Die Niederlage bei Borussia Dortmund ist ein Einschnitt für den FC Bayern und Trainer Carlo Ancelotti. Der Italiener muss jetzt Lösungen finden und auf die richtigen Spieler setzen. Beides ist ihm bisher kaum gelungen.

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Der FC Bayern München ist Zweiter. Was sich nach den vergangenen vier Jahren geradezu grotesk anhört, ist nach dem elften Spieltag der aktuellen Saison Fakt. Das Spitzenspiel bei Borussia Dortmund haben die Münchner nicht nur verloren. Sie waren lange Zeit lethargisch, nicht emotionalisiert genug für ein Spiel dieser Prägung.

Das war beim anderen großen Spiel der bisherigen Saison, auswärts gegen Atlético Madrid, auch schon zu sehen. Auch das ging 0:1 verloren.

"Mit den Händen in den Hosentaschen" würden die Bayern in der Bundesliga Meister werden, hatte Ancelotti einst gesagt. Da redete er über seinen Vorgänger Pep Guardiola und die fast schon unheimliche Dominanz der Mannschaft in der heimischen Liga. Jetzt ist Ancelotti selbst für die vormaligen Beinahe-alles-Gewinner verantwortlich - und bisher kann man nicht behaupten, dass alles nach Plan liefe.

Eine irdische Mannschaft

Die Bayern haben ihre Ausnahmestellung eingebüßt, sie sind wieder eine irdische Mannschaft. Bereits fünf von 17 Pflichtspielen haben die Münchner in dieser Saison nicht gewonnen, die Tabellenführung ist nach 39 Partien erstmals futsch. Das nagt am Selbstverständnis. Und das wirft Fragen auf.

Bayerns Spiel hat sich verändert. Was zu Beginn der Saison recht voreilig und vor allen Dingen nicht belegbar als großer Fortschritt eingestuft wurde, entpuppt sich langsam aber sicher als Fehlinterpretation. Die "neue Freiheit", mit der Ancelotti seine Mannschaft aufs Feld lässt, wirkt sich kontraproduktiv aus.

Es fehlt die Gier, man merkt der Mannschaft an, dass sie ein wenig satt ist und nachlässt. Eine Tatsache, der Guardiola bereits beim kleinsten Anzeichen mit seiner durchaus nervenden, aber erfolgreichen Art entgegengewirkt hat. Dass ein Spieler wie Philipp Lahm sich nach einem Spiel in Sarkasmus hüllt, sagt einiges aus.

Kann man auf Lahm verzichten?

Am Beispiel Lahm lässt sich das etwas schiefe Bild der Bayern derzeit vielleicht am besten festmachen. Der Kapitän wurde vor zwei Wochen im Spitzenspiel gegen Hoffenheim gar nicht eingesetzt, schmorte 90 Minuten auf der Bank.

Danach war er als einer der ganz wenigen Bayern-Spieler nicht auf Länderspielreisen, also bestens ausgeruht. Gegen den BVB drehte Lahm in der zweiten Halbzeit auf seiner Seite immer mehr auf, sein Offensivdrang wurde zu einem Problem für Dortmund - und dann wechselte Ancelotti Lahm trotzdem und völlig überraschend aus. Dementsprechend gereizt reagierte der 33-Jährige nach dem Spiel.

Die Bayern sind abgedriftet vom ihrem Dogma-Fußball der ersten Guardiola-Jahre. Schon der Ex-Coach variierte, setzte vermehrt auf das Flügelspiel, auf Flanken und weichte das permanente Gegenpressing zumindest ein bisschen auf.

Ancelotti hat die Mannschaft mit seinen Ideen bisher noch nicht erreicht, es gibt immer wieder in den Spielen Situationen, in denen ein Teil noch auf Guardiola-Art denkt (und ins Gegenpressing geht), während der Rest tief fällt, um hinten abzusichern. Die Folge sind kratergroße Löcher im Bayern-Verbund, wie man sie unter Guardiola nie gesehen hat.

Kurzfristiger Erfolg und Umbruch

Ancelotti wurde auch deshalb geholt, weil er Mister Champions League ist, diesen Wettbewerb zweimal als Spieler und dreimal als Trainer gewann.

Das ist das ganz große Ziel in dieser oder vielleicht der nächsten Saison. Aber die Bayern befinden sich in einem nicht zu unterschätzenden Umbruch. Die Stars in der Offensive sind häufig verletzt oder nicht ganz auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, Lahm wird spätestens 2018 abdanken, womöglich sogar früher.

Es müssen Strategien entwickelt werden für die Post-Ribéry-Robben-Lahm-Alonso-Ära. Das wird eine Herkulesaufgabe für Ancelotti, der dem kurzfristigen Erfolg verpflichtet ist. Und der in seinen Stationen vor den Bayern nicht als der große Entwickler seiner Mannschaften bekannt wurde.

Vielleicht auch deshalb sucht er jetzt bei festen, ihm bekannten Größen sein Glück. Xabi Alonso jedenfalls ist derzeit sehr weit entfernt von der Form vergangener Tage. Trotzdem durfte der Routinier bisher zehn von elf Bundesligaspiele absolvieren.

Ancelotti in der Pflicht

Die Bayern brauchen wieder mehr Zug in ihrem Spiel. Mehr Überzeugung, mehr Selbstvertrauen und Selbstverständnis und vielleicht auch mehr Arroganz. Dass die Niederlagen in Madrid und Dortmund ein bisschen schön geredet wurden, dass da wie auch bei den Remis gegen Köln, Frankfurt und Hoffenheim das Glück fehlte, mag faktisch richtig sein. Es ist aber nicht Bayern-like, so zu argumentieren. Und am Ende für diesen vom Erfolg verwöhnten Klub nicht zielführend.

Die Bayern brauchen jetzt klare Ansagen auf dem Platz. Dafür ist der Trainer verantwortlich. Ancelotti wählt einen anderen Weg als sein Vorgänger, bei dem bereits in der Vorrunde im Tagesgeschäft Bundesliga klar war, wer (mal wieder) Meister werden würde.
Ancelottis Plan ist offenbar weiträumiger ausgelegt, die Leistungskurve soll im Frühjahr ihren Höhepunkt erreichen. Insofern sind Leistungstäler wie die von Alonso oder Thomas Müller im Herbst gar nicht so schlimm. Wenn man nur daran glaubt, dass es in einem halben Jahr wieder deutlich besser läuft.

Der große Plan steht derzeit aber auf etwas wackeligen Beinen. Und das ist schon ungewöhnlich genug für den FC Bayern.

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