Weltkulturerbe in Darmstadt: Zwölf Jahre lang war das Herzstück des Darmstädter Jugendstilensembles, das Ausstellungsgebäude, geschlossen. Die Wiedereröffnung wird mit einem Festwochenende begangen.

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Die Darmstädter können ihre Mathildenhöhe wieder ganz in Besitz nehmen. Am Wochenende wird das Ausstellungsgebäude, der größte Bau und das Herzstück des Jugendstilensembles, nach einer umfassenden Sanierung wieder eröffnet. Die Stadt feiert das mit einem Festwochenende, das am Freitag um 18.30 Uhr beginnt und bis Sonntag dauert. Die Mathildenhöhe wird illuminiert, bis Mitternacht können die Besucher durch das Ausstellungsgebäude schlendern, wo in der Schau "4–3–2–1 Darmstadt" Werke aus der Städtischen Kunstsammlung präsentiert werden.

Zwölf Jahre mussten die Darmstädter warten, so lange war das Ausstellungsgebäude nicht zugänglich, nachdem es nach der letzten Ausstellung "A House Full of Music" im Jahr 2012 geschlossen worden war. Die Arbeiten an dem im Jahr 1908 fertiggestellten Bau des Architekten Joseph Maria Olbrich zogen sich auch deshalb so lange hin, weil umgeplant werden musste. Denn ausgerechnet in die Phase der Schließung fiel die Bewerbung bei der UNESCO um den Status als Weltkulturerbe der Menschheit.

Darüber war in Darmstadt schon diskutiert worden, als im Jahr 2008 auf der Mathildenhöhe ihr Jubiläum, das Bestehen seit 100 Jahren, gefeiert wurde. Die jahrelangen Bemühungen waren schließlich erfolgreich, der Welterbestatus wurde dem Ensemble, zu dem auch der 48 Meter hohe Hochzeitsturm, ein weiteres, kleineres Ausstellungsgebäude, das Ernst-Ludwig-Haus, und die Künstlervillen gehören, im Jahr 2021 zugesprochen. Doch dadurch wurde die Sanierung des Ausstellungsgebäudes wesentlich aufwendiger, weil Vorgaben der UNESCO berücksichtigt werden mussten.

Dazu gehörte zum Beispiel, dass nicht allein die ursprüngliche Gestalt des Gebäudes aus dem Jahr 1908, so wie von Olbrich entworfen, als maßgeblich angesehen wurde. Vielmehr wurden Umbauten aus den Fünfziger- und Siebzigerjahren als ebenso authentisch aufgefasst. Denn nach Ansicht der Denkmalschützer gehören diese späteren "Zeitschichten" zur "Bauwerksbiographie". So blieben die Umbauten bei der Sanierung erhalten, und das nachträglich Angebaute wurde so sorgsam und aufwendig restauriert wie die älteste Bausubstanz aus der Jugendstilzeit.

Warum ein Hof überdacht wurde

Die einschneidendste dieser Veränderungen am Gebäude ist, dass in den Fünfzigerjahren der Rosenhof überdacht und in einen Saal umgewandelt wurde. Olbrich hatte einen Hof entworfen, der an drei Seiten von dem Gebäude umgeben war und sich zum Platanenhain hin öffnete, um dort unter freiem Himmel Skulpturen auszustellen. Nach dem Krieg diente der so entstandene Raum als Sitzungssaal für das Stadtparlament. In den Siebzigerjahren erhielt er ein neues Dach, ein Sheddach mit Glas, wie man es sonst von Fabriken und anderen Zweckbauten kennt.

Auf die ausgestellten Kunstwerke fällt ein schattenloses gleichmäßiges Licht, weil die nach Norden ausgerichteten Glasscheiben des gestuften Dachs den Raum großzügig beleuchten, aber kein direktes Sonnenlicht hereinlassen. Diese Dachform blieb bei der Sanierung erhalten, das Glas wurde erneuert. Doch die Dachfenster sind nicht die einzige Lichtquelle. Durch die schmalen, raumhohen Fenster an der Westseite scheint die Abendsonne herein. Umgekehrt fällt der Blick von drinnen auf den Platanenhain und die Russische Kapelle.

Bei einem anderen, wichtigen Detail wurde das Gebäude so rekonstruiert wie vom Architekten entworfen. Die Fenster an der Ostfassade, in den Siebzigerjahren zugemauert, wurden wieder geöffnet. So fällt Tageslicht in den lang gestreckten Ausstellungssaal an der Ostseite, und das Gebäude öffnet sich wieder zum Olbrichweg, über den viele Besucher sich der Mathildenhöhe nähern. Die beiden Säle an der Nord- und der Südseite haben keine Fenster, sie werden von Oberlichtern in den hohen Decken beleuchtet. 33 Millionen Euro hat die Sanierung nach Angaben der Stadt gekostet.

Das Ausstellungsgebäude gehört zu den jüngeren Bauten des Ensembles. Zusammen mit dem Hochzeitsturm wurde es in den Jahren von 1905 bis 1908 errichtet. Die Ausstellungshallen setzen auf einem Wasserreservoir aus dem Jahr 1880 auf, das als Fundament dient. Der aus dunklen Klinkern gemauerte Hochzeitsturm nebenan, dessen Spitze den fünf Fingern einer ausgestreckten Hand nachgebildet ist, verweist stilistisch auf den Expressionismus, er markiert mit seinen über Eck verlaufenden Fensterbändern den Übergang zur Moderne.

Künstlervillen gehören zu ältesten Bauten des Ensembles

Zu den ältesten Jugendstilbauten gehört das ebenfalls von Olbrich als Ateliergebäude entworfene Ernst-Ludwig-Haus, das heute das Museum Künstlerkolonie beherbergt, in dem in einer Dauerausstellung Möbel und Gebrauchsgegenstände aus der Jugendstilzeit zu sehen sind. Fertigstellt wurde es 1901 zusammen mit Villen am Südhang der Mathildenhöhe, welche Olbrich und seine Kollegen der Künstlerkolonie als Wohnhäuser entwarfen. Diese Bauten waren Schaustücke der ersten von vier Ausstellungen, weitere folgten bis 1914. Für die letzte Bauausstellung wurde auch eine Gruppe Mustermietshäuser am oberen Osthang errichtet, die aber nicht erhalten geblieben ist.

Ins Leben gerufen hatte die Künstlerkolonie Mathildenhöhe der 1868 geborene Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein. Der Regent von Hessen-Darmstadt war den Künsten zugewandt, versprach sich aber von der Künstlerkolonie und ihren Ausstellungen auch wirtschaftliche Vorteile, nämlich Impulse für das Handwerk – und einen Prestigegewinn für seine Residenzstadt. Dafür griff er die avantgardistische Strömung seiner Zeit auf, den Jugendstil, der nicht nur eine Kunstrichtung darstellte, sondern eine Lebensreform anstoßen und die Verbindung von Kunst und Handwerk herstellen wollte.

So berief Ernst Ludwig den Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich, der schon als Mitglied der Künstlergruppe Wiener Secession Renommee erworben und das Ausstellungshaus der Gruppe in der österreichischen Hauptstadt entworfen hatte. Der Architekt hatte Darmstadt und den Großherzog auf einer Reise im Jahr 1899 kennengelernt und wurde zur bestimmenden Figur und treibenden Kraft des Darmstädter Jugendstils.

Weitere Künstler schlossen sich an, darunter die Maler und Grafiker Peter Behrens aus München und Hans Christiansen aus Paris. Als einziger Darmstädter gehörte der Bildhauer Ludwig Habich zu den Gründungsmitgliedern. Der Gruppe aus zunächst sieben Künstlern zahlte der Großherzog ein Gehalt für ihre Tätigkeit. In wechselnder Besetzung gehörten bis 1914 schließlich 23 Gestalter der Künstlerkolonie an.

Wo das Besucherzentrum gebaut werden soll

Mit dem Erhalt ihres Erbes bleibt die Stadt als Eigentümerin der Jugendstilbauten weiter beschäftigt. Das nächste große Vorhaben ist der Bau eines Informationszentrums für die Besucher der Welterbestätte. Noch vor dem Festwochenende, am Donnerstagabend, wird das Darmstädter Stadtparlament über die Pläne entscheiden. Auf dem unbebauten Osthang der Mathildenhöhe angrenzend an den Olbrichweg ist neben den Bäumen ein quadratischer Neubau mit viel Glas nach dem Entwurf des österreichischen Architekturbüros Marte.Marte vorgesehen – in respektvollem Abstand zu den historischen Bauten, so wie es die Regeln für eine Welterbestätte vorschreiben. An dieser Planung arbeitet die Stadt schon länger, der Entwurf wurde im Jahr 2018 vorgelegt. Die Merck-Familien-Stiftung hat inzwischen einen Zuschuss für die Baukosten zugesagt. Bisher gibt es lediglich einen kleinen Informationspavillon als Übergangslösung.

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Entscheiden sich die Stadtverordneten für den Neubau und läuft alles glatt, können die Bauarbeiten in einem Jahr beginnen. Dann sehen künftig die Besucher, die sich dort über die Geschichte des Darmstädter Jugendstils informieren, durch die Scheiben, wie hinter dem Ausstellungsgebäude der Hochzeitsturm seine Finger in den Himmel reckt.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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