Am Bündnis Sahra Wagenknecht führt ab sofort kein Weg mehr vorbei – zumindest in Sachsen und Thüringen. Doch wie schafft es eine Partei, die erst vor kurzem gegründet wurde, solch immense Erfolge zu feiern?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lara Lattek sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als großer Gewinner der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen kann sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fühlen. Nicht einmal ein Jahr ist die Partei alt und schon hat sie in beiden Bundesländern zweistellige Ergebnisse erzielt (Sachsen: 11,8 Prozent, Thüringen: 15,8 Prozent).

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Dieser rasante Aufstieg von null auf hundert hat das BSW zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft gemacht, die nun die politische Landschaft in den beiden Bundesländern maßgeblich beeinflusst. Doch wie lässt sich dieser enorme Wahlerfolg einer Partei erklären, deren Zukunft mit vielen Fragezeichen versehen ist?

Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des BSW ist die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der aktuellen Bundesregierung beziehungsweise den Ampel-Parteien.

Viele Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen sehen in der Ampel nicht mehr die Kraft, "die richtigen Themen zu besetzen und adäquat zu handeln.", findet Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Das spiegelt sich in den Wahlergebnissen wider: Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen verlieren SPD, FDP und Grüne drastisch an Stimmen.

Ursula Münch ist Politikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Innenpolitik und vergleichende Regierungslehre und Direktorin der Akademie für Politische Bildung.

Wachsende Frustration im Osten: Ein Nährboden für das BSW

Diese wachsende Frustration in Ostdeutschland, insbesondere über hohe Inflation, wirtschaftliche Stagnation und steigende Energiekosten, schafft einen fruchtbaren Boden für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Viele Ostdeutsche bringen diese Probleme in Verbindung mit der aktuellen Bundesregierung, wie die "Financial Times" betont.

Zudem sind die irreguläre Zuwanderung und die Kritik an Waffenlieferungen in die Ukraine wichtige Gründe für den Erfolg des BSW. In diesen Punkten konnte das BSW zusammen mit der AfD punkten.

Gleichzeitig gelinge es dem BSW, gezielt Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die sich Veränderungen wünschen, denen die AfD jedoch zu radikal erscheint, erklärt Ursula Münch.

Die Krise der Linkspartei: Das BSW füllt eine Lücke

Ein weiterer entscheidender Grund für den Erfolg des BSW liegt in der Schwäche der Linkspartei, die in beiden Bundesländern viele Wähler an das BSW verloren hat. Münch erklärt, dass die Linkspartei "zersplittert ist und es nicht mehr schafft, die Sorgen der Menschen im Osten, wie einst nach der Wende, aufzugreifen".

Diese politische Lücke füllt nun das BSW, dem viele Wähler zutrauen, die besonderen Anliegen der ostdeutschen Bevölkerung zu vertreten – eine Rolle, die die Linkspartei zunehmend verloren hat.

Suche nach Koalitionspartnern

Vertrauen in eine Partei, deren zukünftiger Kurs weitgehend ungewiss ist? Diese Frage muss sich angesichts des Wahlerfolgs des BSW jetzt auch die CDU in Sachsen und Thüringen stellen, die vor der Aufgabe steht, eine regierungsfähige Koalition zu bilden. Die AfD als Partner hat sie in beiden Ländern ausgeschlossen.

Ursula Münch sieht das BSW daher als den wahrscheinlichsten Koalitionspartner: "Es gibt nicht viele andere Möglichkeiten. Die CDU muss nun abwägen, ob das Risiko größer ist, mit Sahra Wagenknecht zu koalieren oder mit der SPD eine schwach ausgestattete Minderheitsregierung zu bilden."

Eine mögliche Koalition mit dem BSW birgt jedoch erhebliche Herausforderungen. Die Zusammenarbeit mit einer linksgerichteten Partei könnte, ähnlich wie in der Ampelkoalition, zu Interessenskonflikten und dauerhaften Spannungen führen. Münch betont: "Beim Bündnis Sahra Wagenknecht wissen wir noch nicht, welche Leute in den Landtag einziehen. Viele sind politisch unerfahren und es ist unklar, wie verhandlungssicher sie sind und wie sie sich in der Regierungsarbeit verhalten werden." Diese Unsicherheiten könnten die Zusammenarbeit erschweren.

Mögliche Interessensgegensätze zwischen CDU und BSW

Zusätzlich stellt Wagenknecht klare Forderungen, die potenzielle Koalitionspartner vor schwierige Entscheidungen stellen dürften. Sie verlangt unter anderem eine ablehnende Haltung gegenüber Waffenlieferungen an die Ukraine sowie ein Nein zur Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland. Diese Positionen stehen im Widerspruch zu den Ansichten von CDU-Vertretern wie Thüringens Spitzenkandidat Mario Voigt, der die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine als wichtig erachtet.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer dagegen steht Wagenknecht in der Ukrainefrage bereits näher. So wich er von der Parteilinie ab, als er eine Kürzung der Waffenhilfen an die Ukraine forderte und Anfang August eine Volksbefragung zur geplanten Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland verlangte.

Darüber hinaus teilen beide Parteien bestimmte Positionen in der Sozial- und Migrationspolitik. Das BSW plant erhebliche Investitionen in die Sozialpolitik. Auch die CDU würde, Münch zufolge, den Sozialstaat nicht abbauen. In der Migrationspolitik verfolgen beide Parteien das Ziel, Asylverfahren zu beschleunigen, die Leistungen für ausreisepflichtige Asylbewerber kritisch zu überprüfen und langfristig Asylanträge nur noch an EU-Grenzen oder in Drittstaaten zuzulassen. Münch meint: "Da könnte man sich sicher auf einiges einigen."

Am Morgen nach der Wahl zeigt sich auch Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, offen für Sondierungsgespräche mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. "Es wird nicht einfach sein, es wird auch seine Zeit dauern, aber es ist möglich", sagte er im Deutschlandfunk und deutete damit an, dass trotz aller Herausforderungen eine Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen ist.

Verwendete Quellen:

Zur Person:

  • Prof. Dr. Ursula Münch war von 1999 bis 2011 Professorin für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Innenpolitik und Vergleichende Regierungslehre an der Universität der Bundeswehr München. Seit 2011 leitet sie als Direktorin die Akademie für Politische Bildung, wo sie ihre politische Expertise weiter vertieft und einbringt.
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