Die eigene Stadt gestalten, Schulen und Kindergärten planen und eröffnen, neue Unternehmen ansiedeln.
So hatte sich vermutlich Volodymir Matseliukh seine Aufgaben vorgestellt, als er 2020 Bürgermeister der Stadt Nowojaworiwsk in der Ukraine wurde. Seit 1000 Tagen aber ist auch die 52.000 Einwohner große Stadt ganz im Westen des Landes im Krieg. "Es gibt nicht viel Anlass zur Freude", sagte der Gast im Troisdorfer Ratssaal. Dort begründeten Matseliukh und Bürgermeister Alexander Biber mit ihrer Unterschrift eine Solidaritätspartnerschaft.
Kleine Delegation war für drei Tage in Troisdorf
14 Schulen habe die Stadt, berichtete Matseliukh, der mit einer kleinen Delegation seit Sonntag in Troisdorf weilte; 7500 Schülerinnen und Schüler würden dort unterrichtet. Noch vor wenigen Jahren, so führte er aus, war Nowojaworiwsk eine Stadt, "wo die Zahl der Geburten dreimal höher war als die der Todesfälle". Jetzt aber habe sich "alles verändert".
30 Kilometer nur sind es von Nowojaworiwsk, das aus der Stadt dieses Namens und 22 umgebenden Ortschaften besteht, bis zur EU-Grenze am Übergang nach Polen. "Wir sind 1000 Kilometer von der Front entfernt", sagte der Bürgermeister. Dennoch schlugen auch dort schon Raketen ein: Am 13. März 2022 seien mehr als 20 Geschosse in der Stadt explodiert, "Dutzende von Toten" habe es damals gegeben. 2000 Binnenflüchtlinge aus den umkämpften Gebieten des Landes habe Nowojarowiwsk aufgenommen, berichtete der Bürgermeister.
Tausende Bürger seiner Stadt trügen jetzt Uniform und kämpften im Osten des Landes, erzählte Matseliukh: "Sie waren Lehrer, Ärzte, Unternehmer, sogar Abgeordnete im Kommunalparlament." Nun sei es seine schwierigste Aufgabe, die Angehörigen zu besuchen und mitzuteilen, dass der Vater, Bruder oder Sohn gefallen sei. 78 an der Front Gefallene beklagt die Stadt, 40 Soldaten seien verschollen. Allein während des kurzen Aufenthalts in Troisdorf habe die Delegation zwei neue Vermisstenmeldungen erhalten. Während die Delegation am Sonntag im Flugzeug nach Deutschland saß, explodierten Raketen nur 100 Kilometer östlich seiner Stadt.
Volodymir Matseliukh dankte Deutschland für die moralische und materielle Unterstützung "während der schwierigsten Zeit in unserer Geschichte". Die Partnerschaft mit Troisdorf sei sehr wichtig für seine Stadt, er wage aber auch die Prognose, dass sie für beide Seiten erfolgreich sein werde. Die Gäste hätten schon vorab ein großes Interesse an den Themen Bildung, Wirtschaft, Umwelt und Nachhaltigkeit gezeigt, berichtete Bürgermeister Biber. Das am Dienstagabend unterschriebene "memorandum of understanding" solle der Startpunkt und die Grundlage weiterer Zusammenarbeit sein.
Auf solche Perspektiven hofft auch Friedhelm Herrmann, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Troisdorfer Stadtrat. Der hatte einhellig für die Aufnahme von Beziehungen mit Nowojaworiwsk gestimmt, die Spitzen einiger Fraktionen nahmen an der Begegnung im Rathaus teil. Auch ihr fehle "die Vorstellungskraft, was das bedeutet", sagte Angelika Blauen von Bündnis 90/Die Grünen. "Vielleicht kommt ja noch der Tag, an dem wir befreit miteinander lachen können." Derzeit ist geplant, dass im März oder April 2025 eine Delegation aus Troisdorf in die Ukraine reist.
Obwohl sich Matseliukh überzeugt zeigte, dass sein Land den Krieg gewinnen werde, macht er sich für die kommenden Monate keine Illusionen. "Es gibt keine einzige Stadt in der Ukraine, die sicher ist", sagte er, gefragt nach der Situation mit Blick auf den Winter. Es gebe keine Sicherheit und auch keine Vorbereitung. "Wir beten, dass die Raketen, die auf uns fliegen, abgeschossen werden."
Ziel der Partnerschaft ist es laut Stadt Troisdorf, der Bevölkerung von Nowojaworiwsk gezielt zu helfen und den humanitären Bedarf zu decken, besonders für die vielen Binnenflüchtlinge. Unterstützt von der Servicestelle "Kommunen in der Einen Welt" (SKEW) beim Bundes-Entwicklungsministerium, plant Troisdorf mit Nowojaworiwsk Soforthilfe und langfristige Zusammenarbeit. Ein erstes Treffen gab es im September, dabei wurden Bedarf und mögliche Hilfsmaßnahmen. erörtert. Troisdorf bringt Fachwissen in Gesundheitswesen, Solarenergie und Recycling ein, das für die Kooperationen wertvoll sein könnte. © Kölner Stadt-Anzeiger
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