Schamott-Hersteller RHI: Der RHI-Konzern, Hersteller feuerfester Steine für Hochöfen, will einen 120 Jahre alten Standort nahe Gießen schließen, gut einhundert Arbeitsplätze sollen wegfallen.
Dabei hatten Land und Stadt zuletzt sogar eine Bahnlinie wiederbelebt, damit die Produktion bleibt. Auch ein Zukauf in Frankreich sorgt für Unmut.
Peter Gefeller plagt sich nicht zum ersten Mal mit Sorgen um einen der wichtigsten Arbeitgeber in seiner Stadt herum. Schon sechsmal drohte der RHI-Konzern allein seit 2020 das Aus für seinen annähernd 100 Mitarbeiter zählenden Standort in Staufenberg an. Sechsmal konnte die Schließung abgewendet werden. Aber dieses Mal meinen es die Österreicher ernst. Der Aufsichtsrat in Wien hat den Daumen über das 120 Jahre alte Werk gesenkt, wie es am Sitz des Unternehmens heißt.
Die RHI Magnesita NV stellt als Zulieferer für Hochofenbetreiber sogenannte Feuerfest-Steine her. Volkstümlich ist von Schamottsteinen die Rede. Deshalb heißt die jahrzehntelang unter Didier-Werke firmierende Fabrik in der Region auch nur "Schamott". Eine RHI-Sprecherin nennt wirtschaftliche Gründe für die drohende Schließung. Die Nachfrage sei schwach. Der Standort im Ortsteil Mainzlar sei ein Werk mit hervorragenden Mitarbeitenden. "Der Beschluss, das Werk schließen zu wollen, ist uns sehr schwergefallen", teilt die Sprecherin weiter mit. Doch das Gebaren des Unternehmens in jüngerer Zeit sorgt in der Region für erheblichen Unmut.
RHI guter Gewerbesteuerzahler in Staufenberg
Vor gut zwei Jahren sah es schon einmal nach dem endgültigen Ende einer langen Betriebsgeschichte an der Didierstraße aus. Der Ofen war im Wortsinn aus, ein Sozialplan ausgehandelt. Eine Anzahl früherer Mitarbeiter suchte sich andere Arbeitsplätze. "Ich weiß, wie viele Steuern dieses Unternehmen jedes Jahr in die Stadtkasse gezahlt hat. Und ich kann mir vorstellen, wie viel Gewinn mit diesem Werk gemacht worden ist", sagte Gefeller aus Anlass einer Protestaktion der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie seinerzeit. Daher sei es beschämend, dass der Standort geschlossen werden solle. Der DGB-Kreisvorsitzende Klaus Zecher sagte dort: "Es geht um reine Profitgier auf Kosten eurer Arbeitsplätze."
Doch dann kam die Wende. Unter dem Eindruck der wegen der Corona-Pandemie gestörten Lieferketten und den Folgen des Überfalls von Russland auf die Ukraine vollzog der Konzern eine Kehrtwende. Das Motto lautete: "Back to the roots", wie sich SPD-Mann Gefeller erinnert. Anders gesagt: lieber weiter in Mittelhessen produzieren als mit dem Ausland zusammenhängende Risiken eingehen. Zwar erwiesen sich die seinerzeit explodierten Gaspreise als klarer Standortnachteil. Doch signalisierte die Konzernführung: Wenn die "Schamott" einen Anschluss an die Bahnlinie im nahen Lollar bekommt, dann wird das Werk nicht geschlossen. "Der Konzernchef sagte, er könne sich RHI ohne Mainzlar nicht vorstellen", erinnert sich der Bürgermeister.
Gleis für RHI-Werk eigens wiederbelebt
In der Folge investierten das Land und die Hessische Landesbahn rund 1,2 Millionen Euro. Der Landkreis Gießen und die Stadt Staufenberg stellten jeweils fünfstellige Summen bereit. So konnten sie einen kleinen Abschnitt der vor Jahrzehnten stillgelegten Lumdatalbahn wiederbeleben und erfüllten die Forderung von RHI. Das Unternehmen fuhr seinen Ofen wieder hoch und holte ehemalige Mitarbeiter zurück – auch solche, die zwischenzeitlich schon einen anderen Arbeitsplatz gefunden hatten. Der Standort wurde für knapp zwölf Millionen Euro modernisiert, wie es hieß. Nur: Mit der Ertüchtigung der Gleise auf dem Werksgelände ließ sich das Unternehmen augenscheinlich Zeit. "Das hat mich schon in diesem Sommer zweifeln lassen", sagt Gefeller.
Nun aber stehen auch die zurückgeholten Beschäftigten vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze. Gefeller findet das sehr ärgerlich. Überdies macht er einen von RHI unterschriebenen Vertrag geltend, nach dem der Konzern von 2024 bis 2028 in Mainzlar klar bestimmte Tonnagen von Material über das wiederbelebte Gleis fahren müsse. Bisher sei aber nichts dergleichen geschehen. Der Bürgermeister führt auch an, RHI habe in Frankreich eine Fabrik erworben, die vergleichbare Materialien herstelle wie jene in Staufenberg. Dem aber widerspricht die Pressestelle in Wien: "Es ist nicht korrekt, dass RHI eine Fabrik in Frankreich mit einem ähnlichen Produkt erworben hat und auch deshalb das Werk in Mainzlar schließt."
Zu den genauen Gründen der geplanten Schließung abseits der allgemeinen Verweise auf die Wirtschaftslage schweigt RHI jedoch. Aufgrund der laufenden Gespräche über den Sozialplan nebst Interessenausgleich übermittle der Konzern keine weiteren Informationen. Dessen ungeachtet legt er in diesen Tagen auf ungebetene Besucher keinen Wert: Dem regionalen CDU-Landtagsabgeordneten Lucas Schmitz verweigerte RHI den Zutritt zum Werk. Als es um den Gleisanschluss gegangen sei, habe das Unternehmen die Politik mit offenen Armen empfangen. "Heute, wo es um die Verantwortung für die Beschäftigten geht, werden uns die Türen verschlossen", kommentierte der verärgerte Schmitz. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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