Lizz Wright: Die amerikanische Jazzsängerin Lizz Wright zieht als Hohepriesterin des Evangeliums im Staatstheater Darmstadt mit endlosen Kantilenen in ihren Bann.

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Auch bei Künstlern lohnt es sich, das Kleingedruckte zu lesen. Nicht als Vorsichtsmaßnahme, eher um besser zu verstehen, was sie antreibt und wie sie ticken. Als die Sängerin Lizz Wright vor 20 Jahren mit "Salt" ihre erste Aufnahme veröffentlichte und damit sofort ins Rampenlicht des Entertainments trat, war in den Liner Notes der unscheinbare, aber alles erklärende Satz zu finden: "Dem unsichtbaren Geist sei Dank, der meinen Weg erleuchtet." Lizz Wrights Musik ist durchdrungen vom christlichen Glauben, seit sie als Tochter eines Predigers aus Georgia im Kirchenchor sang, ein umfassendes Musikstudium absolvierte und Mitglied der Vokalgruppe "In the Spirit" von Atlanta wurde.

Jetzt steht sie ganz in langer schwarzer Robe gekleidet, das silbern glänzende Kreuz sichtbar vor der Brust, eine Hohepriesterin des Evangeliums, auf der Bühne des Staatstheaters Darmstadt und präsentiert alte und neue Songs, die von Liebe und Sehnsucht nach Geborgenheit, von Natur und Alltagsdingen, von prüfenden Gedankengängen und menschlichen Beziehungen handeln, immer aber mit jener Selbstverständlichkeit des Glaubens und des Gottvertrauens intoniert, die selbst ihrem Blues-Gesang etwas Tröstliches, ja geradezu Euphorisierendes verleihen – was auch mit ihrer charakteristischen Stimme zu tun hat.

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Man könnte ihr Stunden zuhören

Lizz Wright besitzt einen Belcanto-Alt, wie man ihn so makellos und so charakteristisch bei keiner anderen Jazzsängerin heute und wohl auch keiner in der langen Geschichte dieses Genres finden wird. Wer Jazz und Blues, aber auch emphatische Spirituals und Gospels zwangsläufig mit rhythmischer Attacke, mit dramatischen Akzenten oder kraftvollen Impulsen verbindet, wird bei ihr eines Besseren belehrt. Die Artikulationsform des Staccato kommt in diesem Gesang überhaupt nicht vor. Alle Töne fließen aus Lizz Wrights Mund, ohne Trennung, fast möchte man sagen: auch ohne Punkt und Komma. Man wird förmlich vom Schmelz dieses warmen Timbres umhüllt, von Kantilenen, die auch das Notensystem mit Taktstrichen und Notenlinien außer Kraft setzen und durch jeden Song wandern, als gäbe es kein Metrum, keine schweren und leichten Zählzeiten, nur frei schwebendes, glückliches Melos.

Aber man täusche sich nicht. Da gibt es nicht die Spur einer unsicheren Intonationstrübung, kein rhythmisch zügelloses Mäandern, das von der vierköpfigen Begleitband um den grandiosen Bluesgitarristen Adam Levy immer wieder eingefangen werden muss. Lizz Wright besitzt ein somnambules Timing und eine Tonhöhensicherheit, die auch noch in der abenteuerlichsten Bluenote-Färbung, etwa bei "Sweet Feeling" von ihrer neuesten Einspielung "Shadows", spürbar wird. Ihr Auftritt mit unbeschreiblich schönen Liedern, etwa "Who Knows Where The Time Goes" der allzu früh verstorbenen Fairport-Convention-Sängerin Sandy Denny, Neil Youngs "Old Man" und Marc Anthony Thompsons "Chasing Strange" neben eigenen Songs dauert nur eineinhalb Stunden. Wie schade. Man könnte ihr noch Stunden zuhören.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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