In den 1980ern spielte der Bergheimer Stephan Härtel Fernschach mit einem Kontrahenten aus der DDR. Dafür notierte er einen Spielzug auf eine Postkarte, verschickte sie und wartete dann teilweise Wochen auf die Antwort dieses Menschen, der sich auf der anderen Seite der Mauer befand.
Sein Spiel fand im Rahmen eines Wettkampfes statt, den der Schachverein Turm 25 Bergheim und die DDR-Sportgemeinschaft Chemie Colditz miteinander austrugen. Nun schaut Härtel nicht nur auf 48 Jahre Vereinssport zurück, sondern kann mit seinen Kollegen das 100-jährige Jubiläum des SV Turm 25 Bergheim feiern, der sich am 1. Februar 1925 gründete. Ein Geburtstag, zu dem alle Schachbegeisterten am Samstag ab 10:30 Uhr im Bergheimer Rathaus eingeladen sind. Geplant ist eine Veranstaltung mit Großmeisterin Elisabeth Pähtz, die gleichzeitig gegen 25 Kontrahenten antreten wird.
SV Turm 25 Bergheim feiert 100 Jahre Vereinssport
Als Vereinsvorsitzender hofft Stephan Härtel, dass das für die jungen Spielerinnen und Spieler im Verein ein besonderes Erlebnis sein wird, denn Elisabeth Pähtz ist nicht nur die derzeit stärkste deutsche Schachspielerin, sondern zugleich auch die erste deutsche Frau mit dem Großmeistertitel.
Solche Veranstaltungen mit Granden des Sports hat der Bergheimer Verein auch in der Vergangenheit organisiert. Im Jahr 1971 war der Großmeister Robert Hübner in Bergheim, der zeitweise dritter in der Weltrangliste war. Schachgrößen wie Paul Tröger (1964) und Wolfgang Unzicker (1975) waren ebenfalls zu Besuch. Und zum 60-jährigen Bestehen im Jahr 1985 richtete der Bergheimer Verein die Deutsche Meisterschaft im Blitzschach aus, eine Turnierform, in denen die Spieler zwischen drei und sieben Minuten auf der Uhr haben.
Sportliche Spitzenleistungen in den 2000ern
Die 2000er sollten für den SV Turm 25 Bergheim Jahre des sportlichen Höhenflugs bereithalten. Der Verein marschierte innerhalb von drei Jahren von der Verbandsliga bis zur 2. Bundesliga durch. Laut Härtel konnten sie mithilfe eines Sponsors attraktive Spieler anwerben und belegten bei der Deutschen Blitzmeisterschaft einmal den vierten (2004) und zweimal den dritten Platz (2005, 2006). 2007 verlor der Verein allerdings seinen Sponsor. Mittlerweile spielt die erste Mannschaft wieder in der Verbandsliga.
Ein Jahrhundert lang sorgte Schach in Bergheim also für diese besonderen Erlebnisse, und doch zeigt sich dieser uralte Sport heute mit einem völlig anderen Gesicht. Statt mit der Postkarte kann heutzutage jeder mit seinem Handy mit Gegnern aus aller Welt spielen. Schach ist gar ein wahres Medienphänomen geworden: Auf YouTube begegnen Fans Schachgrößen wie Hikaru Nakamura oder Georgios Souleidis, besser bekannt als "The Big Greek". Diese kommentieren die neuesten Turnierergebnisse, streamen ihre Spiele und erklären die Vor- und Nachteile bestimmter Eröffnungen. Schach fand im Internet ein neues Zuhause.
Schach verbindet noch heute
Dem Vereinsleben in Bergheim hat das nicht geschadet, meint Stephan Härtel. Im Gegenteil: Nach der Corona-Pandemie wären viele junge Menschen zum Verein dazugestoßen, die während des Lockdowns das Online-Schach für sich entdeckten. Der SV Turm Bergheim verzeichnet aktuell über 80 Mitglieder, also so viele wie noch nie. Die jüngsten Mitglieder seien dabei fünf bis sechs Jahre alt, die ältesten über 80. "Schach ist ja noch eine Sportart, in der Fünfjährige gegen 85-Jährige spielen können", sagt Härtel.
Die verbindende Kraft von Schach zeigte sich auch im Kontakt mit der DDR-Sportgemeinschaft. 1986 und 1987 ließen die Bergheimer die Grenzkontrollen über sich ergehen, um ihre Postkartenfreunde aus Colditz zu besuchen. "Jeder hat bei seinem Fernschachgegner übernachtet", erzählt Stephan Härtel. "Es waren schöne Freundschaften."
Und dass man Schach aus der digitalen Welt zurück ins Analoge holen kann, beweist der Verein erneut im September. Dann richtet der SV Turm 25 Bergheim eine Simultanveranstaltung mit dem Internationalen Meister und Schachinfluencer "The Big Greek" Georgios Souleidis aus. © Kölner Stadt-Anzeiger
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