- Bundesinnenministerin Nancy Faeser lädt am Donnerstag zum Flüchtlingsgipfel ein.
- Länder und Kommunen pochen auf mehr finanzielle Unterstützung.
- Doch es dürfte nicht nur ums Geld gehen – sondern auch um grundsätzliche Fragen zu Migration und Integration.
Es geht um Kita-Plätze und Lehrkräfte, es geht um Sprachkurse, Weiterbildungen und Sozialleistungen. Aber es geht auch um eine menschenwürdige Unterbringung von immer mehr Menschen: Die stark gestiegene Zahl von Geflüchteten stellt die Länder und Kommunen in Deutschland vor große Herausforderungen. "Die Kapazitäten in den Städten und Gemeinden sind relativ ausgereizt – und die Bereitschaft, jetzt wieder Turnhallen zu schließen wie 2015 und 2016, ist dort nicht vorhanden", sagt zum Beispiel Thomas Hendele. Der CDU-Politiker ist Landrat des Kreises Mettmann und Präsident des Landkreistags Nordrhein-Westfalen.
Flüchtlingsgipfel im Bundesinnenministerium
Der russische Krieg gegen die Ukraine hat in Europa die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht. Knapp 1,1 Million Menschen aus der Ukraine wurden seit der Invasion in Deutschland registriert. Auch die Zahl der Asylbewerberinnen und -bewerber aus anderen Ländern steigt seit 2020 wieder. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 244.132 Asylanträge (ohne die Menschen aus der Ukraine).
Bundesinnenministerin
Landkreise: Bund muss Kosten für anerkannte Flüchtlinge übernehmen
Es wird wohl in erster Linie um Geld gehen. Geflüchtete aufzunehmen, versorgen und unterzubringen – das ist in der Bundesrepublik Aufgabe von Ländern, Kreisen, Städten und Gemeinden. Das Bundesinnenministerium betont, dass der Bund dabei schon jetzt finanzielle Unterstützung leistet: 3,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und 2,75 Milliarden Euro für dieses Jahr.
Allerdings ist das aus Sicht vieler Kommunen noch nicht ausreichend. Der Deutsche Landkreistag fordert, dass der Bund die Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge vollständig übernimmt. "Das wäre leicht umzusetzen und auch rechtlich ohne Weiteres möglich", erklärt Reinhard Sager (CDU) gegenüber unserer Redaktion. Er ist Präsident des Deutschen Landkreistags und Landrat des Kreises Ostholstein. "Der Bund hat dies bis Ende 2021 bereits getan. Dafür braucht es also den politischen Willen der Bundesregierung, auch an dieser Stelle die Kommunen zu entlasten", so Sager.
Die Kapazitäten sind laut Sager vielerorts erschöpft. Wobei es aus den Kommunen durchaus unterschiedliche Stimmen gibt: Der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) sagte zum Beispiel der Deutschen Welle, seine 340.000-Einwohner-Stadt habe 4.000 Geflüchtete aus der Ukraine gut verkraftet: Mehr als die Hälfte wohne bei Verwandten und Bekannten, niemand müsse mehr in der Turnhalle leben. "Im Grunde hat das System alle erreicht und aufgenommen."
Mehr Geld vom Bund? Finanzminister Lindner ist skeptisch
Bundesfinanzminister
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai mahnte vor Kurzem, die Länder dürften "keine klebrigen Hände" haben. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurden die Bundesmittel für die Flüchtlingsunterbringung im vergangenen Jahr noch eins zu eins an die Kommunen weitergegeben. In diesem Jahr will das Land aber die Hälfte der Zahlungen einbehalten, um die eigenen Aufgaben in dem Bereich zu meistern. Etwa den Betrieb von Erstaufnahmeeinrichtungen und die Gewinnung neuer Lehrkräfte für Sprachkurse und Willkommensklassen.
Trotzdem weist man in den Ländern das Bild der "klebrigen Hände" zurück: "Für Hessen können wir beispielhaft zeigen: Das Land schultert einen Großteil der finanziellen Lasten und stellt den Kommunen erheblich mehr Mittel zur Verfügung, als es vom Bund erhält", heißt es zum Beispiel aus dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration. Der dortige Minister Kai Klose (Grüne) ist derzeit Vorsitzender der Integrationsministerkonferenz.
Manche Probleme sind nur mittelfristig zu lösen
Das Bundesinnenministerium verweist zudem auf eine andere Unterstützung: Aktuell überlässt der Bund den Ländern und Kommunen 333 Immobilien mietfrei, um dort 69.000 Menschen unterzubringen. Allerdings gibt es auch da einen Haken: "Ich höre flächendeckend, dass viele vom Bund angebotenen Immobilien erst mal sanierungsbedürftig sind. Wir brauchen Gebäude, die zweckmäßig und schnell verfügbar sind", sagt NRW-Landkreistags-Präsident Hendele.
Schnelle Erfolge dürften in diesem Bereich also auf sich warten lassen. Gleiches gilt etwa für die Betreuung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen: Auch hier pochen Länder und Kommunen auf mehr Erziehungs- und Lehrkräfte – auch hier dürfte wegen des allgemeinen Personalmangels nicht sofort Abhilfe zu schaffen sein.
Eine weitere Frage: Wie viel Migration lässt Deutschland zu?
Wahrscheinlich wird es am Donnerstag aber nicht nur um Finanzen gehen. Landkreistags-Präsident Sager fordert auch Schritte der Bundesregierung, um die "irreguläre Migration" nach Deutschland zu begrenzen. Ähnlich sieht das sein Kollege Hendele: "Wenn wir weiterhin Menschen in dieser Zahl aufnehmen, wird das zu erheblichen Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung führen."
Über dieses Thema hat auch Nancy Faeser zuletzt verstärkt gesprochen. Das Bundesinnenministerium verweist unter anderem auf verstärkte Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, Tschechien und der Schweiz. Am Gipfel wird außerdem Joachim Stamp teilnehmen: Der FDP-Politiker ist seit kurzem Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Seine Aufgabe besteht auch in der Bremsung der irregulären Migration.
Stamp hat vorgeschlagen, dass Asylverfahren für auf dem Mittelmeer gerettete Menschen künftig in Nordafrika durchgeführt werden. "Das erfordert aber sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf", sagte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlinhalt). Auch hier gilt: Schnelle Reformen sind unwahrscheinlich: Eine Steuerung der Migration ist eher eine Angelegenheit für die Ebene der Europäischen Union – und die ist bei diesem Thema traditionell zerstritten.
Bessere Integration durch mehr Teilhabe?
Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wie Geflüchtete möglichst schnell Anschluss finden in der hiesigen Gesellschaft. Die Integrationsministerinnen und -minister der Länder fordern auch hier mehr Bundesmittel für Integrationsmaßnahmen. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration weist zum Beispiel darauf hin, dass der Bund seine Zahlungen für Sprachkurse von 45,6 Millionen Euro im Vorjahr auf jetzt 23,2 Millionen Euro reduziert habe – und fordert eine Rücknahme der Einsparungen.
Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) erinnert an die rechtliche Stellung der Geflüchteten aus der Ukraine: Im Gegensatz zu Asylbewerbern aus anderen Staaten können sie in Deutschland sofort arbeiten. "Damit haben wir positive Erfahrungen gemacht, und diese Erfahrungen sollten auf Asylsuchende ausgeweitet werden", teilte Kipping in der vergangenen Woche mit.
Sprachkurse und Integration in den Arbeitsmarkt hängen allerdings auch zusammen. "Der Flaschenhals ist die Sprache", sagt Mettmanns Landrat Thomas Hendele. "Die Frage ist: Wie qualifiziere ich die Menschen, damit ich sie in unsere hoch technisierten Arbeitsprozesse eingliedern kann? Auch ein Handwerker kann niemanden gebrauchen, der sich nicht mit den Kunden verständigen kann."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Thomas Hendele
- Stellungnahme von Reinhard Sager, Deutscher Landkreistag
- Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, Pressestelle
- bamf.de: Schlüsselzahlen Asyl 2022
- bmi.bund.de: Bundesinnenministerin Faeser lädt zum Flüchtlingsgipfel ins BMI
- dw.com: Deutschland vor zweitem Flüchtlingsgipfel
- faz.net: Migrationsbeauftragter Stamp: "Manche Jungs glauben, dass sie bei uns fürs Fußballspielen bezahlt werden"
- handelsblatt.com: Lindner dämpft Erwartungen an Zuschuss für Flüchtlingskosten
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