Arbeitsmarkt in Frankfurt: Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Der Chef der Frankfurter Arbeitsagentur, Björn Krienke, sieht seinen Standort trotz Krise besser aufgestellt als andere. Das liegt an einigen Besonderheiten.
Herr Krienke, die aktuelle Arbeitslosigkeit in Frankfurt liegt bei 6,5 Prozent. Wo sehen Sie die Entwicklung im Laufe des Jahres?
Die Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich unter anderem aufgrund von geopolitischen Unsicherheiten, gestiegener Energiepreise und des Kriegsgeschehens in der Ukraine weiter, was sich zunehmend auf den lokalen Arbeitsmarkt auswirkt. Wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage steigt die Arbeitslosigkeit, wobei Frankfurt nach wie vor durch den Zuzug Gut- und Hochqualifizierter profitiert. Deshalb erwarten wir im Verlauf des Jahres 2025, dass die Beschäftigung weiter steigt. Die gleichzeitige Zunahme der Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles Problem: Es beruht auf gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die die Menschen verunsichern und sie vor neue Herausforderungen stellen.
Welche wirtschaftlichen Entwicklungen beeinflussen das besonders?
Der Beschäftigungsabbau in einigen Branchen, weltpolitische Spannungen und politische Richtungsentscheidungen nach Neuwahlen haben großen Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen und dessen Wahrnehmung. In Frankfurt kommt uns der ausgeprägte Branchenmix zugute, der in unserer Region für Stabilität sorgt. Dennoch bleiben Herausforderungen.
Welche sind das?
Ein Hauptproblem ist die sogenannte Mismatch-Arbeitslosigkeit: Die Qualifikationen oder das Qualifikationsniveau der arbeitslos gemeldeten Menschen passen oft nicht zu den Anforderungen der Unternehmen. Ein weiteres Hindernis sind strukturelle Veränderungen in Schlüsselbranchen. Sprechen wir einmal nicht von der Automobilindustrie, die in Frankfurt kein zentraler Wirtschaftsfaktor ist. Nehmen wir den Logistikbereich: KI-gesteuerte Systeme werden immer stärker zur Steuerung von Lieferketten eingesetzt. Und diese müssen entsprechend bedient werden können.
Was können die Arbeitsagenturen da tun?
Beratung und Qualifizierung sind der Schlüssel. Wir setzen auf individuelle Beratung für Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, um passende Lösungen zu finden. Niemand, der sein Wissen ausbauen kann, soll sich entmutigen lassen. Und die Unternehmen können und sollten den Menschen das auch zutrauen.
Berufliche Weiterbildung spielt eine entscheidende Rolle, allerdings ist dies ein Prozess: Ein Bauhelfer wird nicht über Nacht zum Mechatroniker. Das erfordert Zeit und entsprechende Förderung. Auch direkte Unterstützung durch Eingliederungszuschüsse oder betriebliche Qualifizierungen sind wichtige Ansätze.
Müssen Unternehmen stärker in Weiterbildung investieren?
Absolut. Ich wünsche mir von den Unternehmen mehr Mut und Kreativität, Beschäftigte weiter zu qualifizieren und gemeinsam mit uns die Tür für Arbeitsuchende zu öffnen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die oft keine eigenen Personalabteilungen haben, können von unserer Beratung und unseren Förderprogrammen profitieren.
Ich hörte kürzlich, dass Kinder aus sozial schwachen Familien kaum Praktikumsplätze finden, während das Handwerk händeringend Lehrlinge sucht. Was können Sie hier tun?
Unsere Berufsberater in den Schulen weisen gezielt darauf hin, dass Praktika eine gute Möglichkeit sind, um sich über berufliche Wünsche klar zu werden. Dabei unterstützen sie aktiv bei der Suche nach Praktikumsplätzen. Es kommt dennoch zu oft vor, dass junge Menschen erst spät aktiv werden, kein Praktikum zur Orientierung oder zum Kennenlernen betrieblicher Prozesse nutzen und stattdessen irgendeinen Job annehmen. Das hat oft zur Folge, dass sie dann weiter in Hilfsjobs arbeiten, statt sich ihrem Traumberuf zu nähern.
Was kann man dagegen tun?
In Frankfurt arbeiten wir deshalb sehr eng mit den Kammern und Berufsverbänden zusammen, um Schülerinnen, Schüler und deren Eltern mitzunehmen. Unser Appell an die Unternehmen ist, sich offener zu zeigen und auch jungen Menschen ohne einen perfekten Notenschnitt eine Chance zu geben. Das zahlt sich oftmals durch eine starke Verbundenheit zum Betrieb und großes Engagement aus.
Für junge Menschen, die bereits die Schule verlassen haben, bieten wir Einstiegsqualifizierungen an, also Praktika, bei denen wir den Unternehmen eine Entgelt- und Sozialabgabenpauschale zahlen. Das schafft Anreize und baut Brücken in betriebliche Ausbildungen. Außerdem fördern wir Kooperationen mit Unternehmen und setzen verstärkt auf Plattformen wie Matchingtools, die Schülerinnen und Schüler mit Betrieben zusammenbringen. Das Projekt "Startklar" mit der Fraport AG ist hierfür ein tolles Beispiel.
Welche Rolle spielen der Flughafen und auch die Messe für den Frankfurter Arbeitsmarkt insgesamt?
Beide sind zentrale Wirtschaftsmotoren der Region. Der Flughafen ist mit rund 81.000 Beschäftigten bei Fraport und Partnern nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern schafft über Zulieferer, Dienstleister und Logistikunternehmen indirekt weitere 200.000 Arbeitsplätze. Die Messe trägt mit etwa 20.000 direkten und indirekten Jobs in Bereichen wie Eventmanagement, Catering und IT, aber auch dem Tourismusbereich, erheblich zur regionalen Beschäftigung bei. Die Umsatzentwicklung der Messe steigt kontinuierlich an, sodass sich auch dieser Effekt positiv auf den regionalen Arbeitsmarkt auswirken kann.
Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?
Dass die Schere zwischen der steigenden Arbeitslosigkeit auf der einen und den offenen Stellen, die Unternehmen nicht besetzen können, auf der anderen Seite weiter auseinandergeht. Auch die hohe Wohnkostenbelastung in Frankfurt gefährdet langfristig unsere Attraktivität als Arbeits- und Ausbildungsstandort. Zudem müssen wir mehr dafür tun, Chancengleichheit im Bildungssystem zu fördern, um Menschen nicht vom Arbeitsmarkt auszuschließen.
Und wo sehen Sie die größten Chancen?
Frankfurt hat viele Vorteile. Unsere demographische Struktur ist ausgewogener als in anderen Regionen, wir haben einen Höchststand bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen erreicht und können uns durch kluge Qualifizierungsstrategien besser auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen. Auch wenn Digitalisierung und struktureller Wandel eine Herausforderung bleiben, sehe ich große Potentiale in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und in der Weiterentwicklung unserer Instrumente. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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