Jo van Nelsen: Seine 35 Jahre auf der Bühne feiert Jo van Nelsen mit frivolen Chansons: In der Frankfurter Käs bietet er einen Abend voll frecher Lieder – gegen die neue Prüderie.

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Alles schon mal da gewesen. Schon 1910 dichteten Professoren Goethes Ballade "Der König von Thule" um, weil sie sich gar unsittlich, also politisch unkorrekt, auf "Buhle" reimte. Jedenfalls in dem Chanson, das Jo van Nelsen in seinem neuen Programm zum Besten gab. Drei Jahre hat der Frankfurter Kleinkünstler an diesen rund hundert Minuten gearbeitet, bevor er die Brettlbühne der ausverkauften Käs betrat und sein Publikum mit seinen "frivolen Chansons" zu Begeisterungsstürmen hinriss. Mit seinem "Blick zurück durch’s Schlüsselloch" hat sich van Nelsen zu seinem 35. Bühnenjubiläum selbst beschenkt. Mit 56 blickt er nun zurück bis ins deutsche Kaiserreich, und mit seinem Idol Helen Vita bewegt er sich singend und conférierend vorwärts bis in die Sechzigerjahre, in denen er geboren wurde.

Kennt er das noch? Oma reißt Zoten aus den Zwanzigerjahren, und Mama, Kind der prüden Fünfziger, ringt die Hände: "Mutti, die Kinder!" Aus diesem Geist ist der Abend voller frecher Chansons geboren, darunter acht von Helen Vita zwischen 1963 und 1968. Bernd Schmidt, Pianist und van Nelsens treuer Begleiter seit zwölf Jahren, hatte ein Foto der inspirierenden Kabarettistin und Chansonnière, die 1948 von Brecht aufs Brettl geschickt worden war, auf den Flügel gestellt. Van Nelsen hatte sie noch Mitte der Achtziger in Köln gesehen, jetzt sang er ihr Chanson über die "Rue Chiffonnière": "Bitte, bitte weiter . . ." – man kann sich denken, womit, denn das war 1881 Standard am Montmartre. Studenten hatten das französische Kinderlied erotisch umgetextet, Walter Brandin hat es für die Vita übersetzt.

"Der Deutsche hört da auf, wo der Franzose anfängt"

Hierzulande wurden 27 ihrer erotischen Lieder verboten. Kein Wunder, denn mancher Priapus sprengt bei ihr mit seinem Gemächt sogar noch den Sargdeckel. "Das Leichtfertige liegt uns nicht so", beklagte van Nelsen und erinnert daran, dass das unschuldige Wort "Popo" auf der Bühne im Kaiserreich eine Geldstrafe nach sich zog. Tucholsky behielt auch später recht: "Der Deutsche hört da auf, wo der Franzose anfängt." Frankfurt sei aber liberaler gewesen als Baden-Württemberg, differenzierte van Nelsen, der gegen die neue Prüderie zu Felde zieht, wie einst Erich Kästner, Friedrich Holländer und Helen Vita in dem Münchner Kabarett Kleine Freiheit. In Zeiten der woken Wehleidigkeit und des Genderns kontextualisiert er seine Chansons entsprechend.

Wer es mit einer Sphinx von hinten treibt, war schon früher der "Anfang vom Ende des Abendlandes". "Allerdings spricht die Sphinx" das Wort "Dings" nicht aus, denn es war verboten, wie heute das N-Wort. Aber van Nelsen hatte an eine Triggerwarnung gedacht, um sein Publikum nicht priapistisch zu traumatisieren. In den Chansons der Zwanziger und Dreißiger reimt sich "Frieda" auf "immer wieda", den Kriegerwitwen mit ihrer Gelegenheitsprostitution folgte die deutsche Hausfrau der Wirtschaftswunderjahre, die sich nach italienischen Kellnern sehnt. Nach einer "Popel-Arie" und einem Damenduett der beiden Herren verlangte das rasende Publikum eine Zugabe und van Nelsen war ihm zu Willen.

Jo van Nelsen: Am 29. Dezember um 18 Uhr kehrt Jo van Nelsen mit seiner Show zurück in die Käs.   © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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