Leo McFall: Aus Großbritannien an den Rhein: Der neue Generalmusikdirektor Leo McFall schaut voraus auf sein erstes Sinfoniekonzert. Und plant neue Konzertformen.

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Eine Wohnung hat Leo McFall in Wiesbaden schon gefunden. Der Fußweg zum Staatstheater dauere nur eine Viertelstunde, sagt der britische Dirigent. Als neuer Generalmusikdirektor hat er es also nicht weit zu seiner neuen Arbeitsstelle. Dort stehen die Zeichen noch immer auf Neustart, nachdem die Intendanz von Dorothea Hartmann und Beate Heine im Musiktheater mit einem lustvollen Weltuntergangsspektakel begonnen hat, mit György Ligetis einziger Oper "Le Grand Macabre". Für McFall war die Wiesbadener Opernpremiere auch eine persönliche. Ein Werk des 2006 im Alter von 83 Jahren gestorbenen Komponisten ungarischer Abstammung hat er zum ersten Mal dirigiert – mit großem Erfolg beim Premierenpublikum.

In Ligetis einziger Oper, die längst zu den meistgespielten Musiktheaterwerken des 20. Jahrhunderts gehört, rückt die Regisseurin Pinar Karabulut McFall und das Hessische Staatsorchester ins Rampenlicht. Während im fiktiven Polizeistaat Breughelland alle darauf warten, dass ein Kometeneinschlag die Welt untergehen lässt, spielt das Orchester auf der Bühne des Großen Hauses hinter einer flachen Scheibe, die als Teil eines Raumkonzepts von Jo Schramm an eine Arena erinnert. Bis Ende Oktober steht die Produktion auf dem Spielplan.

Eine besondere Affinität zu Smetana, Dvořák und Janáček

Für McFall hat das Staatsorchester in Karabuluts Inszenierung, gut sichtbar, eine angemessene Position gefunden. Der 1981 in London geborene Dirigent nennt das Orchester ein "Juwel", dessen Mitglieder er dem Publikum der Sinfoniekonzerte näher vorstellen möchte, für die er ebenfalls musikalisch verantwortlich ist. Zum Auftakt der Konzertsaison am 23. Oktober im Kurhaus Wiesbaden werden einzelne Orchestermitglieder daher in Charlotte Brays zeitgenössischer Komposition "Germinate" solistisch hervortreten. Das hat McFall sich auch für die folgenden Spielzeiten vorgenommen. Er versteht es als Teil der "Verantwortlichkeit", die er dem Orchester gegenüber empfindet.

Als Hauptwerk in seinem ersten Wiesbadener Konzertprogramm wird Bedřich Smetanas Zyklus "Mein Vaterland" erklingen, jene sechs sinfonischen Dichtungen, deren bekannteste "Die Moldau" ist. Anlass ist der 200. Geburtstag Smetanas im März dieses Jahres. Vor allem aber empfindet McFall eine besondere Affinität zu Smetana, Dvořák und Janáček. "Ich glaube, in einem früheren Leben war ich Tscheche", sagt er und lacht. Er erwähnt, dass seine Frau aus der Slowakei stammt. Sie ist Oboistin im Budapest Festival Orchestra. Von dessen Leiter Iván Fischer hat McFall sich eine außergewöhnliche Konzertform abgeschaut, in der das Publikum zwischen den Instrumentalisten Platz nimmt. "Mitten im Klang" heißt das Konzept, das am 13. November im Kurhaus die erste Sinfonie von Johannes Brahms aus ungewohnter Perspektive erleben lässt.

Seine erste eigene musikalische Erfahrung machte McFall als Kind, als er unter den Schallplatten seiner Eltern die Aufnahme eines Klaviertrios von Schubert entdeckte. Später spielte er selbst Klavier und Viola, war Assistent des niederländischen Dirigenten Bernard Haitink und wurde 2012 am Theater im thüringischen Meiningen erster Kapellmeister. In den Repertoirevorstellungen, die er dort leitete, habe oft Wagner auf dem Programm gestanden, "Tristan und Isolde", die frühe Oper "Das Liebesverbot", auch ein "Tannhäuser" am Originalschauplatz, auf der Wartburg bei Eisenach. In Wiesbaden ist die Premiere des "Fliegenden Holländers" für Januar 2025 geplant.

Ein breit gefächertes Repertoire

Dass McFall neben der Position des Wiesbadener Generalmusikdirektors noch zwei weitere ausübt, relativiert er ein wenig. Als Chefdirigent des Orchesters im griechischen Thessaloniki trage er keine organisatorische Verantwortung, das Symphonieorchester Vorarlberg, bei dem er die gleiche Aufgabe wahrnimmt und kürzlich den Vertrag bis 2030 verlängert hat, arbeite projektbezogen.

McFalls Repertoire ist breit gefächert, in seiner ersten Wiesbadener Saison leitet er eine szenische Produktion von Haydns "Schöpfung", Mozarts "Hochzeit des Figaro" und Bizets "Carmen". Barockmusik ist nicht dabei. Dass ihn ein dänisches Orchester einmal für Bachs Weihnachtsoratorium habe engagieren wollen, kann er sich nur damit erklären, dass es so viele Alte-Musik-Spezialisten mit einem "Mc" im Namen gebe. Mehr als eine Anekdote wurde nicht daraus.

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In Wiesbaden will er selbst die Gastdirigenten gut auswählen, sodass sie den Horizont des Orchesters erweitern. Als er die Spielpläne und Programme der vergangenen zwei Jahrzehnte durchgegangen sei, habe er einige Lücken entdeckt. Vor allem im britischen Repertoire, dem er sich, kaum überraschend, verbunden fühlt. Elgars Oratorium "The Dream of Gerontius" nennt er, auch die beiden Sinfonien des Spätromantikers. Von dessen Tonsprache ist Ligetis Musik zwar sehr weit entfernt. Für das genaue Kennenlernen von Dirigent und Orchester aber war sie, so schwer sie aufzuführen ist und so intensiv sie geprobt werden musste, eine hervorragende Wahl.

1. Sinfoniekonzert Kurhaus Wiesbaden, 23. Oktober 2024, 19.30 Uhr  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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