In München herrscht Krisen-Stimmung. Der FC Bayern verlor am Samstagabend mit 0:3 gegen Bayer Leverkusen. Es droht die erste titellose Saison seit 2011/2012. Wir erklären, was die großen Probleme des Rekordmeisters sind.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Oliver Jensen sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Gesamtsituation ist ernüchternd. In der Bundesliga hat der FC Bayern München fünf Punkte Rückstand auf den Tabellenführer Bayer Leverkusen. Im DFB-Pokal sind sie längst ausgeschieden. In der Champions League steht der FC Bayern zwar im Achtelfinale, zählt aber in der aktuellen Verfassung nicht zum Favoritenkreis.

Mehr News zum FC Bayern München

Es gibt mehrere Probleme, die der FC Bayern lösen muss.

1. Problem: Es gibt kaum Führungsspieler auf dem Platz

In schwierigen Phasen gibt es kaum Spieler, die Führung übernehmen und ihre Mitspieler mitreißen. Ausgerechnet die Spieler, die dazu möglicherweise in der Lage wären, ließ Trainer Thomas Tuchel bei der 0:3-Niederlage gegen Bayer Leverkusen zunächst auf der Bank: Joshua Kimmich und Thomas Müller wurden erst in der 60. Minute eingewechselt.

Müller ist ohnehin meist nur noch Reservist. Kimmich wurde bereits im Sommer von Tuchel die Fähigkeit abgesprochen, ein klassischer Sechser zu sein – dabei definiert er sich selbst als solcher. Dies sind nicht die besten Voraussetzungen, um eine Mannschaft anzuführen.

Der Innenverteidiger Matthijs de Ligt, der als potenzieller Führungsspieler gilt, wurde gegen Leverkusen gar nicht erst eingesetzt. Leon Goretzka wiederum pendelte oftmals zwischen Startelf und Ersatzbank hin und her.

Sky-Experte Didi Hamann kritisiert bei "Sky 90": "Tuchel hat Kimmich, de Ligt und Goretzka demontiert. Da musst du dich nicht wundern, wenn du in solchen Spielen keine Führung hast."

Der frühere Bayern-Spieler Stefan Effenberg wiederum merkte beim "Sport 1 Doppelpass" an: "Ich habe nicht verstanden, dass Thomas Müller nicht spielt. In so einem Spiel ist so ein Spieler so wichtig, um die Jungs zu coachen. Oder auch ein Joshua Kimmich, der vielleicht in einem Leistungstief steckt, aber der eine zentrale Figur beim FC Bayern ist. Den musst du in so einem Spiel aufstellen."

2. Problem: Große Diskrepanz zwischen den Leistungen im Training und im Spiel

Tuchel wirkte nach schlechten Spielen oft ratlos und erklärte, seine Mannschaft würde im Training deutlich besser agieren als in den Spielen. Daran scheint tatsächlich etwas dran zu sein.

Nach der Niederlage in Leverkusen sagte Thomas Müller gegenüber "sky": "Im Training zeigen wir deutlich bessere Ansätze, weil wir da mutig sein, weil wir frei Fußball spielen." Im Spiel wäre dies anders: "Mir fehlen bei uns, und da können wir Oliver Kahn zitieren, teilweise die Eier und die Freiheit. Wir haben eine Verkopftheit in unserem Spiel vor allem mit Ball."

3. Problem: Die Unterschiedsspieler Sané und Musiala stecken im Formtief

Leroy Sané galt als der Spieler des FC Bayern, der unter Tuchel am meisten aufblüht. Davon war in den vergangenen Wochen allerdings kaum noch etwas zu spüren. In der Bundesliga traf er zuletzt Ende Oktober, als ihm zwei Tore gegen den SV Darmstadt 98 gelangen. Auch als Vorlagengeber tritt er kaum noch in Erscheinung. Nur eine Vorlage gelang ihm in den letzten fünf Spielen.

Auch Jamal Musiala, der vermutlich der technisch beste Spieler des FC Bayern ist, steckt in einem Leistungstief. In den letzten fünf Spielen gelangen ihm weder ein Tor noch eine Vorlage. Gegen Leverkusen zählte er zu den unauffälligsten Spielern auf dem Platz.

Effenberg sagte: "Musiala ist in einem Tief. Sané fällt so ein bisschen in das alte Muster mit der Körpersprache und steht nicht so richtig unter Dampf."

4. Problem: Großes Verletzungspech

Das Verletzungspech lässt sich beim FC Bayern nicht wegdiskutieren. Über die gesamte Saison brechen immer wieder Leistungsträger weg, sodass die Startelf ständig umgestellt werden muss. Oftmals waren nicht einmal ausreichend Spieler fit, um die Ersatzbank komplett zu füllen.

Momentan fehlen verletzungsbedingt unter anderem Serge Gnabry, Kingsley Coman, Konrad Laimer, Bouna Sarr und Alphonso Davies. So viele Ausfälle lassen sich nur schwer kompensieren.

5. Problem: Tuchel fehlt momentan das taktische Geschick

Trainer Thomas Tuchel gilt zwar als ein hervorragender Stratege, stellte diese Qualität allerdings in der laufenden Saison nur selten unter Beweis. Gegen Leverkusen ließ er in der Verteidigung plötzlich mit einer Dreierkette beziehungsweise Fünferkette agieren, setzte den Rechtsverteidiger Sacha Boey zudem als Linksverteidiger ein.

"Gegen Leverkusen zur Dreierkette zurückzukommen, was in dieser Saison noch gar nicht so gespielt wurde, war für mich unverständlich", sagte Effenberg und fügte hinzu: "Man hat die Verunsicherung gesehen."

6. Problem: Schwaches Abwehrverhalten

Der FC Bayern hat in den vergangenen Jahren viel in die Verteidigung investiert. Drei der sechs teuersten Transfers der Vereinsgeschichte sind aktuelle Abwehrspieler des FC Bayern – und zwar Matthijs de Ligt (ca. 67 Millionen Euro), Dayot Upamecano (ca. 42,5 Millionen Euro) und Min-jae Kim (ca. 42 Millionen Euro).

Dennoch hinterlässt dieser Mannschaftsteil keinen sicheren Eindruck. Beim ersten Gegentor gegen Leverkusen ließen gleich vier Verteidiger einen Querpass im Strafraum durchgehen. Beim zweiten Gegentreffer genügte ein simpler Doppelpass, um die komplette Verteidigung zu überlisten.

In anderen Spielen, in denen der FC Bayern dominanter auftrat und mehr Ballbesitz hatte, waren sie zudem anfällig für Konterangriffe.

7. Problem: Die Abhängigkeit von Kane ist zu groß

Harry Kane ist zweifelsohne ein Top-Transfer. In 21 Bundesligaspielen gelangen ihm bereits 24 Tore. Das Problem ist nur: Trifft Kane einmal nicht, hat die gesamte Mannschaft ein Problem. In vier der vergangenen neun Bundesligaspielen blieb Kane ohne Tor. Drei Partien davon wurden verloren.

8. Problem: Der FC Bayern gewinnt nicht mehr die wichtigen Spiele

Eigentlich gilt der FC Bayern als eine Mannschaft, die vor allem in den entscheidenden Spielen über sich hinauswächst. In dieser Saison scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein.

Die Mannschaft verlor im August den Supercup gegen RB Leipzig mit 0:3, Anfang November das DFB-Pokalspiel gegen den Drittligisten 1. FC Saarbrücken mit 1:2, nun auch noch das wichtige Bundesligaspiel gegen Leverkusen. "Es ist untypisch für diese Mannschaft, die sonst immer da war in großen Spielen", sagte Sportdirektor Christoph Freund.

Ob sich all diese Probleme in naher Zukunft lösen lassen?

Verwendete Quellen:

  • Sky 90, 11.02.2024
  • Sport 1 Doppelpass, 11.02.2024
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.