100 Jahre "Holzköppe": Die Puppenbühne "Holzköppe" feiert ihren 100. Geburtstag. Sie gehört damit zu den ältesten in Deutschland. Der kleine Familienbetrieb hat noch viel vor.

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Das klassische Marionettentheater übt auch heutzutage noch einen Zauber auf die Menschen aus – sagen die "Holzköppe". Und die müssen es wissen: Die Puppenbühne aus dem osthessischen Steinau feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag und gehört damit nach eigenen Angaben zu den ältesten ihrer Art in Deutschland.

Ihr treuestes Publikum sind Kinder. Die Nachfrage nach Aufführungen sei nach wie vor groß, sagt Bühnenchef Mario Magersuppe. Zusammen mit seiner Frau Wencke Wiest spielt er die Familienstücke nach den Märchen der Brüder Grimm, die in Steinau aufgewachsen sind. Auch für Erwachsene gibt es ein Programm: Dr. Faust.

"Die Kinder sind bei unseren Aufführungen immer voll dabei", berichtet Wiest. "Die Stücke dauern alle so um die 50 Minuten. Die Kinder sind die ganze Zeit ruhig und konzentriert." Auch im Handyzeitalter gehe das junge Publikum richtig mit, sagt Magersuppe. "Wenn das Rumpelstilzchen kommt, ist immer ein großes Hallo."

"100 Jahre Theatergeschichte sollte man nicht aufgeben"

Bei den "Holzköppen" komme noch dazu, dass inzwischen viele Großeltern mit ihren Enkeln im Publikum säßen und sich die Stücke anschauten, die sie früher als Kind selbst gesehen hätten, sagt Wiest, die als Lehrerin für Mathematik und Religion im nahen Gelnhausen arbeitet und ihren Mann beim Puppenspiel tatkräftig unterstützt.

Irgendwie sei sie ins Marionettenspiel "hineingerutscht", berichtet die Sechsunddreißigjährige. Allerdings sei keine allzu große Überredungskunst nötig gewesen, damit sie in den Familienbetrieb einsteige, da sie eine künstlerische Ader habe und jahrelang als Tänzerin und Geigerin auf Bühnen gestanden habe. Tatkräftige Unterstützung erhalten die beiden Spieler auch von einer Schwester Magersuppes und seiner Mutter.

"Wir haben den Vorteil der Tradition. Wir sind eine klassische Bühne, wie es sie heutzutage in Deutschland nicht mehr allzu oft gibt", sagt Magersuppe. Sein Großvater Karl kaufte 1924 einer Göttinger Studententruppe die Bühne ab und beschloss, Puppenspieler zu werden.

Von Kassel aus ging es zunächst nach Rotenburg und schließlich nach Steinau, wo das Puppentheater 1955 seine erste Vorstellung gab und danach jahrzehntelang residierte. Mario Magersuppe übernahm die Leitung der "Holzköppe" 2001 nach dem Tod seines Vaters. "Das Theater liegt mir sehr am Herzen", sagt der Vierundvierzigjährige. "100 Jahre Theatergeschichte sollte man nicht einfach aufgeben."

Das Ehepaar glaubt auch in schwierigen Zeiten an die Zukunft der "Holzköppe". Die beiden haben nach eigenen Worten ein Grundstück in Steinau gekauft, das günstig liegt und auf das sie eines Tages ein festes Theaterhaus stellen wollen. "Geplant ist, dass wir im nächsten Sommer auf dem Grundstück erst einmal mit einem Zelt starten. Sobald wir dann ein bisschen Geld eingespielt haben, wird dann wieder ein Theatergebäude gebaut", erklärt Wiest.

Damit sollen die Jahre als Reisebühne ohne festes Domizil zu Ende gehen. Begonnen hat die schwierige Phase 2017. Damals sei es nach der Renovierung des Theaters in Steinau zu Meinungsverschiedenheiten mit der Stadt gekommen, die schließlich zum Auszug geführt hätten, berichtet Magersuppe.

"Vorstellungen als Wanderbühne sind bei unserer Theaterform nicht so einfach", erklärt Wiest. "Wir haben zwei bis drei Stunden Aufbau und anderthalb bis zwei Stunden Abbau für eine Stunde Spiel. Das ist einfach nicht rentabel." Momentan trage sich das Theater. "Aber um lukrativ zu werden, brauchen wir das feste Haus."

Die Nachfrage nach Aufführungen der "Holzköppe" sei da, berichten die beiden. Doch nicht alle Wünsche nach Vorstellungen könnten erfüllt werden, weil die Reisebühne keine eigenen Räumlichkeiten habe. Das Interesse am Marionettenspiel lasse nicht nach – im Gegenteil: "Es kommen viele junge Lehrerinnen und Lehrer, die ganz bewusst dieses klassische Marionettentheater suchen und wollen, dass ihre Schüler so etwas zu sehen bekommen", sagt Wiest. Das Marionettentheater hat ihrer Ansicht nach einen ganz eigenen Zauber. "Das ist für die Kinder etwas Besonderes", sagt sie.

Das Theater habe durchgehend fast keine Subventionen erhalten und sich aus eigener Kraft finanziert, fügt sie hinzu. "Unterstützt wurden wir in den vergangenen Jahren von Bad Soden-Salmünster und Bad Orb, indem wir Säle zu vergünstigten Konditionen bekommen haben. Ansonsten ist das alles immer selbst gestemmt und aus der eigenen Tasche finanziert."

In Bad Soden-Salmünster feiert die noch heimatlose Bühne auch ihren 100. Geburtstag. Am Dienstag gibt es einen Empfang, tags darauf dann einen ganzen Tag "Marionettentheater am Stück". Gezeigt werden alle Stücke, die Magersuppe und Wiest im Programm haben: Hänsel und Gretel, Aschenputtel, die Salzprinzessin, der Froschkönig, der gestiefelte Kater, das Käferchen-Klärchen und Rumpelstilzchen im Familienprogramm. Und als Erwachsenenstück wird Dr. Faust aufgeführt.

Die anhaltende Faszination vieler Menschen fürs Marionettentheater ist nach Einschätzung des Verbandes Deutscher Puppentheater leicht nachzuvollziehen. "Die scheinbare Lebendigkeit von Marionetten berührt die Zuschauerinnen und Zuschauer heute wie damals unmittelbar, sagt Kora Tscherning von der Berliner Geschäftsstelle.

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Obwohl das Publikum wisse, dass die Puppe ein lebloses Ding an Fäden sei, könnten sich die Menschen nicht des Eindrucks erwehren, die Figur handele selbst. Dieses "kleine Wunder" lasse auch die Betrachtenden lebendiger zurück. "Deshalb behält Puppentheater in all seiner Vielfältigkeit auch im Zeitalter von digitalen Medien seinen Reiz für Kinder wie auch Erwachsene. Es ist eine unmittelbare Kunst, im wahrsten Sinne des Wortes ein Erlebnis."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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