Die Liste an Angriffen auf Wahlkämpfer im aktuellen Bundestagswahlkampf wird immer länger. Zuletzt wurden Helfer der CDU gewaltsam beim Flyer-Verteilen attackiert. Aber auch andere Parteien wie Grüne und AfD sind immer wieder Ziel von Attacken. Ein Betroffener berichtet, welche Erfahrungen er im Wahlkampf gemacht hat – und warum er jetzt erst recht nicht aufgibt.

Mehr zur Bundestagswahl 2025

Eigentlich sollte es für Jan-Phillipp Heuer eine typische Verteilaktion im aktuellen Bundestagswahlkampf werden: Flyer einwerfen, vielleicht das ein oder andere Gespräch an der Haustür führen, für die eigenen Positionen werben. Doch was der 24-Jährige am vergangenen Dienstag, 4. Februar, erlebte, hat sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt – denn der Tag endete mit einem Polizeieinsatz.

"Wir haben uns in kleine Teams aufgeteilt und wollten Flyer in die Briefkästen am Winterfeldplatz werfen", erinnert sich das CDU-Mitglied aus Tempelhof-Schöneberg im Gespräch mit unserer Redaktion. In Mehrfamilienhäusern müssen die Wahlkampfhelfer dafür teilweise klingeln, um an die Briefkästen zu kommen.

Opfer schildert Angriff auf Wahlkampfhelfer

"Als wir gesehen haben, dass jemand aus dem Mehrfamilienhaus nach Hause kommt, haben wir ihn gefragt, ob wir mit in den Flur kommen dürfen", sagt Heuer. Nachdem die jungen Wahlkampfhelfer auf Rückfrage geantwortet haben, in wessen Auftrag sie kämen, wurde der Mann schlagartig aggressiv. "Er hat uns beleidigt, angepöbelt und gerufen, dass wir uns verpissen sollen", erinnert sich der Berliner.

Die CDUler versuchten zu deeskalieren: Akzeptierten die Ablehnung und äußerten, dass sie dann bei jemand anderem klingeln würden. "Daraufhin drohte uns der Mann, wir sollten nur reinkommen und würden schon sehen, was passieren wird", berichtet Heuer. Er und sein Parteikollege hielten das für eine leere Drohung – eine solche eben, wie sie sie schon häufig erlebt haben. "Beleidigungen und Drohungen erleben wir im Wahlkampf immer wieder." Bereits beim Plakatieren sei die Stimmung aufgeheizt gewesen. Diesmal aber war es eine Fehleinschätzung, denn es blieb nicht bei der Drohung.

"Wir klingelten bei einer anderen Bewohnerin und uns wurde die Tür geöffnet. Kurze Zeit später ging das Licht an und der Mann kam wutentbrannt die Treppe herunter", sagt Heuer. Er habe sofort ein schlechtes Gefühl gehabt.

Der Rest ist im Polizeibericht nachzulesen: Die Wahlkampfhelfer werden geschubst, am Kragen gepackt und von dem Mann gewaltsam aus dem Haus befördert. Heuer stürzt, holt sich dabei mehrere Hämatome. Sein Handydisplay geht zu Bruch.

"Direkt nach der Tat stand ich unter Schock."

Jan-Phillipp Heuer

"Direkt nach der Tat stand ich unter Schock. Ich konnte erst einmal gar nicht begreifen, was da passiert ist – jemand hat Gewalt angewendet, weil ich von der CDU kam", sagt Heuer. Der Vorfall beschäftige ihn sehr. "Ich mache das als Ehrenamt, ich mache es freiwillig. Statt Flyer zu verteilen, könnte ich auch Fußball mit Freunden gucken."

Jan-Phillip Heuer ist kein Einzelfall: Die Zahl der Angriffe auf Politiker und Wahlkämpfer ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Liste der Angriffe im aktuellen Bundestagswahlkampf ist jetzt schon lang.

Am selben Tag wie Heuer wurden laut Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin Helfer der Grünen am U-Bahnhof Ullsteinstraße im Stadtteil Tempelhof attackiert. Dabei wurde ein 26-Jähriger homophob beleidigt und bedroht, sein Flyer wurde bespuckt. Einem 41-Jährigen wurde ins Gesicht geschlagen. Bereits Anfang Januar hatte ein Unbekannter in München an einem Infostand der Grünen zunächst gepöbelt und dann den gesamten Infostand zerstört.

Beunruhigender Trend

Betroffen sind aber nicht nur CDU und Grüne: In Sachsen sind beispielsweise Ende Januar Wahlkämpfer von AfD und SPD beleidigt und bedrängt worden. An einem Infostand der Jugendorganisation der Linken in Dresden sollen Angreifer einen Tisch beschädigt und die Wahlkämpfer bedroht haben. Beim Plakatieren in Dresden drohte ein Fahrradfahrer linken Wahlkämpfern: "Euch Kommunisten hängen wir alle an die Bäume."

Die Vorfälle reihen sich ein in den laut Bundeskriminalamt steigenden Trend politisch motivierter Straftaten gegen Amtsträger und/oder Mandatsträger. In den letzten beiden Jahren sind die Taten um 29 beziehungsweise 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – auf zuletzt rund 5.000. Eine gesonderte Statistik für Attacken auf Wahlkämpfer gibt es nicht. "Dass immer mehr Wahlkämpfer betroffen sind, zeigt ja, dass die Hemmschwelle gesunken ist", sagt Heuer. Er hat aus anderen Ortsverbänden bereits viele Berichte von Vorfällen gehört.

Grüne und AfD besonders häufig betroffen

Die meisten der in den Statistiken erfassten Delikte waren Beleidigungen, Bedrohungen, Volksverhetzungen und Sachbeschädigungen. Hier waren die Grünen am häufigsten betroffen. Bei Gewaltdelikten, etwa 100 insgesamt, traf es besonders die AfD. Geografisch betrachtet ereigneten sich im vergangenen Jahr die meisten Angriffe auf Politiker in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl aber liegen Berlin, Thüringen und das Saarland vorn.

Lesen Sie auch

Entmutigen lassen will sich Heuer aber von all dem nicht. "Ich habe schon wenige Tage danach wieder Wahlkampf gemacht – allerdings in einer ruhigen Gegend. Bei den ersten Malen Klingeln war aber ein komisches Gefühl da", gibt er zu. Für ihn gelte das Motto: "Jetzt erst recht. Denn so etwas darf nicht zum Normalfall werden."

Heuer hat viel Zuspruch bekommen: Nachrichten aus ganz Deutschland haben ihn erreicht, selbst Generalsekretär Carsten Linnemann hat sich gemeldet. Allein geht keiner der Wahlkampfhelfer mehr in ein Haus. "Wir sind immer in Teams unterwegs, haben ein Handy dabei", sagt Heuer. Das LKA hat dazu geraten, Infostände vorsorglich bei der Polizei anzumelden. "Ein komisches Gefühl. Wir sind eine politisch mittige Partei." In der aufgeheizten Stimmung will er an einem weiteren Grundsatz festhalten: Nicht der Stärkste, sondern das beste Argument soll gewinnen.

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.