Ärztemangel: Der Mangel an Ärzten sollte Anlass geben, noch einmal über die Zulassungsregeln für das Medizinstudium nachzudenken. Eines ist dabei aber zu vermeiden.
Der junge Mann will unbedingt Arzt werden. Einen anderen Beruf gibt es für ihn nicht, er begeistert sich seit Kindertagen dafür. Der Vater ist Internist, viele Verwandte sind ebenfalls Mediziner. Doch seine Abiturnote reicht nicht aus. Auch andere Wege, inklusive einer Ausbildung zum Krankenpfleger, führen nicht zum Ziel. Schließlich versucht er, sich einen Studienplatz an der Uni Marburg zu erklagen – und hat in der ersten Instanz Erfolg. Er findet eine Wohnung, besucht die Orientierungswoche, hat schon seinen Stundenplan. Doch dann die bittere Nachricht: Der Verwaltungsgerichtshof gibt der Universität recht. Der junge Mann und mehrere andere Kläger, die vorläufig zum Medizinstudium zugelassen worden waren, werden exmatrikuliert.
Um Kranke zu heilen, ist mehr nötig als ein Spitzenabitur
Der Fall, über den die F.A.Z. vor Kurzem berichtete, verdient ein Attribut, das man sonst sparsam verwenden sollte: tragisch. Niemand könnte den Erfolg des (vorerst) verhinderten Mediziners in Studium und Beruf vorhersagen, und zur Wahrheit gehört, dass die Abiturnote – wie der Intelligenzquotient – ein recht brauchbarer Prädiktor für gute Zensuren auch in den Examina ist. Um Krankheiten zu erkennen, Leidende zu heilen und ihnen Hoffnung zu geben, sind aber noch andere Fähigkeiten vonnöten. Einiges spricht dafür, dass der exmatrikulierte Marburger Student – wie vielleicht manch anderer, der an den Zugangshürden scheitert – über jene Gaben verfügt.
Geschichten wie die aus Mittelhessen geben Anlass, darüber nachzudenken, ob die jetzigen Zulassungsregeln an der einen oder anderen Stelle korrigiert werden können. Nicht um jedem zu seinem Wunschstudium zu verhelfen, sondern um dem täglich beklagten Ärztemangel zu begegnen, empfiehlt sich etwas mehr Pragmatismus. Zu einer Absenkung der Leistungsstandards im Studium selbst darf das aber nicht führen. Schließlich gibt es kaum eine verantwortungsvollere Aufgabe, als sich um die Gesundheit von Menschen zu kümmern.
Und wer verlangt, zusätzliche Ausbildungskapazitäten an den Unis zu schaffen (was in Hessen zum Teil schon geschehen ist), der sollte auch erklären, wie er sich die Finanzierung vorstellt: Kaum ein anderes Studium erfordert einen so hohen Aufwand an Material und Betreuern wie das der Humanmedizin.
Fehlt es an beiden und hat es der Ärztenachwuchs mit Lehrkräften zu tun, die wegen ihrer Aufgaben im Klinikbetrieb selbst am Limit arbeiten, kann aus dem Traumstudium schnell ein Albtraum werden. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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