• Oliver Bierhoff hat den Tod von Robert Enke und die Impfdebatte um Joshua Kimmich in einen unglücklichen Zusammenhang gebracht. Er hat sich inzwischen entschuldigt.
  • Was die Debatte zeigt: Es ist Aufklärungsarbeit nötig, um das Bewusstsein für Depressionen zu schärfen, denn oft herrscht bei Außenstehenden Unwissen.
  • Experte Ulrich Hegerl erklärt, wie tückisch die Krankheit ist und warum sich auch die Medien hinterfragen sollten.

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Die Kritik war heftig, das unmittelbare Echo fiel fatal aus. Fehlendes Einfühlungsvermögen wurde Oliver Bierhoff vorgeworfen, mangelnde Sachkenntnis, als der DFB-Direktor zuletzt am zwölften Todestag von Robert Enke mit seinen Aussagen irritierte.

Bierhoff stellte den tragischen Tod Robert Enkes in Zusammenhang mit der Impfdebatte um Bayern-Profi Joshua Kimmich und dem medialen Druck für Ex-Bundestrainer Joachim Löw, warf die unterschiedlichen Themen in einen Topf. "Wenn man dann überlegt, wie auf Jogi eingeprügelt wurde, wie viel Druck auf ihm lastet, wie er an den Pranger gestellt wird. Zuletzt auch mit Joshua Kimmich", sagte Bierhoff. "Natürlich passiert medial immer wieder das Gleiche: Druck wird aufgebaut, es wird polarisiert. Es kommt enorm viel auf die Menschen zu." Zwischen den Zeilen schien es zudem so, als habe er den Moment auch für eine Medienschelte nutzen wollen.

Bierhoff hat sich inzwischen entschuldigt für den schiefen Vergleich und das falsche Bild, das dadurch entstanden ist. Was der Fauxpas aber auch zeigt: Selbst jemand, der sich seit Jahren für die Robert-Enke-Stiftung engagiert, war sich der Tragweite der Worte und des Vergleichs offenbar nicht bewusst, hat dabei nicht genug differenziert, obwohl er sich eigentlich mit dem Thema auseinandersetzt. Beziehungsweise auseinandersetzen sollte.

Wenn die Debatte um die Bierhoff-Aussagen also für etwas gut war, dann dafür, dass sie zeigt: Die Krankheit Depression wird an vielen Stellen immer noch falsch eingeschätzt. Teilweise auch verharmlost, oft auch unterschätzt. Auch zwölf Jahre nach dem Tod von Robert Enke ist klar: Es wurde schon viel erreicht, es muss aber auch noch viel getan werden. Und das nicht nur im Sport.

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Gute Arbeit der Robert-Enke-Stiftung

"Die Robert-Enke-Stiftung hat in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren eine gute Aufklärungsarbeit geleistet, und Depressionen sind im Sport nicht unbedingt mehr tabuisiert als in anderen Bereichen auch. Es gibt aber immer noch sehr viel Fehlwissen", sagt Ulrich Hegerl, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Denn die aktuellen Zahlen sind alles, nur nicht harmlos. In Deutschland leiden jährlich rund fünf Millionen Menschen an Depressionen, also acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Frauen sind dabei stärker betroffen als Männer. Generell gilt: Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist um das Zwei- bis Dreifache erhöht, wenn bereits die Eltern betroffen waren. "Eine Depression ist eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung. Die Schwere sieht man daran, dass es keine andere Krankheit gibt, bei der so viele Menschen Suizid-Versuche begehen, weil sie es einfach nicht mehr aushalten", sagt Hegerl.

Welcher Fehler bei der Auseinandersetzung mit der Krankheit immer wieder gemacht wird

Bei der Auseinandersetzung mit der Krankheit wird immer wieder ein Fehler gemacht: Sie wird nicht als eigenständige Krankheit, sondern überwiegend als Folge irgendwelcher Belastungen wie gesellschaftlicher Druck, Konflikte oder Erkrankungen aufgefasst. Entscheidend ist aber die Veranlagung und liegt diese vor, dann können äußere Faktoren ein Auslöser sein, sie sind aber in den wenigsten Fällen die Hauptursache.

"Faktoren wie der mediale Druck alleine verursachen keine Depression, das ist eine naive Vorstellung der Erkrankung Depression", sagt Hegerl. "Wenn man die Veranlagung hat, rutscht man oft auch ohne äußere Einflüsse in eine Depression." Ohne Veranlagung ist der Mensch dagegen meist in der Lage, bittere und einschneidende Erlebnisse auszuhalten. "Sie leiden deshalb, erkranken deswegen aber nicht an einer Depression", sagt Hegerl.

Depressionen: Aufklärung schreitet nur langsam voran

Warum aber herrscht in der Öffentlichkeit immer noch ein falsches Bild dieser schweren und heimtückischen Krankheit? Denn auch hier sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: 95 Prozent der Menschen glauben, dass Depressionen eine Folge von Schicksalsschlägen, Arbeitsüberforderung, Partnerschaftskonflikten, Verlusterlebnissen und anderen Belastungen sind.

"Man geht vom eigenen Erleben aus und verwechselt dann Depressionen mit dem Zustand, den man aus Zeiten kennt, in denen es im Leben nicht rund läuft. Beim Erkrankten kommt hinzu, dass die Depression das Negative im jeweiligen Leben – und sie findet immer etwas Negatives – vergrößert und ins Zentrum rückt. Der Betroffene und die Mitmenschen glauben dann, dass dies die Ursache sei. Die Bedeutung äußerer Belastungen wird so meist deutlich überschätzt", erklärt Hegerl.

Die Aufklärungsarbeit kommt nur langsam voran. Auch deshalb, weil die Versuchung, vorschnelle Kausalitäten herzustellen, oft groß ist. Ein weiteres Problem ist, dass man den Erkrankten die Depressionen oft nicht ansieht, und oft fehlt dann gleichzeitig auch das Verständnis. "Die Lebenszeit ist um zehn Jahre verkürzt, wenn man eine Diagnose hat", verdeutlicht Hegerl: "Wir haben es mit einer schweren Erkrankung und nicht mit einer Befindlichkeitsstörung zu tun."

Verschiedene Kriterien bei der Diagnose

Um von einer Depression zu sprechen, müssen verschiedene Krankheitszeichen permanent für mindestens zwei Wochen vorliegen. Dazu zählen zum Beispiel die tiefsitzende Unfähigkeit, Freude zu empfinden, zudem Schlafstörungen, ein tiefes Erschöpfungsgefühl, Appetitstörungen mit Gewichtsverlust, die Neigung zu Schuldgefühlen, Hoffnungslosigkeit und oft auch Suizidgedanken.

Oft merken das Umfeld und die Erkrankten, dass etwas nicht stimmt. "Die Erkrankten erkennen sich selbst nicht wieder", sagt Hegerl. Tückisch ist, dass vielen dann die Hoffnung und Energie fehlt, das Problem anzupacken. "Und so vergeht viel Zeit, bis sie in eine gute Behandlung kommen."

Schwierige und wichtige Rolle der Medien

Essenziell ist deshalb auch die Aufklärung, und hier spielen Medien eine wichtige Rolle. Denn oft wird die Depression medial ins Spiel gebracht, wo sie gar nicht hingehört. Bei Terroranschlägen zum Beispiel. Oder wie bei dem Piloten Andreas Lubitz, der 2015 eine Germanwings-Maschine absichtlich zum Absturz brachte.

"Er hat das sicher nicht in einer Depression gemacht, denn diese Menschen haben Schuldgefühle, die haben kein Interesse daran, Unbeteiligte in den Tod zu reißen. Er kann irgendwann im Leben eine Depression gehabt haben, aber das erklärt die Tat nicht", sagt Hegerl. "Bei einer Reihe von Terroranschlägen der letzten Jahre wurde Depression oder andere psychische Erkrankungen fast regelhaft als Grund ins Spiel gebracht und manchmal entsteht der Eindruck, dass so die Gründe für diese Taten in die Psychiatrie entsorgt werden, um nicht gründlicher darüber nachdenken zu müssen."

Das zeigt: Nicht nur bei vermeintlich informierten Beteiligten wie Bierhoff kann es schnell zu oberflächlichen und dahingesagten Rückschlüssen oder falschen Analysen kommen, die der Krankheit nicht gerecht werden und für ein falsches Bild sorgen können. Auch die Medien müssen sich ständig hinterfragen, müssen behutsam mit dem Thema umgehen, verantwortungsbewusst. Denn natürlich ist auch die Berichterstattung über diese Krankheit nicht weniger komplex als die Krankheit selbst. Klar ist deshalb: Es muss immer noch eine Menge getan werden. In allen Bereichen.

Hilfe bei Suizid-Gedanken: Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz). Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.

Verwendete Quellen:

  • Bild.de: Kimmich-Enke-Vergleich tut Bierhoff leid
  • sportbuzzer.de: Zum 12. Todestag von Robert Enke: DFB-Boss Oliver Bierhoff kritisiert Medien
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