Freies Schauspiel Ensemble: Das Drama "Einsame Menschen" von Gerhart Hauptmann ist noch immer aktuell: Das Freie Schauspiel Ensemble zeigt es als eine Ehe-Tristesse ohne Ausweg.,
Das Drama "Einsame Menschen" von Gerhart Hauptmann ist noch immer aktuell: Das Freie Schauspiel Ensemble zeigt es als eine Ehe-Tristesse ohne Ausweg.
Gerhart Hauptmanns fünfaktiges Drama "Einsame Menschen", das 1891 in Berlin uraufgeführt wurde, ist anders als sein übriges Frühwerk kein Sozialdrama, sondern eine in vielerlei Hinsicht an Ibsen erinnernde Ehegeschichte um einen lebensuntüchtigen Intellektuellen. In der ursprünglichen Form und Länge wird es heute kaum noch gespielt, doch die reizvolle Grundkonstellation ist auf gegenwärtige Verhältnisse übertragbar, was in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Bearbeitungen und Überschreibungen geführt hat.
Auch Reinhard Hinzpeters Version verschlankt das Drama auf knappe zwei Stunden Spielzeit, lässt einiges Personal weg und erfindet ein komplett neues Ende. Das Freie Schauspiel Ensemble zeigt im Bockenheimer Titania ein berührendes Kammerspiel, in dem die männliche Hauptfigur Johannes (Moritz Buch) dem Zuschauer unangenehm bekannt vorkommt. Johannes ist ein exemplarischer Geisteswissenschaftler, ein rechthaberischer Weltverbesserer, über Kreuz mit dem Universitätsbetrieb und krampfhaft unkonventionell. Dabei ein dezidiert unviriler Mann, der aber eine wichtige männliche Eigenschaft unhinterfragt vor sich herträgt: den Glauben an die eigene Bedeutsamkeit, die Wichtigkeit seines Schaffens und Schreibens.
Sie ist von Beginn an die Einsame
Dazu hat er sich fernab der Großstadt ein Haus am See gemietet, in dem seine Frau Katharina (Jana Saxler) und seine Mutter (Bettina Kaminski) wie selbstverständlich die Care-Arbeit am gemeinsamen Kind verrichten und überhaupt die gesamte Infrastruktur am Laufen halten. Hinzpeters Inszenierung zeigt das angenehm wie nebenbei, denn es sind immer die Frauen, die den großen Esstisch decken, der neben einer Anrichte das gesamte Bühnenbild vor dem Prospekt mit dem idyllischen See bildet (Bühne Gerd Friedrich). Die Herren, neben Johannes sein nicht minder erfolgloser Malerfreund Braun (Ives Pancera), finden stets eine gedeckte Tafel vor, können im Stehen mal eben nach einem Brötchen greifen, um sich dann wieder ihren künstlerischen oder wissenschaftlichen Projekten zu widmen. Wehe aber, jemand unterbricht den genialischen Flow, wie es Katharina einmal wegen dringender finanzieller Angelegenheiten wagt, dann wird ihr mangelnde Empathie und Verständnislosigkeit vorgeworfen.
Sie ist von Beginn an die Einsame in dieser Konstellation, und durch das Hinzukommen von Anne (Magali Vogel), einer jungen Studentin und Freundin Brauns, wird das Ungleichgewicht dieser Ehe nur sichtbar gemacht. Während Johannes in der intellektuellen Anne eine begeisterte Gesprächspartnerin findet, sieht er in Katharina nur die patente Fürsorgerin, die er zu lieben glaubt, die er aber nicht wirklich achtet. Die Liebe zu Anna hingegen mag zwar platonisch sein, doch als sie am Ende des Sommers die Familie wieder verlassen will, nicht zuletzt gedrängt von der Mutter, die das Gefährliche und Zerstörerische dieser seltsamen Ménage-à-trois erkennt, versucht Johannes verzweifelt und vergeblich, Anne zum Bleiben zu bewegen. Mit ihrer Abreise versiegt seine Vitalität, und er versinkt wieder, wie zu Beginn des Dramas, in unfruchtbar unkreativen Kreisgedanken um sein uferloses Werk.
Anders als im Original lässt Reinhard Hinzpeter Johannes aber am Leben, so etwas Heroisches wie ein Selbstmord hätte zu dieser Figur ohnehin nicht gepasst. Die Wirklichkeit dieser Ehe ist banaler und schlimmer. Wie sie da am Ende stumm am Tisch sitzen und ihre Suppe in sich hineinlöffeln, leben sie einfach ohne Gemeinsamkeit weiter, unverbunden, einander fremd, wie zahllose Paare, 1890 wie heute. Wohl deshalb haben viele Theater das Stück für die Gegenwart neu entdeckt, Reinhard Hinzpeter und das Freie Schauspiel Ensemble zeigen die Paar-Tristesse ausweglos auf Dauer gestellt.
Einsame Menschen Titania Theater, Basaltstraße 23, Frankfurt, nächste Aufführungen am 9. und 10. November © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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