Wer hat das noch nie gehört oder vielleicht schon gesagt: "Ich habe so viel erlebt, darüber könnte ich ein Buch schreiben."

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Doch nicht alle fühlen sich dazu berufen, haben die Zeit oder das notwendige Durchhaltevermögen. Aber so viele Erfahrungen sind es wert, gehört zu werden. Daher hat die Bibliothek Kall die neue Veranstaltungsreihe "Menschliche Bücher" entwickelt. Statt die Erlebnisse der Menschen in einem Buch zu lesen, erhalten Menschen in einer Talkrunde die Gelegenheit, zu erzählen, was ihnen wichtig ist, was sie erlebt haben, was sie geprägt hat.

Rettungsdienst als Premieren-Thema bei neuem Talk-Format in Kall

Als erstes Thema hatte Michelle Wagner, die Leiterin der Gemeindebibliothek, den Rettungsdienst ausgewählt und drei erfahrene Praktiker zu einer Talkrunde ins Haus der Begegnung eingeladen. Allerdings waren nur rund 15 Zuhörer gekommen, wozu vielleicht auch beitrug, dass die Talkrunde um 18 Uhr am Freitag anfing – eine Uhrzeit, wo viele sich erst einmal auf ihr Abendprogramm vorbereiten. Allerdings verpassten sie so einige überraschende Einblicke in die Realität der Einsatzkräfte.

Eingeladen waren Vertreter der drei Organisationen, die den Rettungsdienst im Kreis sicherstellen. Neben dem Kreis selbst sind das der Malteser Hilfsdienst und der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Allerdings musste Vanessa Siebertz, Leiterin Rettungsdienst beim DRK, krankheitsbedingt absagen. So stellten sich Rainer Brück, beim Kreis-Rettungsdienst zuständig für zentrale Dienstplanung, Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement, und Michael Schmeling, Dienststellenleiter der Malteser im Bereich Euskirchen, Bad Münstereifel und Weilerswist, den Fragen von Wagner.

Gewalt gegen Einsatzkräfte: Die Hemmschwelle sinkt

Besonders interessant für die Zuhörer waren die Schilderungen der erfahrenen Rettungsdienstler zum Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte. "Das Verhalten der Menschen ist weniger respektvoll", stellte Schmeling fest. Generell sei zu beobachten, dass die Hemmschwelle sinke. Zweimal sei auch er mit einem Messer angegriffen worden – jedoch sei das eher eine Drohgebärde gewesen. Verbal sei er schon oft angegangen worden, da sei er abgestumpft.

Das Verhalten der Menschen ist weniger respektvoll.

Michael Schmeling

Es habe schon immer viel verbale Gewalt gegeben, gerade, wenn Demenz, Drogen oder Alkohol mit im Spiel seien, berichtete Brück. Vieles gehe zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Er rät dazu, aktuelle Zahlen, wonach 70 Prozent der Einsatzkräfte schon Gewalterfahrungen gemacht hätten, mit Vorsicht zu betrachten, da nur rund 20 Prozent derjenigen, die für die Studie angeschrieben worden seien, überhaupt geantwortet hätten.

Er selber habe bereits zweimal in die Mündung einer Pistole geschaut, sagte Brück: "Doch damit wollten die Menschen nur deutlich machen, dass sie keine Akzeptanz für das haben, was wir machen wollten." An eine Grenze des Erträglichen sei er noch nicht gestoßen: "Ich habe bisher noch keinen Schmerz erlitten, bisher ist alles gut." Angst, da waren sich beide einig, haben sie nicht. "Ich habe mehr Angst vor Hunden", so Brück. Und Schmeling fügte hinzu: "Ich kann Menschen besser einschätzen."

Auch im Rettungsdienst ist die Kommunikation entscheidend

Kommunikation sei in der Regel der erfolgversprechende Weg. Ein entsprechendes Training dazu habe auch der Kreis angeboten. Nur im Notfall kämen Flucht oder Selbstverteidigung infrage.

Auch gab Brück zu bedenken, dass auch die Sanitäter möglicherweise nach einem langen Arbeitstag nicht angemessen reagieren.

Gaffer an Einsatzstellen bereiten zunehmend Probleme

Als großes Problem sehen beide die Gaffer bei einem Einsatz an. "Die machen die Arbeit schwer", so Brück. Schwierig sei es, wenn die Einsatzkräfte mit Handys gefilmt werden, so aber nur ein kleiner Teil aus dem jeweiligen Einsatz festgehalten werde: "Da gibt es dann den Ausschnitt auf Youtube zu sehen, aber nicht, was davor oder danach passiert." Eine häufige Erschwernis, die beide erleben, sind Behinderungen, etwa durch blockierte Einfahrten oder Straßen.

Eine Patientenverfügung im Schrank hilft zuweilen nicht

Ein wichtiges Thema, bei dem es in der Praxis oft Probleme gebe, seien Patientenverfügungen, führten Brück und Schmeling aus. Brück betonte, dass die Rettungskräfte im Zweifel eine leblose Person reanimieren müssen – auch wenn Angehörige sagten, dass diese das nicht wolle: "Ich muss das lesen und wissen, was genau ausgeschlossen wird."

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Es helfe nicht, wenn die Patientenverfügung zu Hause im Sekretär liege. Denn etwa nach einem Autounfall sei keine Gelegenheit, solche wichtigen Fragen zu klären. Und teils werde in der Ausbildung gelehrt, dass auf jeden Fall reanimiert werden solle. Wenn bei einem Notfall eine Reanimation auf keinen Fall gewünscht sei, gebe es nur eine sichere Möglichkeit, machte Brück deutlich: "Keinen RTW rufen."  © Kölner Stadt-Anzeiger

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