True Crime im Museum: Mehr als 200 Männer, enthauptet, erstochen, vergraben. Wer waren sie? Was ist passiert?

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Diesen Fragen geht die Ausstellung "Die dunkle Seite Roms. Das Massengrab von Scupi" im Archäologischen Museum Frankfurt nach.

Der Hieb muss von hinten gekommen sein. Mit einer scharfen Waffe, vermutlich einem Schwert, wurde er ausgeführt. Wuchtig durchtrennte die Klinge den Nacken, die Wirbelsäule und streifte dann beim Wiederaustreten den Unterkiefer. So kam es wahrscheinlich zu der auch für Laien gut sichtbaren Kerbe an der Unterkante des Kieferknochens.

Nicht nur an Skelett 72 sind solch charakteristische Spuren einer Enthauptung zu erkennen: durchtrennte oder fehlende Halswirbel, Schnitte an Kiefer und Schädelbasis. Dass manche der Toten auch durchbohrt und erstochen wurden, davon zeugen Schnitte an den Rippen und der Vorderseite der Brustwirbel.

Mindestens 200 Männer fielen der Massenhinrichtung in Scupi, der antiken Vorgängerstadt des nordmazedonischen Skopje, zum Opfer. Wer waren sie? Von wem und weshalb wurden sie getötet? Was sagt uns das über die Gesellschaft im Imperium Romanum?

Zivilisatorischen Errungenschaften des Römischen Reiches dominieren

Diesen Fragen geht jetzt die Sonderausstellung "Die dunkle Seite Roms. Das Massengrab von Scupi" im Archäologischen Museum Frankfurt nach. Die kleine, aber bemerkenswerte Schau, deren Befunde nach den Worten von Museumsleiter Wolfgang David auch in Fachkreisen vergleichsweise wenig bekannt sind, ist zum ersten Mal außerhalb der Staaten des ehemaligen Jugoslawiens zu sehen.

David weist ebenso wie Pance Velkov, der Direktor des Museums der Stadt Skopje, darauf hin, dass in unserer Vorstellung die zivilisatorischen Errungenschaften des Römischen Reiches dominieren: die bis heute fortwirkende Rechtsordnung, die effektive Verwaltung, die kulturellen Leistungen. Das technische und architektonische Know-how ist noch immer in Straßen, Theatern und Thermen gegenwärtig.

Selbst wenn wir an die Erfolge der Feldzüge unter Julius Caesar und Augustus denken, tun wir das meist nicht aus der Sicht der besiegten Völker, sondern mit Blick auf die Pax Romana, die auf die Expansion folgende zweihundertjährige Phase der Stabilität und der kulturellen und wirtschaftlichen Prosperität.

Verheerende Zerstörungen im dritten Jahrhundert

Darauf, dass sich das Römische Reich wie jedes Imperium auf Gewalt gründete und es diese auch nach innen mit gnadenloser Konsequenz einsetzte, macht die Ausstellung im Archäologischen Museum aufmerksam. Im Fokus steht ein archäologischer Fund aus einer Stadt, die zwar in der nordöstlichen Peripherie der antiken Welt lag, aber mit 44 Hektar Fläche eine der größten Städte auf dem Balkan war. Während zum Beispiel das römische Nida auf dem Gebiet des heutigen Frankfurts nur den Status einer Civitas besaß, war Scupi eine Colonia und genoss somit den höchsten administrativen Rang, den eine Provinzstadt innehaben konnte.

Ähnlich wie Nida erlebte Scupi seine Blüte im zweiten Jahrhundert und zu Beginn des dritten Jahrhunderts nach Christus – und ähnlich wie Nida war auch die Stadt in der heutigen Republik Nordmazedonien danach den inneren und äußeren Erschütterungen des Römerreichs ausgesetzt.

So erlitt Scupi verheerende Zerstörungen im Zusammenhang mit dem Einfall gotischer und herulischer Heerscharen im Jahr 268/269. Aus jener Zeit der Reichskrise des dritten Jahrhunderts stammt auch das Massengrab, dessen Funde in der Ausstellung präsentiert werden.

Tote waren wahrscheinlich Soldaten

Am Rand der südöstlichen Nekropole von Scupi entdeckten Archäologen 2011 einen Graben von unregelmäßiger Halbkreisform. Bei der Untersuchung traten die Knochen von rund 200 Individuen zutage – die Gesamtzahl der Skelette liegt vermutlich höher, da nur ein Abschnitt des Grabens erforscht wurde. Die Toten waren nicht entsprechend den römischen Gesetzen und Riten bestattet, sondern lagen dicht an dicht, in unterschiedlicher Ausrichtung wahllos neben- und übereinander.

Einen wichtigen Ansatz, um zu verstehen, was in Scupi geschah, lieferte die anthropologische Untersuchung der Skelette, also eine Bestimmung von Geschlecht und Alter der Toten, ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Herkunft, ihres Berufs sowie ihrer Krankheiten und Verletzungen vor dem Tod. Dabei stellte sich heraus, dass die Toten ausschließlich Männer waren und mehr als zwei Drittel im Alter von 20 bis 40 Jahren. Die meisten hatten einen starken bis sehr robusten Körperbau, waren groß, aber auch nicht außergewöhnlich groß.

Viele Skelette weisen schon früher erlittene und verheilte Verletzungen auf, Rippenbrüche etwa oder Schädeltraumata. Auch Marschfrakturen an den Füßen und Boxfrakturen an den Händen sind sichtbar, außerdem Spuren von Kompressionen der Bandscheiben durch schweres Gepäck.

Wer die Knochen und Schädel in der Ausstellung eingehend betrachtet, kann die Befunde der Forensiker wie in einer True-Crime-Story nachvollziehen. Die Indizien – eine homogene Gruppe mittelalter, kräftiger Männer, die starken physischen Belastungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt waren – sprechen sehr dafür, dass es sich um Soldaten handelte.

"Die andere Seite" der römischen Zivilisation

Nun könnte man annehmen, dass die Römer hier eine Gruppe von erschlagenen Feinden bestattet haben. Dem widerspricht Museumsdirektor David jedoch. Er zitiert die Analyse der forensischen Anthropologen, wonach die Toten signifikante Ähnlichkeiten – etwa hinsichtlich Schädelindex und Körpergröße – mit Bestatteten aus der benachbarten Nekropole von Scupi hatten, was nahelegt, dass sie aus der lokalen Bevölkerung stammten. Bestätigt werden könnte diese Vermutung durch derzeit noch nicht vorliegende radiologische und genetische Analysen.

Bis auf Weiteres vermuten die Archäologen, dass die Römer in Scupi eine Gruppe eigener Soldaten hingerichtet haben, möglicherweise nach einer Meuterei oder Fahnenflucht. Im Vergleich zu anderen Hinrichtungsarten – etwa dem Verbrennen bei lebendigem Leib – galt die Enthauptung als ehrenvolle Art der Hinrichtung.

Die Gewaltanwendung gegen die eigenen Leute zeigt für die Museumsleiter David und Velkov "die andere Seite" der römischen Zivilisation. Diese Seite sei im dritten Jahrhundert, in einer Phase der "Usurpationen, Separationen und Bürgerkriege", deutlich hervorgetreten.

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Andererseits sei staatlich verübter Massenmord kein Ausnahmephänomen der Antike, sagt David. Auch in modernen Konflikten würden solche Verbrechen verübt, und auch aus der heutigen Zeit könnten folgende Generationen Massengräber entdecken.

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. Juni 2025 zu sehen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.