Kunsthalle Mainz: Ihre Eingriffe in die Abläufe des Alltags und der Arbeit wirken enorm kraftvoll: Die Kunsthalle Mainz zeigt Videoarbeiten der brasilianischen Künstlerin Cinthia Marcelle.

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Die Feuerjongleure führen ein ungewöhnliches, bald jedoch fast bedrohliches Ballett auf. Vor haltenden Autos in einer viel befahrenen Straße in der brasilianischen Stadt Belo Horizonte wirbeln sie die Feuerstäbe durch die Luft, solange die Ampel rot ist. Bis sie plötzlich vor den Fahrzeugen stehen bleiben. Und die wütenden Autofahrer auch bei Grün nicht mehr durchlassen.

Cinthia Marcelle filmte ihre Intervention "Confronto" mit einer Gruppe von Straßenkünstlern. Bewusst stören die Artisten den Verkehrsfluss, lassen die Autos nicht passieren, die eigentlich fahren dürften. Wie weit werden die aufgebrachten Fahrer gehen, um ihr Recht durchzusetzen? Die Frage kann sich der Zuschauer stellen, der besorgt sieht, wie ein Autofahrer ganz nah an eine Künstlerin heranfährt, so nah, als wollte er sie umfahren.

So weit lässt es Marcelle, die mit ihrer Straßenperformance die Ordnung verletzte, nicht kommen. Es bleibt beim wütenden Hupkonzert. Als sie ihren Film 2005 drehte, wusste sie noch nichts von Klimaklebern, die fast 20 Jahre später die Autobahnen lahmlegen würden. Wie gewaltvoll sich schon kleine Eingriffe in den Verkehr auswirken können, erahnt man aber bereits in ihrem Film, der in der Kunsthalle Mainz auf einem Röhrenmonitor zu sehen ist.

Gegen die Form des illusionistischen Tanzes

Auf performancebasierte Videoarbeiten der brasilianischen, 1974 in Belo Horizonte geborenen Künstlerin beschränkt sich die Ausstellung "Bodies in Motion – Form in the Making" in der Kunsthalle Mainz. Kuratorin Anna Roberta Goetz stellt Marcelles Videoarbeiten neben Werke der postminimalistischen Tanz- und Performanceszene der Sechziger- und Siebzigerjahre, mit Videoarbeiten der amerikanischen Künstler Yvonne Rainer, Bruce Nauman und Suzanne Harris.

Es sind Choreographien, die sich gegen die Form des illusionistischen Tanzes wandten. Stattdessen zeigen sie Menschen in Posen alltäglicher Handlungen und in routinierten Bewegungen industrieller Arbeit. Sie suchen nach Bewegungen, die Tanz, Alltag und Arbeit verbinden. Wie Suzanne Harris, die 1974 in "Diarytic Life in the Day of My Hands" ihren Tagesablauf anhand der Bewegungen ihrer Hände nachvollzieht, indem sie Geschirr abwäscht, Klavier spielt, etwas trinkt. Wie Bruce Nauman, der 1967/1968 in seinem "Dance or Exercise on the Perimeter of a Square (Square Dance)" seinen Körper dazu nutzt, um mit Schritten nach links und rechts Zeit und Raum auszumessen. Und Yvonne Rainer, die in "Hand Movie" 1966 allein mit ihrer Hand ein Ballett aufführt.

Auch Cinthia Marcelle zeigt alltägliche Posen und Bewegungen der Arbeit. Für ihre Performances arbeitet sie mit Laiendarstellern, gibt dazu zum Beispiel Putzfrauen, Industrie- oder Bauarbeitern Handlungsanweisungen, die zwar etwas mit deren Arbeit zu tun haben, die aber vertraute Abläufe außer Kraft setzen. So hofft Marcelle, Mechanismen aufzubrechen und eine neue Sichtweise zu ermöglichen.

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Kunst als etwas Demokratisches verstehen

Das gelingt ihr mit wenigen Eingriffen wie jenem, Feuerjongleure vor Autos auf die Straße zu stellen. Andere Videoarbeiten zeigen Menschen, die gewohnte Arbeitsabläufe nun anders, nämlich als inszenierte Choreographie, ausführen. Ob es Putzfrauen sind, die zusammen Wasser aufkehren. Feuerwehrleute, die mit ihrem Wagen im Kreis fahren und eine Fontäne erzeugen, oder ein Baggerfahrer, der stundenlang eine Schleife in Form des Unendlichkeitszeichens abfährt. Ein besseres Bild für monotones Arbeiten, aus dem auszubrechen sich lohnt, lässt sich kaum denken.

Wie Marcelle für ihre "partizipatorischen Performances" Handlungsanweisungen an Laiendarsteller gibt, ihnen aber die Ausführung überlässt, wollte auch die Frankfurter Künstlerin Charlotte Posenenske (1930–1985) ihre minimalistischen Skulpturen von anderen gestalten lassen: Kunst wollte sie als etwas Demokratisches verstanden wissen. Ihre "Vierkantrohre Serie DW" (1967) in Mainz, zwölf Pappelemente, die Lüftungsrohren nachempfunden sind, lassen sich auf verschiedene Weise zusammensetzen. Das Werk ist somit Entscheidungen unterworfen, die Menschen beim Aufbau treffen. In Mainz haben Kunsthochschulstudenten eine erste Form aufgebaut. Im Laufe der Ausstellung sollen weitere Gruppen von Schülern und Studenten die röhrenartige Skulptur neu zusammensetzen.

Bodies in Motion – Form in the Making, bis 16. Februar, Kunsthalle Mainz, Am Zollhafen 3–5.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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