In einem Gefängnis habe sie noch nie gelesen, sagte Judith Merchant. Auf einem Friedhof schon. Aber in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) dann doch nicht.

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Jetzt kann die Bonnerin auch hinter die JVA einen Haken machen. Dort war Merchant nämlich am Mittwochabend zu Gast: In der JVA Euskirchen – besser bekannt als Erlenhof – trug die Autorin ihre Kurzgeschichte "Schwanenbraten" vor.

Alleine war sie dabei nicht. Zum einen hörten ihr nämlich gut 20 Gäste zu. Zum anderen hatte sie mit Christian Bartel und Sabine Trinkaus zwei weitere Schriftsteller im Schlepptau, die ebenfalls zuvor noch nie in einem Gefängnis zu Gast waren.

Lesung in der JVA: Leiterin lässt ihre Beziehungen spielen

Organisiert hatte das etwas andere kulturelle Erlebnis unter dem Namen "In Teufels Küche" Jennifer Rybarczyk, Anstaltsleiterin der Justizvollzugsanstalt Euskirchen. "Wir wollen zeigen, dass wir mehr als nur Sportveranstaltungen können", sagte die Erlenhof-Chefin, die weitere kulturelle Veranstaltungen plant. Im Februar werde es wahrscheinlich einen Poetry-Slam in der JVA geben.

Vielleicht in dem Ort auf dem Areal der Justizvollzugsanstalt, an dem es am Mittwochabend um Mord oder andere kleinere und größere Verbrechen ging: in der Kirche. Und weil in gut drei Monaten Weihnachten ist, entführte Merchant die Zuhörer genau dorthin. In ihrer Kurzgeschichte "Schwanenbraten" geht es nämlich um Robert, einen liebenswerten Kerl, der allerdings nicht besonders schlau ist. Er hat seiner Frau Elli versprochen, in diesem Jahr bei den Vorbereitungen fürs Fest zu helfen.

Allerdings hat er vergessen, rechtzeitig eine Gans zu bestellen. Freund Adi, der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde und für einige Tage bei Elli und Robert lebt, weiß Rat: Ein Schwan aus der Rheinaue kann nicht anders schmecken als eine Gans. Und damit Elli nichts merkt, müsse man das Federvieh nur rupfen und den Schnabel anmalen.

Dass das nicht gut gehen kann, ist eigentlich klar. Dass das aber der Stoff einer ziemlich abgefahrenen Kurzgeschichte sein könnte, ist so klar wie Kloßbrühe. In Teufels Küche eben.

Autorin feiert ihren Buchgeburtstag im Euskirchener Erlenhof

Um Verbrechen ging es auch in der Geschichte von Sabine Trinkaus. Zufälligerweise hatte die Bonnerin aber auch einen Roman dabei. Der feierte nämlich am Mittwoch Buchgeburtstag. Trinkaus hatte das druckfrische Exemplar ihres neuen Romans "Ärztin gegen alle Widerstände" dabei. "Es geht um eine Zahnärztin. Das ist gefühlt auch eine Horrorvorstellung", feixte ihre Freundin Merchant.

Und wie kamen die beiden Frauen und Christian Bartel, der eine rabenschwarze Satire mit in die JVA gebracht hatte, zum Erlenhof? "Ich kenne alle drei schon lange", berichtete Anstaltsleiterin Rybarczyk. Sie hatte also ihre freundschaftlichen Beziehungen genutzt, um die Kultur in die JVA zu holen.

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So ganz nebenbei erfuhren die Zuhörer dann auch von der Erlenhof-Chefin eine kleine Horrorgeschichte mit Happy End. Vor einigen Jahren (Rybarczyk: "Zu einer Zeit, als es noch keine Navis in Autos gab") verbrachte sie nämlich mit Freundin Trinkaus in den USA eine Nacht im Auto, weil man sich heillos verfahren hatte. "Im Radio lief in den Nachrichten, dass ein entflohener Sträfling in der Gegend sein Unwesen treibt", berichtete Rybarczyk: "Ich warte immer noch darauf, dass das mal den Weg in einen Roman findet."  © Kölner Stadt-Anzeiger

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