Vor einem Jahr wurde Guido Mumm zum neuen Vorsitzenden des Arbeitskreises Wirtschaft Hürth gewählt. Der 54-jährige Unternehmensberater löste Fidelis Thywissen nach 30 Jahren an der Spitze des AWH ab.

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Was sich seitdem im Verband geändert hat, wie er den Wirtschaftsstandort Hürth beurteilt und welche Forderungen die Unternehmen an die Politik haben, erklärt Mumm im Gespräch mit Andreas Engels und Jörn Tüffers.

Herr Mumm, als Sie vor einem Jahr angetreten sind, haben Sie gesagt, ähnlich wie bei vielen Unternehmen stehe auch beim AWH ein Generationswechsel an. Was macht die neue Generation anders?

Guido Mumm: Wir haben den Vorstand deutlich verschlankt, die Arbeit auf ein kleines Team verteilt und neue Formate geschaffen. Je größer ein Verband ist, desto kleiner ist das gemeinsame Vielfache. Darauf muss man sich einstellen. Ich sehe unsere Aufgaben unter den drei Stichwörtern Vernetzen, Informieren, Vertreten.

Wie schaffen Sie das?

Etwa durch die Einführung neuer digitaler Formate zum Austausch wie ein Digi-Café oder Unternehmerstammtische über das Internet. Damit sprechen wir Unternehmer an, die nicht die Zeit oder auch nicht die Lust haben, sich vor Ort am Stammtisch zusammenzusetzen. Und wir schaffen Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Da stellen wir fest, gibt es großen Bedarf.

Was liegt den Unternehmen denn gerade besonders am Herzen?

Das ist vor allem der Fachkräftemangel. Wir haben dazu ein sehr erfolgreiches Format ins Leben gerufen, den Marktplatz der Möglichkeiten, bei dem wir Unternehmen und Berufseinsteiger auf Augenhöhe zusammenbringen. 1000 Jugendliche waren bei der zweiten Auflage dabei, demnächst gibt es die dritte.

Ausbildungsbörsen gibt es in der Region viele, auch eine große von Stadt und Partnern in Hürth. Was macht der AWH anders?

Die städtische Ausbildungsbörse findet im Frühjahr statt, da geht es meist ganz konkret um den Abschluss von Ausbildungsverträgen für das neue Ausbildungsjahr, und vertreten sind vor allem die großen Arbeitgeber. Unsere Veranstaltung findet nach den großen Ferien statt. Wir wollen den Schülerinnen und Schülern zeigen, welche Alternativen es zum Studium gibt. Da haben auch kleinere Betriebe, etwa aus dem Handwerk, die Chance, ihre spannenden Berufe vorzustellen, möglichst sexy und zum Anfassen. Dazu noch eine Zahl: Wir haben bei der letzten Veranstaltung im September 300 Praktikumsplätze vermitteln können. Die städtische Ausbildungsbörse und unser Markt der Möglichkeiten ergänzen sich.

Gibt es weitere Themen, die die Mitgliedsunternehmen gerade besonders bewegen?

Gesundheit ist ein Riesen-Thema. Wir hatten ja gerade auch in Hürth die Diskussion um die Zukunft des Krankenhauses. Es geht aber auch um betriebliches Gesundheitsmanagement. Also darum, wie man zum Beispiel dem hohen Krankenstand entgegenwirken kann. Darum wird es auch bei einer Zukunftswerkstatt Gesundheit im Mai gehen mit allen Beteiligten wie Krankenhäusern, Apotheken, Ärzten und Vertretern der Politik. Geplant sind dazu auch Workshops an unterschiedlichen Orten und Tagen.

Wie entwickeln sich denn die Mitgliederzahlen beim AWH?

Die lagen seit 20, 30 Jahren relativ stabil bei etwa 150. Inzwischen haben wir 30 dazugewonnen, sind also bei 180. Wir haben auch ganz gezielt neue Unternehmen angesprochen. Wir haben es mal zusammengerechnet: Der AWH repräsentiert 80 Prozent der Arbeitsplätze in Hürth, also knapp 20.000 der insgesamt 24.000 Arbeitsplätze.

Die Hürther Unternehmen bescheren dem Kämmerer Gewerbesteuern in Rekordhöhe. Ihr Vorgänger hat regelmäßig zu den Etatberatungen Haushaltsdisziplin angemahnt. Von Ihnen war dazu bislang nichts zu hören. Wird im Hürther Rathaus aus Ihrer Sicht solide gewirtschaftet?

Die hohe Ausgleichsrücklage, von denen Hürth gerade zehren kann, ist sicherlich nicht in erster Linie das Ergebnis von solidem Wirtschaften im Rathaus. Sondern das haben erfolgreiche Unternehmen durch ihre Gewerbesteuern bezahlt. Ich verstehe, dass man in Hürth auch in ein lebenswertes Umfeld investiert, etwa in den Stadionpark. Solche weichen Standortfaktoren spielen auch für Unternehmen eine Rolle.

In Hürth ist Wohnraum knapp, und die Preise sind hoch. Ist bezahlbarer Wohnraum nicht auch ein Standortfaktor?

Von unseren Unternehmen wird das jedenfalls nicht als Präferenzthema gesehen. Die Nähe zu Köln ist Fluch und Segen zugleich. Die hohen Wohnkosten sind ein Thema vor allem im Niedriglohnsektor. Ich sehe aber auch nicht die Flächen, auf denen mehr Wohnraum geschaffen werden könnte. Und ob sich durch mehr Bauen jeder die Wohnungen hier leisten könnte, bleibt offen.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht Kritikpunkte am städtischen Haushalt?

Ich habe ein Problem mit den hohen Verlusten bei den Stadtwerken, die die Stadt abdecken muss. Das sind in diesem Jahr über 15 Millionen Euro. Überhaupt: Die Unternehmen haben wenig Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Stadtwerke.

Woran liegt das?

Unternehmen brauchen Infrastruktur, und da kommen die Stadtwerke nicht richtig voran. Nehmen Sie das Beispiel Glasfasernetz. Der Ausbau kommt viel zu spät, ist aber entscheidend für die Ansiedlung neuer Unternehmen. Oder das Mobilitätskonzept. Im Rhein-Erft-Kreis gibt es fast flächendeckend ein Leihfahrradsystem, nur Hürth schert aus und will das selbst machen. Mit dem Ergebnis, dass es in Hürth immer noch keine Leihfahrräder oder E-Bikes gibt. Auch bei den Ladesäulen für E-Mobilität hinken die Stadtwerke hinterher. Die 15 vorhandenen Säulen sind viel zu wenig, und sie stehen auch noch an den falschen Standorten. Den Ausbau des Ladenetzes würden Unternehmen besser hinbekommen. Das müssen die Stadtwerke nicht selbst machen, die können nicht für alles Experten haben.

Stichwort Mobilität: Wie steht der AWH zur geplanten Verlängerung der Stadtbahn ins Zentrum?

Das sehe ich kritisch. Die Stadtbahn kostet viel Geld, und wer profitiert denn am Ende davon? Der Hürth-Park jedenfalls nicht. Die Stadtbahn bringt nicht erster Linie Leute von Köln nach Hürth, sondern von Hürth nach Köln. Ich sehe auch noch Probleme bei der Trassenführung. Und in Efferen würde eine Taktverdichtung wegen der zusätzlichen Schrankenschließzeiten das Verkehrschaos nur noch vergrößern.

Sehen Sie denn Möglichkeiten, wo die Stadt sparen könnte?

Bei den Personalkosten könnte man sicherlich sparen, indem man die digitale Transformation entschieden vorantreibt und die Verwaltung damit effizienter macht. Das ist eines meiner Steckenpferde.

Was muss die Stadt tun, damit sie sich auch in Zukunft auf hohe Gewerbesteuereinnahmen verlassen kann?

Hürth profitiert noch von einem breiten Branchenmix aus produzierendem Gewerbe, Dienstleistern, Medien- und IT-Unternehmen. Aber Unternehmen haben ihre Lebensspanne. Wir brauchen dringend weitere Gewerbeflächen, um neue Unternehmen ansiedeln zu können, besonders aus der Digitalwirtschaft.

Das AI Village mit seinem KI-Schwerpunkt ist ein guter Ansatz und hat einige Projekte angestoßen, aber am Ende kommt es darauf an, dass wir auch neue Unternehmen hierherbringen, die nicht nur Gewerbesteuern zahlen, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. Das ist leider ein Webfehler der Strukturwandelförderung im Rheinischen Revier: Es werden Behördenstrukturen gefördert und jede Menge Strukturwandelmanager in den Rathäusern bezahlt, aber die Unternehmen müssen die Transformation selbst stemmen und bekommen nichts.

Ein großes neues Gewerbe- und Industriegebiet soll ja unter dem Titel "Ville Park" im ehemaligen Tagebau zwischen Hürth-Knapsack und Erftstadt-Kierdorf entstehen.

Das sehe ich auch sehr positiv, schließlich haben wir in NRW kaum noch Möglichkeiten, Flächen für Industrieansiedlungen auszuweisen. Allerdings sollten wir die Entwicklung nicht allein RWE überlassen. Ich plädiere für die Gründung einer Projektentwicklungsgesellschaft, an der auch die Stadt und der Chemieparkbetreiber Yncoris beteiligt werden könnten. Damit behalten wir Einfluss auf das, was dort geschieht und welche Unternehmen angesiedelt werden.

Zum Schluss noch ein Ausblick auf die Bundespolitik. Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung?

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Ich kenne die Protagonisten, die da am Verhandlungstisch sitzen, alle persönlich und beneide sie nicht um ihre Aufgabe. Je schneller es geht, umso besser. Wir müssen die Unsicherheit aus dem Markt bekommen, brauchen eine sichere Energieversorgung und Investitionen in die Infrastruktur. Wichtig ist die Sicherung von Fachkräften, und da brauchen wir neben der Ausbildung auch den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Das Verfahren muss schneller gehen, damit Fachkräfte, die nach Deutschland kommen, nicht erst zwei Jahre Deutsch lernen müssen und dann immer noch nicht wissen, was eine Lüsterklemme ist.  © Kölner Stadt-Anzeiger