Daniel Cohn-Bendit: Daniel Cohn-Bendit spricht vor dem Frankfurter Oberlandesgericht über seine jüdische Identität.

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Scharf kritisiert er die israelische Regierung – an Frieden im Nahen Osten will er trotzdem weiter glauben.

Dass er zu einem Gespräch ins Frankfurter Oberlandesgericht eingeladen wird, wo man ihn zu seiner Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Identität befragen will, findet Daniel Cohn-Bendit "einfach witzig". Denn der Grünen-Politiker, der als Anführer der Pariser Studentenunruhen von 1968 bekannt wurde, war auch früher schon "des Öfteren" in dem Gericht: als Zeuge, aber auch als Angeklagter. In "mehr als 20 Strafverfahren" habe er vor dem Gericht gestanden, berichtet Cohn-Bendit. Darauf, wie die Prozesse verlaufen sind, ist er stolz: "Ich wurde jedes Mal freigesprochen."

Die Deutsch-Israelische Juristenvereinigung, die Frankfurter Rechtsanwaltskammer, der Hessische Generalstaatsanwalt und der Präsident des Oberlandesgerichts haben Cohn-Bendit zu dem Gespräch eingeladen. Befragt wird er am Donnerstagabend von Gundula Fehns-Boer, der Pressesprecherin des Gerichts, und der "Spiegel"-Journalistin Julia Jüttner.

Die Eltern fliehen vor den Nazis

Mit der Frage, was es für ihn bedeutet, ein Jude zu sein, hat sich Cohn-Bendit in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt. In seinem viel beachteten, essayistischen Dokumentarfilm "Wir sind alle deutsche Juden" von 2020 ist er ihr in Gesprächen mit langjährigen Wegbegleitern nachgegangen.

Im Oberlandesgericht erzählt er von seinen Eltern, die 1933 aus Berlin nach Frankreich geflohen sind. Sein Vater war in Deutschland Rechtsanwalt der kommunistischen Roten Hilfe gewesen. Seine Mutter, ebenfalls Juristin, fing in Paris an, für jüdische Organisationen zu arbeiten. Sie sei eine Zionistin gewesen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wäre sie gern nach Israel ausgewandert. Cohn-Bendits Vater aber war strikt dagegen. "Er hat gesagt: Nur unter Juden leben, das ist nichts für mich."

"Ein Jude, ohne ein Jude zu sein"

Als "ein Jude, ohne ein Jude zu sein" charakterisiert sich Cohn-Bendit selbst. Sein Sohn etwa sei viel intensiver mit allem Jüdischen befasst, er habe viele Kontakte zur jüdischen Gemeinschaft und als Trainer lange für den jüdischen Sportverein Makkabi gearbeitet. Trotzdem ist er nach der Halacha, den jüdischen Rechtsvorschriften, kein Jude – weil er als Kind einer Nichtjüdin geboren ist.

Er selbst werde dagegen regelmäßig als Jude wahrgenommen, obwohl er nicht religiös lebe, sagt Cohn-Bendit. Aber auf seine Weise sei er mit dem Judentum ja auch "tief verwurzelt" – durch "die Geschichte, aus der man sich nicht herausstehlen kann".

Das Gazakrieg darf "nicht zur Rache werden"

Zurzeit, sagt Cohn-Bendit, treibe ihn vor allem eine, seine jüdische Identität betreffende Frage besonders um: die nach seinem Verhältnis zu Israel. Dass der israelische Staat ein Recht hat, sich gegen die Angriffe der Hamas und der Hizbullah zu wehren, steht für ihn außer Frage. Der Krieg dürfe aber "nicht zur Rache werden", meint Cohn-Bendit. Er sieht die Gefahr, dass sich Israel "ins Unrecht setzt".

Und er hadert schwer mit der Netanjahu-Regierung. "Für mich als Jude ist es eine tiefe Verletzung, dass es Juden gibt, die Faschisten sind", sagt Cohn-Bendit. Die "Vertreibungsfantasien", die israelische Regierungsmitglieder wie Itamar Ben-Gvir, der Minister für nationale Sicherheit, oder Finanzminister Bezalel Smotrich äußerten, sind für ihn fraglos "faschistisch".

Gaza könnte ein "modernes Dubai" werden

Seine Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten will Cohn-Bendit dennoch nicht aufgeben. Im Oberlandesgericht skizziert er eine Vision, in der Gaza zu einem "modernen Dubai" wird und die Palästinenser die Existenz Israels nicht mehr infrage stellen.

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Und er spricht von der Notwendigkeit, "Vertrauen zu säen" zwischen den Verfeindeten: "Es wird für Israel nur eine Zukunft geben, wenn es eine Zukunft für die Palästinenser gibt – und es wird für die Palästinenser nur eine Zukunft geben, wenn Israel eine Zukunft hat." Ohne die Bereitschaft zu Kompromissen könne solch eine Einigung nicht gelingen. "Beide müssen verzichten", stellt Cohn-Bendit klar.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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