Frankfurter Buchmesse: Buchmesse für alle: In der Deutschen Nationalbibliothek wird das Lesefest "Open Books" eröffnet.

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Drei Romane, ein Sachbuch. Wer die Sachbücher von Kai Michel und Harald Meller kennt, wusste schon vorher, dass die beiden Autoren alle in den Schatten stellen und die Eröffnung von "Open Books" krönen würden – mit der Krone der Schöpfung. "Der Mensch ist der friedlichste Affe", so Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt. Man glaubte sich verhört zu haben. "Krieg ist eine relativ kurze Erfindung in der Geschichte", bestätigte der Historiker Kai Michel. Nur ein Prozent der Menschheitsgeschichte kenne Kriege, 99 Prozent davor nicht. Im Gespräch mit Dominik Pöll, Moderator beim Bayerischen Rundfunk, stellten die beiden ihr Buch "Die Evolution der Gewalt" (dtv) vor. Der Primatologe Carel van Schaik, Dritter im interdisziplinären Bunde, saß nicht mit auf Bertelsmanns Blauem Sofa, dieser fast schon legendären Autorenplattform.

Der Vortragssaal der Deutschen Nationalbibliothek war bis zum letzten Stuhl besetzt. Kulturdezernentin Ina Hartwig konnte Prominenz begrüßen. Alt-Oberbürgermeisterin Petra Roth, Alt-Universitätspräsident Klaus Ring, der einstige Stadtverordnetenvorsteher Hans-Jürgen Hellwig und etliche Stadtverordnete ließen es sich nicht nehmen, den Auftakt des städtischen Lesefests zur Buchmesse mitzuerleben. Rund 100 Lesungen stehen bei freiem Eintritt auf dem Programm. Hartwig freute sich über das diesjährige Leitwort der Buchmesse: "Reading", nach so viel Technokratie in den Vorjahren. "Ein Buch zu Hause lesen bleibt die schönste Kulturtechnik."

Meller und Michel lasen nicht an diesem Abend. Umso hinreißender sprachen sie über den Untertitel ihres Buchs: "Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte". Ist der Mensch des Menschen Wolf?, fragte Pöll. "Nur solange er ihn nicht kennt", erwiderte Michel kontextgetreu nach Thomas Hobbes, der das geflügelte Wort vom römischen Komödienautor Plautus übernahm – und den Kriegschronisten Thukydides übersetzt hatte, wie Meller ergänzte. Wunderbare Suaden folgten, Sätze wie in Stein gemeißelt: "Wir sind keine Monster des Krieges. Im Neolithikum wurde der Krieg endemisch. Krieg ist mit Diktatur verknüpft und mit Religion." Michel: "Wir sind hochkooperativ. Krieg ist nicht natürlich, sondern menschengemacht, kann also abgeschafft werden."

Stuttgart als "Underdog der Landeshauptstädte"

Mit diesem Doppelauftritt konnte nicht einmal die diesjährige Buchpreisträgerin Martina Hefter konkurrieren. Sie sprach mit Cécile Schortmann (3sat) über den Liebesbetrug auf Internetplattformen, den sie in "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" (Klett-Cotta) zum gefährlichen Spiel einer Ehefrau namens Juno verfeinert hat. "Manchmal habe ich einen Pas de deux mit Juno getanzt", bekannte die Autorin, die auch Tänzerin ist.

Christoph Peters bezieht sich mit "Innerstädtischer Tod" (Luchterhand), dem Schlussband einer Trilogie, auf den Nachkriegsautor Wolfgang Koeppen. Drei Bände in drei Jahren. Wie habe er das geschafft, wollte die Literaturkritikerin Lara Sielmann wissen. "Mit einer gewissen Disziplin und Härte gegen mich selbst", so der Verfasser. Am 9. November 2020 hat der Koeppen-Preisträger begonnen: eine Seite am Tag, zwanzig Seiten im Monat. Kunst, Politik, Religion und Unternehmertum treffen sich in einer Berliner Familie, ein brauner Kater schlendert hungrig über eine Baustelle: "Eine Ratte ist eine Ratte ist eine Ratte."

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Dass es unter Freundinnen mit hoher emotionaler Energie zugeht, weiß Anna Katharina Hahn. In ihrem Roman "Der Chor" (Suhrkamp) singen Stuttgarter Frauen, die sich "Katharinen" nennen, ihre Lieblingslieder. Die Personalchefin Alice verfällt der scheuen Sophie – ganz ohne Sex. Im Gespräch gestand die Autorin, dass sie gern "Brotkrümel aus der Schwarzen Romantik" streue. Moderatorin Sonja Vandenrath hatte Spuren E.T.A. Hoffmanns entdeckt. Hahn wollte aber auch eine Lanze brechen für Stuttgart als "Underdog der Landeshauptstädte". Das gelang ihr mit Eleganz.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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