei. Seit 2009 ist Klingbeil Abgeordneter im Bundestag. Er gehört dem als konservativ geltenden SPD-Flügel "Seeheimer Kreis" an, seine Schwerpunkte: Verteidigungs-, Außen- und Netzpolitik. 2025 soll er den Orden wider den tierischen Ernst des Aachener Karnevalvereins überreicht bekommen.
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