Es erschien absolut unwahrscheinlich. "Stell Dir einmal vor, ich gewinne wirklich", sagte Julia Pietsch auf dem Weg zur Verlosung im Caritas-Zentrum an der Zülpicher Straße zu ihrem Freund.
Das konnte er genauso wenig wie sie. So sparten sie sich weitere Überlegungen – und wurden von dem Gewinn überrascht, nachdem die Würfel und ein Münzwurf die 30-jährige Lindenthalerin zur glücklichen Grunderbin gemacht hatten. "Ich habe es eigentlich immer noch nicht realisiert", sagt Pietsch.
Alle 30-jährigen Menschen im Stadtbezirk konnten teilnehmen
Sie gehört zu insgesamt drei 30-jährigen Menschen in ganz Deutschland, die dieses Jahr per Los in den Genuss einer Erbschaft in Höhe von 20.000 Euro kommen, ohne dass ein Mensch gestorben ist. Hinter den Grunderbschaften steckt die Stiftung "Ein Erbe für Jeden". Seit zwei Jahren verlost sie jeweils drei solcher Erbschaften an jeweils einen 30-Jährige oder eine 30-Jährigen in drei verschiedenen Orten der Bundesrepublik, die vorher ebenfalls ausgelost werden.
Großstädte werden dabei der Gerechtigkeit halber in kleinere Ortsbereiche aufgeteilt, ihre Stadtbezirke. Und so kam es, dass der Stadtbezirk Lindenthal in diesem Jahr Gewinnerort der Erbschafts-Lotterie wurde. Alle Bewohnerinnen und Bewohner mit deutschem Pass, die zum Stichtag, dem 7. Juli 2024, hier gelebt haben und in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden sind, konnten sich anmelden. Es waren schließlich 131 Teilnehmer.
Chancengleichheit ist das Motiv für die Lotterie
Ziel der Verteilungsaktion ist Chancengleichheit. Stiftungsgründer, Heizungsbaumeister Christoph Prüm, ist der Ansicht, dass die Chancen im Leben durch das Vermögen im Elternhaus vorbestimmt sind – und so griff er mit finanzieller Unterstützung eines vermögenden Freundes vor einigen Jahren eine Idee in der Politik und Wirtschaft auf.
Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) weist seit einiger Zeit auf die Tatsache hin, dass in kaum einem anderen Land die Vermögen so ungleich verteilt sind wie in Deutschland. Es schlägt daher vor, allen jungen Menschen ein "Grunderbe" in Höhe von 20.000 Euro zukommen zu lassen. Finanziert werden soll das Grunderbe durch Erbschaftsteuer oder Vermögensteuer. So würde laut DIW im Endergebnis die Vermögensungleichheit in Deutschland deutlich reduziert.
Es gibt aber auch Kritik, etwa die, dass ein Grunderbe das strukturelle Problem nicht lösen würde oder, dass die jungen Menschen das Geld vermutlich nicht sinnvoll nutzen würden. Prüm sieht die Erbschaftslotterie seiner Stiftung als Testlauf für die Idee.
Um einen bedachten Umgang der Erben mit dem Geld sicherzustellen, verteilen die Stiftungsmitglieder es an etwas Lebens-erfahrenere Menschen und nicht an 18-jährige. Um mehr 30-Jährigen als dreien pro Jahr eine Grunderbschaft zukommen zu lassen, fehlt der Stiftung das Geld, aber sie sammelt Erfahrungen. Die würden zeigen, so Prüm, dass die Gewinner das Geld nicht verprassen.
Pietsch möchte das Geld anlegen
Julia Pietsch, die BWL studiert hat und in einer Immobilienfirma arbeitet, möchte das Geld auch erst einmal nicht ausgeben. "Ich bin ein Sicherheitsmensch", sagt sie. "Ich möchte jetzt einen Grundstock anlegen." Später, wenn sie eine Idee habe, würde sie mit dem Gewinn etwas finanzieren, das ohne Eigenkapital schwierig ist. So ließe sie sich nun bei einer Bank beraten, wie man das Geld am besten anlegt. "Das ist aber schon superinteressant", sagt Pietsch. "So etwas lernt man sonst ja gar nicht."
Die Grunderbinnen und -erben, müssen den Gewinn allerdings zurückzahlen, wenn sie tatsächlich erben, und zwar 20 Prozent der Erbschaft. Ganz müssen sie es nur zurückerstatten, wenn sie mehr als 20.000 Euro erben.
Damit rechnet Pietsch nicht, auch, wenn ihre Eltern immer hart gearbeitet haben: "Mein Vater war Polizeibeamter. Meine Mutter Zahnarzthelferin." Ein Vermögen hätten sie nicht aufgebaut. Aber sie haben sich sehr über die Erbschaft ihrer Tochter gefreut. "Mein Vater war ganz aus dem Häuschen", so Pietsch. "Und meine Mutter sagte, ich sei ein Glückskind." © Kölner Stadt-Anzeiger
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