Wie steht es um den Schutz des Kindeswohls in der Stadt Wiehl? Ein Bericht der Stadtverwaltung im Jugendhilfeausschuss des Stadtrats hat nun für Verwirrung gesorgt.

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Wiehl sei sicher "keine Insel der Seligen", sagte Ausschussvorsitzende Larissa Gebser (CDU) hinterher. Die Zahlen erweckten aber gerade diesen Eindruck.

Demnach wurden dem Wiehler Jugendamt im zu Ende gehenden Jahr 41 Fälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet. Aber nur drei hätten sich als ernstzunehmend bestätigt, teilte David Hägerbäumer vom städtischen Jugendamt mit. Zweimal lag nach amtlicher Einschätzung körperliche Misshandlung vor, ein einziges Mal Vernachlässigung. Im vergangenen Jahr waren es nur wenig mehr, nämlich 35 Meldungen und sieben bestätigte Fälle.

"Ich bin wie vor den Kopf geschlagen"

Dass es nur so wenige Fälle im Stadtgebiet gibt, wollte Jörg Decker, der im Ausschuss die freien Träger der Jugendhilfe vertritt, nicht glauben. Überall sonst im Südkreis lägen die Zahlen viel höher.

Er habe die Erfahrung gemacht, dass das Wiehler Jugendamt ohnehin nur reagiert, wenn körperliche Misshandlungen gemeldet werden. Auch Dorothee Sandhofe (Grüne), die beruflich als Medizinerin beim Kinder- und jugendärztlichen Dienst des Kreises beschäftigt ist, stutzte angesichts der niedrigen Zahl der bestätigten Fälle: "Ich bin wie vor den Kopf geschlagen."

Unklar, warum Wiehl so niedrige Fallzahlen hat

Der für den Allgemeinen sozialen Dienst (ASD) des Jugendamts zuständige Mitarbeiter David Hägerbäumer entgegnete, dass viele Falschmeldungen auf Nachbarschafts- oder Elternkonflikten beruhen, die mit dem Wohlergehen des Kindes gar nichts zu tun haben. "Und die erhobenen Vorwürfe haben sich dann bei der Kontrolle nicht bestätigt." Das dürfte aber überall auf der Welt vorkommen. Warum Wiehl außergewöhnlich niedrige Fallzahlen hat, blieb unklar.

Ausschussmitglied Jörg Decker ist als Geschäftsführer der Wiehler Sozialraummanagement GmbH selbst in der Jugendhilfe tätig. An 17 Schulen im Kreis macht sein Team Schulsozialarbeit. Aus der Stadt Wiehl hat er sich nach schlechten Erfahrungen zurückgezogen. "Wir haben einen Ruf zu verlieren", sagt Decker im Telefongespräch im Nachgang der Ausschusssitzung.

Inobhutnahmen fast nur bei jungen Geflüchteten

Als er noch in Wiehl tätig war, habe er an einer einzigen Schule in den ersten vier Wochen nach den Ferien 30 Meldungen von Kindeswohlgefährdung registriert. 40 Meldungen pro Jahr seien für eine Schule normal. Decker zitiert Statistiken, dass jedes achte Kind in Deutschland von Misshandlung oder Verwahrlosung bedroht ist und jedes zehnte von sexueller Gewalt. Und in Wiehl soll es 2024 nur drei ernstzunehmende Fälle gegeben haben?

Decker berichtet von einem Fall, bei dem ein Kind psychischer Gewalt durch seine Mutter ausgesetzt war. "Das Jugendamt hat sich aber geweigert, das Kind aus der Familie zu holen." Dass in der Jugendamtsstatistik Inobhutnahmen nahezu ausschließlich junge Geflüchtete betreffen, die ohne Eltern in Wiehl gestrandet sind, spreche für sich.

Im Ausschuss hatte SPD-Ratsmitglied Iris Chromow ebenfalls Zweifel angemeldet. "Im Allgemeinen Sozialen Dienst gab es einen Leitungswechsel, vielleicht hängt das Problem damit zusammen", mutmaßt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Sie will das Thema nun zunächst in der SPD-Fraktion diskutieren. Allemal sieht sie ein "großes Fragezeichen" hinter der Erfolgsbilanz des Jugendamts.

Der städtische Beigeordnete Peter Madel hat selbst an der Sitzung teilgenommen. Er betont, dass das Team des ASD gut aufgestellt ist und nach festgelegten Standards arbeitet. Dazu gehört, dass weitreichende Entscheidungen im Team getroffen werden. Was in der Diskussion zu kurz gekommen sei: "Die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung ist mit besonderen Hürden verbunden. Wenn wird darauf verzichten, ein Kind mit einer Inobhutnahme aus der Familie zu holen, heißt das nicht, dass das Thema für uns erledigt ist. Es gibt ja niedrigschwelligere Hilfen." Madel gesteht zu, dass die Statistik auffällig ist. Man werde die Zahlen und die Organisation des ASD darum noch einmal kritisch hinterfragen und von den Erkenntnissen im Ausschuss berichten.

Kindeswohlgefährdung

Seit dem Jahr 2000 haben Kinder in Deutschland ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind verboten und stellen einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention dar. Im Fall einer Kindeswohlgefährdung ist der Staat verpflichtet, Kinder zu schützen. Im Vordergrund stehen dabei Hilfsangebote. Sind die Eltern aber nicht bereit oder in der Lage, das Kindeswohl sicherzustellen, muss der Kinderschutz auch gegen ihren Willen durchgesetzt werden. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

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Laut Gesetz ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, minderjährige Personen in Obhut zu nehmen, wenn diese selbst um Obhut bitten oder wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen besteht. Laut einer Erhebung des statistischen Landesamt IT NRW gab es im Jahr 2023 im Oberbergischen Kreis 103 Inobhutnahmen auf eigenen Wunsch der minderjährigen Person oder wegen dringender Kindeswohlgefährdung. Dazu kommen 59 Fälle einer vorläufigen Inobhutnahme, weil eine minderjährige Person aus dem Ausland unbegleitet eingereist war.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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