Werder Bremen hat es doch noch in die Relegation geschafft. Das viel zitierte "Wunder von der Weser" war aber gar keins. Werder nutzte schlicht die Gunst der Stunde und hat nun alle Möglichkeiten auf seiner Seite.
Auf einmal standen da einige hundert Fans vor dem Weserstadion, wie das in besseren Zeiten immer der Fall ist. Vor dem Ostflügel des Stadions versammelte sich die grün-weiße Gemeinde und huldigte den Protagonisten eines zumindest bemerkenswerten Nachmittags. Vor dem Mannschaftsbus des 1. FC Köln hatte sich eine ordentliche Traube an Menschen angesammelt und jeder Kölner Spieler wurde noch einmal mit warmen Worten und ein bisschen Häme in den Bus verabschiedet. Anthony Modeste wurde sogar eigens besungen, der Angreifer revanchierte sich mit einem herzlichen Winken, bedankte sich bei den Fans und klopfte sich - warum auch immer - auf die Brust. Währenddessen dröhnte drinnen im Bauch des Stadions die Klubhymne in Dauerschleife aus der Werder-Kabine - jene von Union Berlin.
Werder Bremen: Doppelt Schwein gehabt
Es musste offenbar etwas Außergewöhnliches passiert sein, wenn selbst der Gegner unter Beifall vom Osterdeich geleitet wurde. Und, was soll man sagen: Es ist tatsächlich Außergewöhnliches passiert. Werder Bremen hat ein Heimspiel gewonnen und dabei sechs Tore erzielt. Es war der höchste Heimsieg seit elf Jahren und der erst zweite überhaupt in dieser Saison. Den bis dato einzigen fuhr Werder am 1. September des vergangenen Jahres gegen den FC Augsburg ein. 1.000 Minuten hatte die Mannschaft zuletzt im Weserstadion gespielt und dabei ein einziges Törchen geschossen. Und dann innerhalb von nur 70 Minuten deren sechs.
Das allein wäre schon aufregend genug gewesen. Weil am Samstag aber der letzte Bundesliga-Spieltag anstand und Werder Bremen vor dem Spiel auf Tabellenplatz 17 lag und damit in höchster Abstiegsgefahr schwebte, weil es so etwas wie eine glückliche Fügung des Schicksals brauchte, um den zweiten Abstieg der Klubgeschichte doch noch irgendwie abzuwenden, hatte die Situation auch etwas Surreales: Ohne Fans, nur begleitet von ein paar Plakaten um und im Stadion und auf die Reise geschickt mit den besten Wünschen, musste die bis dahin schlechteste Werder-Mannschaft in der Geschichte der Bundesliga diese vermaledeite Saison doch noch irgendwie retten.
Fortuna Düsseldorf knickt im Fernduell ein
Die Bremer benötigten einen Sieg, im besten Fall einen ziemlich deutlichen und mussten gleichzeitig darauf hoffen, dass Kontrahent Fortuna Düsseldorf nicht in Berlin beim FC Union gewinnt. Sonst wäre alles vorbei gewesen. An der Alten Försterei kamen dann mehrere Dinge zusammen: Ein motivierter FC Union, dem das erste Tor des Spiels gelang. Und eine Fortuna, die darauf und auf so viele andere Fragen in diesem Do-or-Die-Spiel keine Antworten mehr hatte. Düsseldorf hatte sich unter Uwe Rösler zu einer äußerst stabilen Mannschaft entwickelt, die guten Fußball spielte, sich aber in einigen Spielen dafür nicht belohnte.
Ansonsten wäre Düsseldorf längst gerettet, Werder längst abgestiegen gewesen. Die Ergebnisse waren aus Fortuna-Sicht immer das eine, die Leistungen der Mannschaft das andere. Daran gab es nichts zu kritisieren, die Fortuna wirkte deutlich gefestigter als Werder - und ging dann in Berlin komplett ein. Als es darauf ankam, hatte Düsseldorf nicht die Frische im Kopf und in den Beinen, um diesen einen letzten Sieg einzufahren. Ganz im Gegensatz zu Werder, das nach den "Endspielen" in Freiburg und in Paderborn nun endlich auch zu Hause dem Druck standhalten konnte.
Ein Trio macht Hoffnung
Werder hatte dabei das Glück, dass der 1. FC Köln entgegen aller Beteuerungen unter Woche doch keine Lust mehr auf Profifußball hatte. Die Kölner reisten ohne ihre beiden wichtigsten Spieler Jonas Hector und Jhon Cordoba an und offenbar auch ohne die nötige Haltung zu diesem Spiel, das für zwei andere Klubs die Welt bedeutete. Köln ließ sich von Werder willfährig auseinandernehmen. Trotzdem ließ Trainer Markus Gisdol auf der improvisierten Pressekonferenz nach der Partie kein Wort der Kritik an seiner Mannschaft und auch sich zu, obwohl Gisdol selbst mit der ungewöhnlichen Umstellung auf eine Fünferkette massiven Anteil an der Niederlage hatte. Erst als es nach nicht einmal einer halben Stunde Minuten 0:3 stand, korrigierte Gisdol seinen taktischen Fehlgriff.
Natürlich hatte aber auch Werder selbst einen gehörigen Anteil an der eigenen Rettung. Noch eben so rechtzeitig fand sich im Angriff ein Trio ein, das zuvor kein einziges Mal zusammen wirbeln durfte. Yuya Osako auf der Zehn und Milot Rashica sowie Niclas Füllkrug bei seinem ersten Startelfeinsatz seit September spielten wie aus einem Guss, erzielten vier der sechs Bremer Tore. In Kohfeldts 4-3-3 ist die Rollenverteilung in der Offensive damit exzellent aufgeteilt: Osako als spielender Zehner, der auch mit in den Angriff geht, Rashica als flinker Dribbler, der auf die Seiten ausweicht und zu Tor zieht und Füllkrug als Keilstürmer, der auch lange Bälle verarbeiten und Flanken im Tor unterbringen kann. Auf der Zielgeraden der Saison durfte das Trio - dank der Corona-Zwangspause - nun doch noch zusammenfinden.
Nichts erreicht, nur verhindert
Das "Werder-Wunder" wurde zu einem inflationär benutzten Begriff, dabei war so viel Wundersames an der vorläufigen Rettung nicht zu erkennen. Werder hatte ein Spiel mit seiner besten Aufstellung gegen einen nicht bundesligatauglichen Gegner gewonnen und gleichzeitig das Glück, dass der direkte Kontrahent verkrampfte. Ein eigener Sieg, eine Niederlage des Konkurrenten in einem schweren Auswärtsspiel: So etwas passiert jeden Spieltag. Trotzdem "könnte das heute ein bedeutender Tag gewesen sein", wie Aufsichtsratschef Marco Bode bei "Sky" erzählte. Nämlich dann, wenn Werder nun als turmhoher Favorit in der Relegation gegen Heidenheim tatsächlich die Rettung klarmacht.
Die Vorzeichen in Bremen haben sich fundamental geändert, jetzt ist Werder in der besten Ausgangsposition. "Wir waren so oft tot, so oft abgeschrieben, jetzt sind wir für diese zwei Spiele wieder im Rennen", sagt Kohfeldt.
Der Trainer seinen persönlichen und den Totalschaden des Klubs vorerst abgewendet, aber Kohfeldt, über den laut Bode durchaus kontrovers diskutiert wurde, hat auch gelernt aus dieser Saison: Immer wenn Werder auf dem Weg der Besserung schien, wenn nun doch alles gut werden sollte, setzte es kurz darauf den nächsten heftigen Tiefschlag. Niemand sollte es besser wissen als der Trainer: Werder hat noch immer nichts erreicht - sondern bisher nur verhindert.
Verwendete Quelle:
- Sky: Stimmen zum 34. Spieltag - Kiste Bier für Union - Wölfe nach BVB-Pleite sprachlos
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