Stefan Wunsch, Historiker in Diensten von Vogelsang IP, ist begeistert: "Es ist ein wahrer Schatz, der uns da in die Hände gefallen ist und der auch für die Forschung sehr wichtig ist."
Bei dem Schatz handelt es sich um sechs Fotoalben mit mehr als 700 bislang unbekannten Aufnahmen aus dem Familienbesitz von Dieter und Peter Derichs, in denen die Baugeschichte der NS-Ordensburg Vogelsang von 1934 bis 1937 festgehalten ist. Wunsch hat mit Hilfe der Aufnahmen die Sonderausstellung "Visionen der Macht" mit 16 Schautafeln konzipiert, die ab heute auf der Empore des Besucherzentrums von Vogelsang IP zu sehen ist.
Im März 1934 hatten die Nazis, begleitet von viel Propaganda, mit dem Bau eines großen nationalsozialistischen Schulungslagers in der Eifel hoch über dem Urftsee begonnen. Ursprünglich war ein Barackenlager für mehrwöchige Aufenthalte geplant gewesen.
Nach Intervention des Architekten Clemens Klotz wurden die Bauten aus Beton und Stein errichtet. Vorübergehend sprach man von einem Reichsschulungslager. Im Juni 1934 wurde die Baustelle dann erstmals als "Burg Vogelsang" bezeichnet.
In den folgenden Jahren entwickelte sich das Projekt zu einer der größten und weithin bekanntesten Großanlagen der NS-Zeit. In Vogelsang und zwei ähnlichen Anlagen im Allgäu und in Vorpommern sollten die künftigen Parteifunktionäre der NSDAP ausgebildet werden.
Bis zu 800 Arbeiter waren auf der Baustelle beschäftigt
Die Anlage wurde mit großem Aufwand in drei Bauabschnitten errichtet. Zunächst wurde das Gelände oberhalb der Urfttalsperre mit erheblichem Arbeitsaufwand erschlossen. Bei den umfangreichen Terrassierungs- und Erdarbeiten ab 1934 bewegten mehrere Hundert Arbeiter einige 100.000 Kubikmeter Fels und Erdreich.
Dabei wurde überwiegend auf Handarbeit zurückgegriffen, nur wenige Maschinen kamen zum Einsatz. Auch die Hochbauten wurden mit großem Aufwand an Personal und Baumaterial durchgeführt. Im Durchschnitt waren in Vogelsang – von saisonalen Schwankungen abgesehen – bis 1938 rund 700 bis 800 Arbeiter beschäftigt. Viele Arbeitskräfte und Handwerker kamen aus der Region.
Bereits am 15. Dezember 1934 wurde das Richtfest für die Hauptgebäude gefeiert. Im Frühjahr 1936, zwei Jahre nach Baubeginn, galt Vogelsang als weitestgehend bezugsfertig. Als die Lehrgangsteilnehmer im Mai 1936 eintrafen, war die erste Bauphase abgeschlossen. Die Hauptgebäude mit Schulungs- und Speisesaal im Ostflügel sowie der Westflügel, der Turm, der Wirtschaftstrakt, die Bauten am Adlerhof und die Unterkunftsgebäude am nördlichen Hang waren fertiggestellt. Auch der Sportplatz am Hang sowie die Freilichtbühne waren bereits weit gediehen.
"Vogelsang wurde dann zu einer Dauerbaustelle, auf der immer wieder improvisiert werden musste. So kam beispielsweise inmitten der laufenden Bauarbeiten eine Order von Robert Ley, dass Platz für 1000 statt der ursprünglichen geplanten 500 Lehrgangsteilnehmer geschaffen werden sollte", sagt der Historiker. Daraufhin sei mit dem Bau der Burgschänke und der Hundertschaftshäuser begonnen worden.
Wegen der Erweiterung brauchte man eine zweite Heizung
Die Heizung im Turm, mit der die bereits errichteten Kameradschaftshäuser versorgt wurden, war aber nach Angaben von Wunsch zu klein dimensioniert, um die zusätzlichen Gebäude zu beheizen. Also musste im Kraftfahrzeug-Bereich, in dem heute das Opel-Museum untergebracht ist, eine zweite Heizung installiert und mit einer langen Leitung mit den Hundertschaftshäusern verbunden werden.
Auf der südöstlichen Hochfläche des Bergrückens entstanden bis 1937 außerdem das neue Wachgebäude mit der heutigen Tordurchfahrt, ein Postamt, eine Filiale der Kreissparkasse und der große viereckige Wirtschafts- und Kraftfahrzeughof. Südwestlich vor dem Baukomplex wurden ab 1937 neue Sportplätze angelegt. Das "Gemeinschaftshaus für das weibliche Personal" konnte 1937 fertiggestellt werden. Es folgten die Turn- und Boxhalle sowie die Schwimmhalle.
Wesentliche Teile der Hochbauausführung lagen in den Händen des 1926 gegründeten Aachener Familienunternehmens Derichs und Konertz KG. "Wir hatten schon bei der Konzeption der Dauerausstellung ‚Bestimmung Herrenmensch‘ bei dem Unternehmen nachgefragt, ob es noch Material zu der Anlage gibt", erzählt Wunsch. Damals habe man in der Firma aber nichts gefunden.
Nach dem Tod des ehemaligen Firmenchefs hätten sich dann die Söhne und ein Enkel gemeldet und die Fotobücher übergeben. "Wir sind sehr dankbar dafür. Viel zu oft werden solche Funde einfach weggeworfen." Durch die bislang unbekannten Fotos sei es möglich, den Bau von Vogelsang wesentlich umfangreicher zu dokumentieren.
Adlerhof wurde während der Bauzeit mehrfach umgestaltet
"Die Aufnahmen zeigen viele interessante Details", sagt Wunsch. Ein Beispiel sei die mehrfache Umgestaltung des Adlerhofs: "Zuerst standen dort unterschiedliche Adlerfiguren. Einer der Vögel kämpfte mit einer Schlange", berichtet Wunsch. Das sei eindeutig eine antisemitische Symbolik gewesen. Aber die unterschiedlichen Figuren hätten wohl die Symmetrie gestört. Deshalb habe man sich für zwei aufrecht stehende Adler entschieden.
Auch die zunächst vorhandenen Beete und Bepflanzungen an den Rändern des Platzes sowie die Fahnenmaste vor dem Kommandantentrakt seien im Rahmen einer größeren Umgestaltung verschwunden. Damit der Adlerhof größer und herrschaftlicher wirkte, seien größere Bodenplatten aus Muschelkalk verlegt worden. Außerdem sei eine Doppelflügeltür mit Hakenkreuzsymbolen am Eingang zum Dienstzimmer des Burgkommandanten eingebaut worden.
Die von Clemens Klotz am Adlerhof verwirklichte Architektur orientiert sich am Heimatschutzstil. "Die Wahl regionaler Materialien betonte zum einen das nationalsozialistische Blut-und-Boden-Denken. Zum anderen verbanden sich hier Ideologie und pragmatische Machtpolitik, denn Baustoffe aus der Umgebung bedeuteten auch regionale Wirtschaftsförderung", erläutert Wunsch. Auch die eingeschossigen Bauten des Adlerhofes mit ihren Satteldächern hätten eine politisch-ideologische Botschaft transportiert und auf die ausgeprägte Großstadtfeindschaft des Nationalsozialismus verwiesen.
"Haus des Wissens" mit Platz für bis zu 2500 Menschen
Zahlreiche geplante Vorhaben in Vogelsang wurden wegen des Krieges nur ansatzweise oder gar nicht mehr realisiert. So sollte auf dem Plateau oberhalb des Adlerhofs ein riesiger tempelartiger Monumentalbau entstehen: das Haus des Wissens. Geplant war ein Herrschaftsort, auf den die Sichtachsen ausgerichtet waren und dessen kathedralartige Halle rund 2500 Menschen Platz geboten hätte. Mit seinen riesigen Dimensionen von bis zu 30.000 Quadratmetern Fläche hätte das Haus des Wissens das Landschaftsbild bis in die rheinische Tiefebene geprägt.
Weitere Planungen sahen einen Hörsaal für gut 1000 Personen vor, aus dem ab 1950 unter der Hoheit der belgischen Streitkräfte das heutige Kino wurde, und ein riesiges Sportstadion. Zudem waren Aufmarschplätze, Gästeunterkünfte, ein KdF-Hotel für rund 2000 Personen, der Bau von Reitplätzen und einer Reithalle sowie eines Haus des Sports geplant, sie wurden kriegsbedingt aber nicht mehr vollendet.
Wunsch geht davon aus, dass es sich bei den Aufnahmen um eine Dokumentation des Kölner Architekten und Bauleiters Karl-Friedrich Liebermann handelt. "Er wurde 1937 von Albert Speer für den Bau des ,Deutschen Stadions' auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg abgeworben. In dem Jahr endet auch die Fotodokumentation über Vogelsang", erzählt der Historiker.
Die 16 Schautafeln sollen als Dauerausstellung gezeigt werden. Zu der neuen Ausstellung soll es im Frühjahr auch noch Vorträge und Führungen geben. © Kölner Stadt-Anzeiger
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