Kunstraub in der Schirn: Der dreiste Bilderklau in der Frankfurter Kunsthalle Schirn im Juli 1994 ist einer der spektakulärsten Kunstraube in Deutschland. Die Hintergründe und die Hintermänner der Tat sind bis heute im Dunkeln geblieben.

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Das Bild "Nebelschwaden" gilt nicht eben als das bedeutendste Werk von Caspar David Friedrich. Aber spätestens in diesem, allmählich zu Ende gehenden Jubeljahr des Romantikers hat auch das kleine Gemälde mit der einsamen Hütte, über der die Krähen kreisen, einen besonderen Status erlangt. Tausende Besucher vertieften sich in den Ausstellungen zum 250. Geburtstag des Malers in diese wie in andere seiner Studien über die Phänomene der Natur.

Vergessen ist fast, dass es lange als eher unwahrscheinlich galt, das Bild werde jemals wieder auftauchen. Denn es gehörte zur Beute eines Raubzugs in der Nacht zum 29. Juli 1994 in der Frankfurter Kunsthalle Schirn.

Damals wurde es eher als "Beifang" angesehen neben den wesentlich berühmteren und wertvolleren Bildern von William Turner: "Licht und Farbe" sowie "Schatten und Dunkelheit", den Highlights der Ausstellung "Goethe und die Kunst". In diesen Spätwerken hatte Turner versucht, die Farbenlehre Goethes umzusetzen.

Es war ein Gangsterstück wie nach einem Drehbuch, dem freilich bis heute ein befriedigendes Ende fehlt. Die Tatsache, dass es den Dieben an jenem Abend in der Frankfurter Schirn offenbar sehr leichtgefallen war, die Lücken im Sicherheitssystem auszunutzen, legte den Schluss nahe, es seien bestens vorbereitete Profis am Werk gewesen.

Und auf welchen verschlungenen und dubiosen Wegen es Jahre später dazu kam, dass die Kunstschätze plötzlich wieder im Museum hingen, ließ zumindest ahnen, wie attraktiv die damals einsetzende Preisexplosion den Kunstmarkt und seine Schattenwirtschaft für Kriminelle gemacht hatte. Dass die Hintermänner bis heute nicht gefasst sind und vermutlich auch nie gefasst werden, passt zu dieser Geschichte, in der die Justiz an ihre Grenzen stieß.

Der Morgen danach

Selten hat eine leere Wand so viel ausgedrückt wie am Morgen des 29. Juli 1994. Die Fotos und Filmaufnahmen von den kahlen Stellen an den Wänden der Frankfurter Kunsthalle gingen um die Welt. Der Raubzug vom Vorabend war kurz und fast schmerzlos verlaufen – zum Glück auch für einen Wachmann, obwohl er später vor Gericht sagte, er habe um sein Leben gefürchtet.

Unbekannte hatten ihn gegen 22 Uhr auf dem Weg zur Alarmanlage überfallen. Sie stülpten ihm eine Kapuze über den Kopf, fesselten ihn und sperrten ihn in einen Abstellraum. Zuvor hatten sie ihm den "Blockschlüssel" abgenommen.

Damit ließ sich das System ausschalten, das über Sensoren bei jeder Bewegung im leeren Museum Alarm auslöste. So konnten die Diebe in aller Seelenruhe die Bilder abnehmen. Sie nutzten den Lastenaufzug, um ihre Beute nach unten zu schaffen und verließen das Gebäude über einen Notausgang.

Täter haben vermutlich Vorarbeit geleistet

Sie hatten offenbar für jede Sperreinrichtung den passenden Schlüssel. Woher, das blieb ebenso ungeklärt wie die Frage, wie die Täter in die Schirn gelangt waren. Am wahrscheinlichsten war, dass mindestens einer der mutmaßlich vier Räuber schon am späten Nachmittag als Besucher gekommen war und sich versteckt hatte, um später die Komplizen hereinzulassen.

Die fünf Männer, die sich erst knapp fünf Jahre später vor einer großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts verantworten mussten, stritten jegliche Beteiligung an dem Bilderraub ab. Auf zum Teil hanebüchene Weise versuchten sie starke Indizien wie Fingerabdrücke an einer Tür zu entkräften.

Zu allen Fragen nach ihren Auftraggebern schwiegen sie eisern. Vielleicht, weil es lebensgefährlich für sie gewesen wäre, Namen zu nennen. Womöglich, weil sie von den Bossen Schweigegeld kassierten. Oder sowohl als auch.

Freisprüche und verdeckte Ermittlungen

Zwei der Beschuldigten wurden mangels Beweisen freigesprochen. Am Ende des Prozesses saßen noch ein Kurierfahrer, ein Gemüseverkäufer und ein Dreher auf der Anklagebank. Die beiden Erstgenannten gehörten nach Überzeugung des Gerichts zu den Räubern in der Schirn, der Dritte hatte versucht, die Bilder in Verhandlungen mit einem vermeintlichen Vertreter der Versicherungen zu Geld zu machen. Dumm für ihn, dass es sich bei seinem Gesprächspartner um einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes handelte.

Als das Urteil gefällt wurde, fehlte von den Bildern noch jede Spur. Auch deswegen fielen die Strafen mit acht Jahren für die Räuber und zweieinhalb Jahren für ihren Helfer drakonisch aus. Der Kammervorsitzende begründete die Höhe der Strafe, die deutlich über dem Antrag der Staatsanwaltschaft lag, damit, dass die Kulturschätze vermutlich unwiederbringlich verloren seien.

So konnten die Spekulationen weiter sprießen. Am hartnäckigsten hielt sich das Gerücht, der "alte Stefan", eine Größe im Frankfurter Rotlichtviertel, habe den Auftrag erteilt, um die Bilder einem Mafiaboss in Marbella zu verschaffen. Die Staatsanwaltschaft, die in diesem Verfahren mitunter eine unglückliche Figur abgab, verwies das meiste ins Reich der Fabel.

Gerüchte um die Hintergründe kursieren

Tatsächlich gab es kaum seriöse Hinweise, international vernetzte Kriminalität habe ihre Hände im Spiel. Auch die Variante vom superreichen, verschrobenen Kunstliebhaber, der die unverkäuflichen Meisterwerke unbedingt besitzen wollte, machte die Runde. Am Ende setzte sich die Theorie durch, der Coup sei im heimischen Milieu organisiert worden – auf der Suche nach einem neuen Geschäftsfeld, der Erpressung von Versicherungen.

Einiges spricht in der Rückschau dafür, dass es gerade das Urteil – dieser mehr oder weniger ratlose Abschluss des Strafverfahrens – war, das Bewegung in die Sache brachte. Wie zu hören war, nahmen danach Versuche, die mit insgesamt rund 70 Millionen Mark versicherten Bilder auszulösen, Fahrt auf.

Für die Öffentlichkeit wie aus dem Nichts, tatsächlich aber als Ergebnis von langen geheimen und offenbar auch abenteuerlichen Verhandlungen, in die sogar Scotland Yard eingeschaltet war, tauchten die Werke dann acht Jahre nach dem Raub tatsächlich wieder auf. Zuerst die Turner-Werke, einige Monate später auch Friedrichs "Nebelschwaden".

Vermittlung mit "sehr gefährlichen Leuten"

Als Vermittler agierte ein Frankfurter Rechtsanwalt. Als Verteidiger hatte er gute Kontakte ins Frankfurter Milieu aufgebaut. Ob man aus diesen Kreisen an ihn herangetreten war, ließ er allerdings offen. Auch er sorgte sich, falls er zu viel sagen würde, um sein Wohlergehen, wie er damals im Gespräch mit dieser Zeitung andeutete.

Er berichtete von einem Treffen in einer Waldhütte "mit sehr gefährlichen Leuten", bei dem ihm die Bilder gezeigt worden seien. Der Anwalt machte Polaroidaufnahmen als Beweis, den Meisterwerken ganz nahe gekommen zu sein. Für die Verhandlungen hatte er sich das Plazet der Staatsanwaltschaft eingeholt.

Schon Ende 2002 konnte er die Turner-Werke, rahmenlos, aber unbeschädigt, nach London zurückbringen. Die Tate Gallery zahlte wohl etwa fünf Millionen Euro – und machte dabei unter dem Strich einen enormen Gewinn. Schließlich hatte das Museum schon Jahre zuvor vom Versicherungskonzern Lloyd’s 24 Millionen Pfund für den Verlust erhalten.

Tate Gallery nutzt Gewinn für Neubau

Einige Zeit später erwarb die Gallery die Eigentumsrechte an den weiter verschwundenen Bildern für acht Millionen Pfund von der Assekuranz zurück. Das sollte sich als eine riskante, aber letztlich hochprofitable Investition erweisen, Lloyd’s konnte später die Entschädigung nicht mehr zurückverlangen. Das Museum in London leistete sich von dem Gewinn einen neuen Gebäudeflügel.

Längst nicht so geschmeidig und diskret liefen die Verhandlungen zwischen dem Anwalt und dem Hamburger Kunstverein. Nachdem das Museum erst die Versicherungssumme von rund 1,8 Millionen Euro kassiert und später die "Nebelschwaden" zurückerhalten hatte, weigerte es sich, die 250.000 Euro zu zahlen, die der Anwalt seinen Angaben zufolge vorgeschossen hatte, um das Bild zurückzubekommen.

Man wolle nicht erpressbar sein, hieß es aus Hamburg. Man tat sich wohl aber auch deswegen schwer damit, weil die Kunsthalle die Versicherungssumme hätte zurückzahlen müssen. Schließlich klagte der Frankfurter Jurist die Summe erfolgreich ein.

Auftraggeber wird nicht preisgegeben

Das Schurkenstück in der Schirn beschäftigte die Justiz noch bis ins Jahr 2008: Das Landgericht verurteilte zwei 60 und 64 Jahre alte Männer, die sich als Zwischenhändler und Hehler schuldig gemacht hatten, zu Freiheitsstrafen von dreieinhalb und vier Jahren und drei Monaten. Auch sie sagten kein Wort über ihre Auftraggeber.

Der Ruf der Schirn ist durch den Kunstraub nicht nachhaltig beschädigt worden. Bedenken, das Risiko, Kunstobjekte dorthin auszuleihen, konnten durch Investitionen in mehr Sicherheit allmählich zerstreut werden. Zur Ehrenrettung trug wohl auch bei, wie britisch gelassen der Direktor der Tate Gallery auf die Schreckensnachricht vom Verlust der berühmten Turner-Werke reagierte: Das alles tue ihm schrecklich leid, besonders für die Schirn, sagte er.

Zu den Skurrilitäten dieses Falles passt die Anekdote, woran es scheiterte, die Kunsträuber vielleicht an jenem Abend des 28. Juli 1994 noch zu schnappen. Einem Ehepaar war verdächtig vorgekommen, wie eilig einige Männer am Hintereingang der Schirn viereckige Gegenstände in einen Lieferwagen luden.

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Das Paar wollte die Polizei alarmieren. Weil Handys zu dieser Zeit aber noch rar waren, ging es zu der einzigen Telefonzelle in der Nähe – aber die war von zahlreichen aufgeregten Menschen umlagert: Sie wollten ebenfalls die Polizei anrufen – um sich zu beschweren, dass ihre falsch geparkten Autos abgeschleppt worden waren.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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