Verspielt Red Bull in der Formel 1 noch beide Titel? Der Rennstall wankt, Champion Max Verstappen schlägt Alarm. Was sind die Gründe für den sportlichen Absturz? Ein Experte klärt auf.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Max Verstappen brachte es schonungslos auf den Punkt. Der Formel-1-Weltmeister nahm wie immer kein Blatt vor den Mund. Deshalb sagte er nach seinem sechsten Platz beim 16. Saisonrennen in Monza das, was aktuell jeder sehen kann: "Wir hatten letztes Jahr ein großartiges Auto, das dominanteste Auto überhaupt. Und das haben wir praktisch in ein Monster verwandelt." Punkt. Nein, Ausrufezeichen. Denn Verstappen ist in seinem Red Bull seit einigen Rennen praktisch chancenlos, wenn es um Rennsiege geht.

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"Ich bin überrascht, in welch kurzer Zeit das Auto schlechter geworden ist. Das wundert mich, denn in der Größenordnung passiert das normalerweise langsamer", sagt RTL-Experte Christian Danner im Gespräch mit unserer Redaktion. Er stellt sich dabei die Frage, wie gut das Auto zu Beginn der Saison wirklich war. "Die Konkurrenz hatte sich noch nicht richtig aufgestellt und Verstappen hat alles kompensiert mit seiner Grandezza hinter dem Steuer. Man hat bei Red Bull nicht auf seine Warnsignale gehört", so Danner.

Max Verstappen oft unzufrieden

Tatsächlich hatte Verstappen immer wieder durchblicken lassen, dass er unzufrieden war. Sieben Siege in den ersten zehn Rennen sorgten aber offenbar dafür, dass die Probleme in den Hintergrund rückten, man sich zu sehr auf der scheinbaren Dominanz ausruhte. "Stattdessen ist man zu Saisonbeginn in das Chaos um Christian Horner gerutscht, und da gab es ein Riesendurcheinander. Und wenn Verstappen sein Auto ‚Monster‘ nennt, kann man es nicht deutlicher sagen, was da gerade los ist", sagt Danner. Denn sechs Rennen lang ist Verstappen nun ohne Rennsieg – eine ungewohnte Durststrecke.

Hinzu kam, dass die Weiterentwicklung des Autos in die falsche Richtung ging. Bedeutet wiederum: "Sie müssen das Auto ziemlich grundsätzlich überdenken", so Danner. Das sieht auch Verstappen so, der klarstellt: "Ich habe schon viel gesagt, jetzt ist es an der Zeit, dass das Team mit einer Menge Änderungen am Auto kommt. Wir müssen das Auto jetzt wirklich auf links drehen."

Doch wo liegt das Problem genau? "Das Problem ist der aerodynamische Abtrieb bzw. das Verhältnis zwischen Abtrieb und Luftwiderstand", erklärt Danner: "Und dazu gehören die Reifen und die wiederum hängen an der Radaufhängung." Das heißt: Man muss als Fahrer das machen, was die Reifen gerne mögen. "Doch dieses ganze Triumvirat der Dinge muss auch zusammenspielen. Und das passt im Moment nicht", sagte Danner. Kurz gesagt: Der Red Bull hat vor allem ein Balanceproblem.

Verstappen kann deshalb mit dem Auto nicht pushen, da es zu unvorhergesehen reagiert. Verstappen hat dann in den Kurven mal ein Untersteuern, dann wieder ein Übersteuern, oder der Bolide ist im Kurveneingang auf der Bremse instabil. "Wir haben irgendwann mit den Updates die Balance verloren und mit der Balance auch die Möglichkeit, das Auto schnell zu bewegen", sagt Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko bei Sky: "Wir müssen zurückgehen und den Punkt finden, wo wir technisch falsch abgebogen sind."

Strategiefehler, Boxenstoppfehler oder Abstimmungsfehler

Denn das hat dazu geführt, dass der Rennstall aktuell experimentiert, dabei möglicherweise ein Problem löst, sich dann aber woanders ein neues schafft. Ein Teufelskreis mit Folgen. "Man merkt, dass sie es nicht gewohnt sind, nicht zu gewinnen", so Danner. "Und wenn man in diesen Teufelskreis gerät, wo mal was nicht funktioniert, passieren dann auch noch andere Fehler: Strategiefehler, Boxenstoppfehler oder Abstimmungsfehler."

Und dass es im Zuge des Horner-Skandals im Frühjahr auch zur Trennung von Designguru Adrian Newey kam, holt den Rennstall jetzt auch ein Stück weit ein. "Newey würde ihnen sehr gut zu Gesicht stehen. Denn eines ist ganz klar: Er hat gerade in solchen Situationen immer wieder einen Weg herausgefunden", so Danner.

Teamchef Christian Horner ist gefragt

Stattdessen ist jetzt vor allem Teamchef Horner gefragt, betont Danner: "Der muss den Karren aus dem Dreck bekommen. Er muss versuchen, das Team so zu ordnen, zu strukturieren, dass da was vorwärtsgeht. Theoretisch kann er das, doch es ist nicht einfach." Denn klar ist laut Danner: "Da ist intern Druck auf dem Kessel."

Zeit hat Red Bull keine mehr zu verlieren. Verstappen geht mit einem Vorsprung von 62 Punkten auf seinen Verfolger Lando Norris (McLaren) in die letzten acht Rennen. Was sich recht komfortabel anhört, dürfte in der jetzigen Red-Bull-Verfassung schnell schmelzen. In der Konstrukteurswertung liegt Red Bull sogar nur noch acht Zähler vor McLaren. "Im Moment sind beide Titel unrealistisch", sagt Verstappen.

Wie sollten Rennstall und Fahrer das letzte Saisondrittel angehen? "Man muss sich darauf einstellen, dass man nicht mehr vorneweg fährt und aus der Situation, in der man sich befindet, das Beste machen", so Danner. Verstappen habe immer noch einen großen Vorsprung und er müsse jetzt versuchen, so viele Punkte einzuheimsen, dass es bis zum Ende reiche, sagt der 66-Jährige: "Dass die Ingenieure im Hintergrund arbeiten wie blöd, ist klar. Aber da muss man abwarten, ob die auch wirklich eine Lösung haben oder nur glauben, eine Lösung zu haben."

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Was macht die Konkurrenz?

Parallel kommt es auch sehr darauf an, wie die Konkurrenz sich entwickelt, ob sich Mercedes, Ferrari und McLaren gegenseitig Punkte wegnehmen. Und ob McLaren im Endspurt eine Teamorder für Norris ausruft. "Wenn die bei McLaren konsequent auf Norris setzen, dann wird es viel schwieriger", weiß Danner.

Doch das müsse man abwarten, so der frühere Formel-1-Pilot, der glaubt, dass McLaren mit der Vorgehensweise das Zünglein an der Waage sein wird. "Ich denke, dass Verstappen es irgendwie über die Ziellinie retten wird", sagt Danner: "Aber das Schöne ist, dass solche Sachen Vermutungen sind, die in der Formel 1 2024 regelmäßig durch eine tolle neue Entwicklung ad absurdum geführt werden." Auf diese Entwicklung hofft vor allem Verstappen. Denn mit einem "Monster" wird er den Titel wohl nicht holen.

Über den Gesprächspartner

  • Christian Danner absolvierte zwischen 1985 und 1989 insgesamt 36 Rennen in der Formel 1, daneben fuhr der 66-Jährige unter anderem auch in der DTM und in der WEC. Seit 1998 ist Danner als Co-Kommentator und Formel-1-Experte für RTL im Einsatz.

Verwendete Quellen

  • Pressekonferenzen
  • TV-Übertragung Sky
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