"Menschen wurden im Namen des deutschen Volkes verschleppt, deportiert und ermordet. Und wir schaffen es nicht einmal, einen Straßennamen zu ändern", war Petra Freche (Grüne) entsetzt und appellierte an ihre Kollegen im Schleidener Stadtrat, die Straße "Am Kreuzberg" in "An der Synagoge" umzubenennen.

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Doch das Gremium schloss sich mit Ausnahme der Grünen dem Votum der Grundstückseigentümer und Anlieger an, die sich bereits im Vorfeld mit großer Mehrheit gegen den neuen Namen ausgesprochen hatten. Stattdessen soll nun eine andere Straße oder ein anderer Platz im Stadtgebiet umbenannt werden.

Kritik an der Gemünder Erinnerungskultur

Ein Arbeitskreis um den Autor und Journalisten Franz Albert Heinen hatte die Erinnerungskultur an die jüdischen Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus in Gemünd bemängelt und vorgeschlagen, die Erinnerungstafel aus dem Jahr 1979, die auf die 1874 eingeweihte und 1938 zerstörte Synagoge und auf die in der Zeit der NS-Diktatur in Gemünd ermordeten Juden hinweist, mit einem Zusatzschild zu versehen. Außerdem wurde angeregt, die Straße "Am Kreuzberg", in der das Gotteshaus früher gestanden hatte, in "An der Synagoge" umzubenennen.

Anliegerumfrage: 26 von 30 wollen den neuen Namen nicht

Nach einer Vorberatung im Bildungs- und Sozialausschuss hatte der Stadtrat dann Ende Juni einstimmig entschieden, die Zusatztafel anbringen zu lassen. Wegen der Umbenennung der Straße sollte von der Verwaltung die Meinung der Grundstückseigentümer und Anlieger eingeholt werden.

Deren Votum war eindeutig: Zwei Betroffene stimmten mit Ja, 26 mit Nein, zwei enthielten sich. "Ich glaube, es ging gar nicht um den Namen. Die Menschen hätten sich wegen des Aufwands und der Kosten wohl auch gegen Sandmannstraße ausgesprochen", meinte Bürgermeister Ingo Pfennings.

Schleidener Rat schoss sich mit Befragung ein Eigentor

"Die Entscheidung der Bürger müssen wir respektieren. Das gehört zur Demokratie", meinte Ellen Lehner (SPD). Dem stimmte Jan Griskewitz (FDP) zu: "Es wäre jetzt falsch, sich über das Bürgervotum hinwegzusetzen."

Doch dem FDP-Politiker und auch vielen seinen Kollegen wurde bewusst, dass sich der Rat mit der Befragung der Anwohner ein Eigentor geschossen hatte: "Da stellt man sich die Frage, warum wir die Bürger gefragt haben." Griskewitz schlug vor, stattdessen eine andere Straße oder einen Platz umzubenennen. Über den Namen müsse man dann noch sprechen.

Menschen wurden im Namen des deutschen Volkes verschleppt, deportiert und ermordet. Und wir schaffen es nicht einmal, einen Straßennamen zu ändern.

Petra Freche, Grüne Schleiden

"Ich bin in den Stadtrat gegangen, um Dinge zu entscheiden", hielt Freche dagegen. Mit jeder Entscheidung setze sich der Rat über Meinungen von einem Teil der Bürger hinweg.

Das Ergebnis der Befragung sei schon vorher absehbar gewesen. Man könne sich nicht immer wieder von Stimmungen in der Bevölkerung beeinflussen lassen. "Ich bin schockiert von der Bürgerinfo nach Hause gegangen. Dass das nicht funktionieren würde, war von vorneherein klar", meinte die Grüne.

Würdigung an einer anderen Stelle in Gemünd möglich

Bei der Versammlung sei für sie rübergekommen, dass viele der Meinung seien, dass der Friedhof und die Gedenktafel genug seien. "Es ist aber nie genug. Die Menschen haben doch zu uns gehört", lautete ihre Antwort. Der Rat könne die Straße umbenennen, wolle das aber nicht: "Das ist schade, und das kann ich keinem Überlebenden oder deren Nachfahren erklären."

Jochen Kupp (CDU) konnte Freche in vielen Punkten zustimmen, meinte aber: "Wir haben die Bürgerversammlung abgehalten und ein klares Ergebnis bekommen. Wenn wir jetzt anders entscheiden, wird es Knatsch geben." Man solle, wie vorgeschlagen, über eine Würdigung an anderer Stelle nachdenken.

Ergänzungsschild wurde einstimmig beschlossen

"Es darf kein Vergessen geben", betonte auch Ellen Lehner. Aber man solle jetzt "keine Stimmungen schüren, die man nicht gebrauchen kann". Pfennings gab zu bedenken: "Viele Anwohner befinden sich noch im Wiederaufbau und haben andere Sorgen. Vielleicht hätten sie sonst anders entschieden." Den Vorschlag, eine Lösung an anderer Stelle zu finden, befürworte er.

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Einstimmig sprach sich der Rat dafür aus, das Ergänzungsschild an der Erinnerungstafel anbringen zu lassen. Darauf wird zu lesen sein, dass die Juden ermordet wurden und auch Bewohner der Stadt bei den Übergriffen mitgemacht haben. An der Zerstörung der Synagoge und der jüdischen Geschäfte seien auch ortsansässige Nationalsozialisten beteiligt gewesen.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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