In Brandenburg setzt Dietmar Woidke alles auf eine Karte. Er will nur Ministerpräsident bleiben, wenn seine SPD die Wahl gewinnt. Woidkes Problem: Die AfD liegt auch hier in Führung. Was hat der Amtsinhaber vor?

Ein Interview

Der Ministerpräsident hängt vor der Staatskanzlei in Potsdam. "Wer Woidke will, wählt SPD", steht auf dem Plakat am Straßenrand. Ganz klar: Amtsinhaber Dietmar Woidke setzt im Brandenburger Landtagswahlkampf vor allem auf eines – sich selbst.

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Woidke ist beliebt im Land. Jeden Tag ist er in Brandenburg unterwegs, schüttelt Hände, spricht mit den Menschen. Am 22. September will er die Wahl gewinnen – sonst räumt er seinen Posten.

Zum Interview empfängt Woidke in seinem Büro. Er spricht über Fehler in der Migrationspolitik, seine "Alles-oder-nichts"-Strategie im Wahlkampf und sagt, warum er auf Unterstützung aus Berlin lieber verzichtet.

Herr Woidke, in Solingen hat ein 26-jähriger Syrer drei Menschen erstochen und acht zum Teil schwer verletzt. Welche Gefühle weckt diese Tat in Ihnen?

Erstmal vor allem große Erschütterung. Es ist brutal, dass Menschen aus dem Leben gerissen werden, die gerade noch fröhlich gefeiert haben. Solche Geschehnisse lassen niemand unberührt. Mich nimmt das sehr mit und meine Anteilnahme gilt den Angehörigen der Todesopfer. Den Verletzten wünsche ich möglichst schnelle Genesung.

Der Tatverdächtige hätte nicht in Deutschland sein dürfen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, im Juni vergangenen Jahres hätte er nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Was folgt für Sie daraus?

Ganz klar: Wir müssen die Migrationspolitik der letzten zehn Jahre auf den Prüfstand stellen. Es wurden viele Dinge gemacht, die – aus heutiger Sicht – nicht gut waren.

Zum Beispiel?

Um beim Fall Solingen zu bleiben: Es kann nicht sein, dass jemand untertaucht, wenn er abgeschoben werden soll und dann hinterher wieder im Asylbewerberheim lebt – so, als wäre nichts gewesen. Das ganze System muss auf den Prüfstand. Aktuell ist es so: Wer in einem europäischen Land ankommt, einen Asylantrag stellt, kann offensichtlich nach Belieben weiter in ein anderes Land reisen – bloß, weil er dort mehr Geld oder bessere Perspektiven vermutet. Das ist oft Deutschland. Das geht so nicht.

SPD-Chefin Saskia Esken sagt, aus Solingen lässt sich "nicht viel lernen".

Das sehe ich völlig anders. Es ist doch vollkommen klar, dass dieser schreckliche Vorfall ausgewertet werden muss und dass man schauen muss, wie es in NRW dazu kommen konnte. Und dass wir Schlüsse daraus ziehen – und es in der Asylpolitik Änderungen geben muss, um die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu garantieren und zugleich die Integration zu verbessern. Auch deshalb ist frühzeitige Arbeitsaufnahme dringlich.

CDU-Chef Friedrich Merz hat vorgeschlagen, Migration aus Syrien und Afghanistan komplett zu stoppen.

Ich würde mir etwas mehr Demut von der Union wünschen. CDU und CSU hatten 16 Jahre Verantwortung für das Bundesinnenministerium. Und jetzt tun sie so, als wäre die Ampel an allem schuld. Wir sollten gemeinsam eine Lösung finden – aber nicht Vorschläge für den Marktplatz formulieren.

In Mannheim ist Ende Mai ein Polizist erstochen worden. Am Frankfurter Hauptbahnhof wurde vor einigen Tagen ein Mann erschossen. Jetzt Solingen. Hat Deutschland ein Gewalt-Problem?

Deutschland hat es in den letzten Jahren mit einer Reihe schwerer Straftaten zu tun gehabt. Die Frequenz in den letzten Monaten ist besorgniserregend. Und deswegen braucht es hier die Zusammenarbeit aller Demokraten und starke Sicherheitsorgane, um dieses Problem zu lösen.

Wie soll das gehen?

In Brandenburg haben wir mehr Polizisten eingestellt. Aber natürlich bleiben offene Fragen bei der Migration. Genauso bei der Terrorabwehr: Nicht immer hat der Staat die Möglichkeit, in islamistischen Foren und Chatgruppen mitzuhören. Also: Wir müssen Polizei und Sicherheitsorgane besser ausstatten – und ihnen die entsprechenden Befugnisse geben, etwa Chatprotokolle nachzuverfolgen.

Sie wollen am 22. September als Ministerpräsident wiedergewählt werden. Haben Sie Sorge, dass von Ereignissen wie in Mannheim, Frankfurt und Solingen vor allem die AfD profitiert?

In Brandenburg haben wir vieles auf den Weg gebracht. In einem Landkreis ist die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt, bald folgt die Einführung landesweit, wir haben uns erfolgreich für Grenzkontrollen eingesetzt und wollen Islamismus härter bekämpfen. Nur: Brandenburg ist ein Bundesland – wir können nicht alles allein regeln. Dafür braucht es den Bund.

"Manchmal ist Demokratie ganz einfach."

Dietmar Woidke

In Brandenburg setzen Sie auf alles oder nichts. Sie wollen nur Ministerpräsident bleiben, wenn Sie am Ende die meisten Stimmen holen. Warum?

Wer Ministerpräsident bleiben will, erst recht als Spitzenkandidat, muss auch eine Landtagswahl gewinnen. Ich kenne kein Beispiel, dass ein Ministerpräsident im Amt geblieben wäre, der eine Wahl verloren hat. Es ist doch so: Ein Bürgermeister muss gewählt werden, ein Landrat – und ein Ministerpräsident auch. Manchmal ist Demokratie ganz einfach.

Es wäre aber auch möglich, als zweitstärkste Partei eine stabile Regierung zu bilden.

Viele Dinge sind möglich, ich setze aber auf Sieg. Gäbe es eine Direktwahl, würden mich über 50 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger direkt wählen. Mehr als die Hälfte der Menschen schätzt meine Arbeit als gut oder sehr gut ein. Für mich ist wichtig: Es geht um Brandenburg bei der Landtagswahl und nicht um eine Abstimmung über die Ampel. Woidke gibt es nur mit einer starken Brandenburg-SPD.

Die SPD steht in Brandenburg bei rund 20 Prozent. Im Vergleich zum Bund oder anderen Ost-Ländern ist das ein vergleichsweise guter Wert. Was machen Sie besser?

Wir vergleichen uns nicht mit dem Bund oder anderen Ländern. Wir versuchen hier gute Arbeit zu leisten. Und nah bei den Menschen zu sein. Das merke ich jeden Tag. Ich bin im ganzen Land unterwegs mit vielen direkten Gesprächen auf den Markplätzen. Es gibt ein großes Grundvertrauen in die Arbeit der Brandenburger SPD. Das muss man sich erarbeiten.

Aktuell bereitet die schlechte wirtschaftliche Lage vielen Menschen Sorgen. Brandenburg hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Mit Tesla ist Ihnen auch eine große Industrie-Ansiedelung gelungen.

Tesla ist ein Beispiel, es gibt noch viele weitere. Ich denke an die Deutsche Bahn, BASF, Rolls-Royce. Brandenburg ist ein attraktiver Standort. Wir sind seit Jahren an der Spitze beim Wirtschaftswachstum in Deutschland.

Tesla ist inzwischen einer der größten Arbeitgeber im Land. Gleichzeitig fällt CEO Elon Musk immer wieder mit rechtslibertären Äußerungen auf. Ein Problem?

Wir arbeiten vor allem mit dem Werk in Grünheide und der dortigen Leitung zusammen. Ich werde einzelne Äußerungen von Herrn Musk nicht kommentieren. Es liegt aber auf der Hand, dass ich sie nicht teile.

Der Tesla-Chef ist ein erklärter Gegner der Gewerkschaften, Tarifbindung lehnt das Unternehmen ab. Das kann Ihnen als Sozialdemokrat nicht gefallen.

Wir wollen starke Betriebsräte und starke Gewerkschaften, das gehört zur Tarifpartnerschaft. Die IG Metall ist nach den letzten Wahlen bei Tesla auch Teil des Betriebsrats. Und klar ist, dass Arbeitnehmerrechte gesetzlich garantiert sind. Was aber genauso wichtig ist: Tesla zahlt im Vergleich sehr gute Löhne und hat deutlich dazu beigetragen, dass die Durchschnittslöhne im Land gestiegen sind.

Brandenburg ist ein gespaltenes Land. Der Speckgürtel um Berlin ist wohlhabend. Die Mieten steigen. Potsdam zählt inzwischen zu den teuersten Städten Deutschlands. Gleichzeitig gibt es strukturschwache Regionen. Wie bringen Sie diese Welten zusammen?

Zunächst: Wir sind das einzige Bundesland im Osten, das heute genauso viele Einwohner hat wie 1989,1990. Es gibt Zuzug nach Brandenburg und das ist gut. Das Land ist nicht gespalten – regionale Unterschiede gibt es in jedem Land. Aber natürlich steigen die Mieten, vor allem im Berliner Umland. Bei uns entstehen 11.000 neue Wohnungen im Jahr und die Mittel für bezahlbares Wohnen wurden deutlich erhöht. Wir setzen auch auf Mobilität, um berlinfernere Regionen als Wohnort attraktiv zu machen. Ein Beispiel: Von Brandenburg an der Havel fährt zu Hauptzeiten dreimal stündlich ein Zug nach Berlin. Das geht viel schneller als mit dem Auto. Wir bauen auch anderswo die Taktfrequenzen aus. Die Schiene ist entscheidend.

"Für mich heißt es nicht Schiene oder Auto. Es heißt Schiene und Auto."

Dietmar Woidke

Und was ist mit dem Auto im Flächenland Brandenburg? Die FDP hat Sorge, dass ein Kulturkampf gegen Individualmobilität geführt wird.

Für mich heißt es nicht Schiene oder Auto. Es heißt Schiene und Auto. Wir sind ein Flächenland und es wird nicht möglich sein, jedes Dorf mit einem Bahnanschluss zu versehen. Wir brauchen also in der Fläche auch weiterhin gut ausgebaute Straßen. Trotzdem muss die Attraktivität der Schiene gesteigert werden. Das hilft auch dem Klima.

Die Ampel im Bund ist extrem unbeliebt. Ist das der Grund, warum Sie auf Unterstützung aus Berlin im Wahlkampf lieber verzichten?

Wir haben in Brandenburg schon immer auf unser eigenes Personal gesetzt, das ist nichts Neues. Wir sagen: Es geht um Brandenburg und um nichts anderes. Und das zeigen wir auch den Menschen im Land.

Bis zur Bundestagswahl dauert es noch rund ein Jahr. Wenn Sie einen Wunsch an Kanzler Olaf Scholz und seine Regierung frei hätten: Wie würde er lauten?

Ich wünsche mir vor allem wieder mehr Berechenbarkeit bei der Stromerzeugung. Das ist entscheidend für unsere Industrie. Was überhaupt nicht hilft, sind Forderungen, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 nach vorne zu ziehen. Woher soll die Energie dann kommen? Das sorgt für Verunsicherung. In der Industrie, den betroffenen Regionen und den Tausenden Menschen, die in diesem Bereich arbeiten.

Über den Gesprächspartner

  • Dietmar Woidke ist seit August 2013 Ministerpräsident von Brandenburg. Er wuchs in der Niederlausitz auf. Nach Abitur und Grundwehrdienst in der DDR studierte Woidke Landwirtschaft und Tierproduktion/Ernährungspsychologie an der HU Berlin. Mit 32 Jahren trat er in die SPD ein. 1994 zog Woidke erstmals in den Landtag ein. Nach dem Rücktritt von Matthias Platzeck wurde Woidke zum dritten Ministerpräsidenten von Brandenburg gewählt.
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