Frauen Theater Festival: Sie hat ein Stück darüber gemacht, wie weibliche Wut aussieht. Woher sie kommt. Und wofür sie gut sein könnte. Die Choreographin Anna Konjetzky.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Warum die Münchner Choreographin Anna Konjetzky bis jetzt noch nie nach Frankfurt oder Umgebung zu einem Gastspiel eingeladen wurde, weiß sie auch nicht. Sie ist seit gut zwanzig Jahren in der freien Szene tätig, macht Stücke, Solos oder Gruppenarbeiten, für erwachsenes und für junges Publikum, sie hat an Stadttheatern choreographiert, hat Preise gewonnen, gastiert international. Einen Bezug zu Frankfurt hat sie allemal. Vier Jahre lang war sie von 2005 an als Assistentin der Regisseurin Wanda Golonka am Schauspiel Frankfurt engagiert. Sie hat gute Erinnerungen, "ich habe viel gelernt und viel gearbeitet". Kein Wunder vielleicht, dass eines ihrer Markenzeichen als Choreographin, wie bei Golonka, ein spezieller Umgang mit Räumen ist, seinen Erhebungen, Verdichtungen, Trennungen und Öffnungen, Rhythmen, in die sich die Tänzerkörper ein- und ausklinken.

So schuf sie 2022 ein Stück, "hope/less", in dem ein Grüppchen Leute buchstäblich in den Seilen hängt und hangelt. Sie lassen sich mal fallen, mal bekrabbeln sie sich, raffen Kräfte, wie Hoffnung. In "Abdrücke", 2010, schob eine Tänzerin in einem kleinen Glaskasten Papierblätter zwischen sich und die Zuschauer draußen und kritzelte drauf, als schwitze diese doppelte Enge eine dritte Sprache aus. Dieselbe großartige Tänzerin, Sarah Huby, verformte sich und ein Tisch-Stuhl-Ensemble in "Move More Morph it!" 2018 zu wunderlich bekannten und unerkannten Figuren, eine Art Körper-Comic der energischen Art. Huby wurde auch nominiert für den Faust-Preis 2022, als beste Darstellerin Tanz, für ihren gewaltigen solistischen Einsatz in "Über die Wut". Mit diesem Stück, mit dem sie und Konjetzky nun in Frankfurt gastieren, ist erstmals eine Arbeit der Choreographin in der Region zu sehen. Nicht in einem Saisonprogramm, sondern anlässlich eines Festivals, das jetzt zum achten Mal stattfindet: Das Internationale Frauen Theater Festival, das auf dem Gelände des Vereins Protagon an der Orber Straße in Frankfurt, dem Stammsitz des Antagon Theaters, spielen wird.

Es gibt wenige Darstellungen wütender Frauen

"Über die Wut" eröffnet das Festival. Der Titel sagt, worum es geht. Aber warum "über"? Warum ein Solo? Die Choreographin erklärt im Gespräch, ihr schon vor der Pandemie konzipiertes Stück habe nichts mit der Darstellung ihrer eigenen Gefühle oder der ihrer Tänzerin zu tun, es sei "nichts Persönliches". Kein Ausdruck. Eher sachlich sei sie an das Thema herangegangen. Mit einer Gruppe, sagt sie, hätte sich der Prozess wegbewegt vom Körperlichen hin zu "gegen wen oder was richtet sie die Wut?" und "wie man sich über die Wut zusammenschließt", hier erinnert sie an den speziell deutschen, "blöden Wutbürger-Begriff". Was sie stattdessen interessierte: "eine Auseinandersetzung damit, wie wir und unsere weiblichen oder feministischen Körper in der Gesellschaft Wut erlernen oder nicht lernen und ausdrücken oder nicht ausdrücken können oder dürfen" und wie das Ausgedrückte von anderen wahrgenommen wird.

Ihre Recherche zu hergebrachten Darstellungen wütender Frauen ergab, kaum erstaunlich, dass es relativ wenige gibt. Einige zitiert das Stück, in Texten und mit Videos. Huby, die Wandlungsfähige, habe sie streng Bilder, Skulpturen, Filme, Comics mit Körper und Gesicht kopieren lassen, sagt Konjetzky. Doch gruben sie auch nach dem, was vor der Wut sein kann, woraus sie entstehe, "Unsicherheit, Unwohlsein", und was sie bewirke, wozu sie auch gut sein könne, die Wut – "als Motor für Veränderung". Sie sammelten Manifeste, Texte, und suchten deren Transformation in Tänzerinnenbewegung. Konjetzky ist wichtig, dass die Auswahlen, die sie traf, die Listen im Stück, keine allgemeinen Aussagen treffen wollen, nur Beispiele geben. Bei aller Ernsthaftigkeit, fügt die muntere Feministin hinzu, habe die Arbeit an "Über die Wut" unglaublich viel Spaß gemacht. "Wut ist ein sehr körperlicher, aber auch ein lustiger und toller Zustand, ein präzises Werkzeug."

Diese Sichtweise hat die künstlerische Leiterin Bárbara Luci Carvalho und ihr Team des Internationalen Frauen Theater Festivals überzeugt. Sie hatten auf ihren Aufruf zum Mitmachen an internationale Künstlerinnen rund 200 Bewerbungen erhalten – und diese aus München. Nun steht Konjetzkys Solo am Anfang eines reichhaltigen, mehrsprachigen Programms, das Lokales und Internationales zeigt. Es bietet Bühnenstücke für ein Publikum von kleinen Kindern bis Erwachsenen, Tanz- und Theateraufführungen auch von Frankfurter Künstlerinnen, etwa der Daedalus Company mit "Die 4 Grazien" über alte Frauen; dazu gibt es auch tagsüber nur für Frauen Workshops, für alle sind Musikauftritte, eine Ausstellung, eine Installation mit Kurzfilmen und ein Symposium zum Motto des diesjährigen Festivals: "Safer Spaces – The Feminist Culture of Peace", das Kulturschaffende befragt, wie sie mit Konflikten umgehen, und ein gewaltfreies Arbeitsumfeld erschafft. Ohne Wut.

Internationales Frauen Theater Festival: 16. bis 22. September, Protagon-Gelände, Orber Straße, Frankfurt, Informationen unter

iftf-frankfurt.com   © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.