Die Bayern fliegen gegen Dortmund nicht nur aus dem zweiten Pokalwettbewerb, sondern sehen sich plötzlich grundlegenden Fragen gegenüber. Allen voran Trainer Carlo Ancelotti. Die Reaktion auf die jüngsten Enttäuschungen dürfte eine kostspielige Angelegenheit werden.

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Ist der FC Bayern noch der FC Bayern? Kaum eine Frage wurde am Mittwochabend im Bauch der Allianz Arena hitziger diskutiert. Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß waren eben durch die Mixed Zone in Richtung Bayern-Kabine geeilt, im Schlepptau hatten sie Dortmunds Präsident Reinhard Rauball. Aber der war allenfalls ein Anhängsel, eine Randfigur.

Die Bayern waren das große Thema an einem denkwürdigen Abend, den die beiden besten deutschen Mannschaften geliefert hatten. Der FC Bayern ist innerhalb von acht Tagen aus zwei Pokalwettbewerben geflogen, aus dem Triple wird maximal nur ein Single.

Die deutsche Meisterschaft dürften sich die Bayern trotz der anhaltenden Leistungs- und Ergebniskrise nicht mehr nehmen lassen. In München wird man im Nachgang deshalb von einer ordentlichen Saison reden. Aber die Ziele waren ganz andere.


Negativrekord gebrochen

Es ist noch keine drei Wochen her, da erschienen die Bayern wie eine turmhohe Wand für jeden Gegner, sie strotzten nur so vor Kraft und Wucht und Selbstbewusstsein. Dann kam der erste Verletzte, es folgte der zweite und dritte und vierte.

Der erste heftige Bruch erfolgte mit dem verschossenen Elfmeter von Arturo Vidal gegen Real Madrid. Bis dahin lief alles, trotz der Verletzten, noch einigermaßen glatt - seitdem kassieren die Münchener einen Tiefschlag nach dem anderen.

Das 2:3 gegen Borussia Dortmund bedeutet nicht nur das Scheitern im DFB-Pokal. Es war für einige wenige Spieler auch das letzte Spiel ihrer Karriere überhaupt in einem Cup-Wettbewerb. Und es war der vorläufige Tiefpunkt einer Serie, wie sie die Bayern nur alle Jubeljahre mal erleben. Fünf Spiele hat der Rekordmeister jetzt am Stück nicht mehr gewonnen. Das gab es zuletzt im Frühjahr 1995.

Wo ist der Killerinstinkt hin?

Es hätte nicht so weit kommen müssen gegen den BVB. Die Bayern waren in allen relevanten Statistiken besser. Aber sie versenkten eine Reihe bester Torchancen nicht. Auch das sind die Bayern im Frühjahr 2017: Es fehlte zum wiederholten Male der Killerinstinkt, die Selbstverständlichkeit, einen Fehler des Gegners kaltblütig auszunutzen.

Das war in beiden Spielen gegen Real Madrid schon so und fand seinen Höhepunkt in der Partie gegen den BVB. Es gehört allerdings auch zur Wahrheit, dass diese Bayern nicht mehr die Bayern sind, wie sie Carlo Ancelotti im Sommer vorgefunden hat.

Ancelotti eilte der Ruf voraus, er wäre der Trainer für die entscheidenden Monate, seine Mannschaften würden in der heißen Phase im Frühling erst so richtig auf Touren kommen. Nun hat sich das Schicksal offenbar für eine andere Wendung entschieden.

Es gibt keine Alternativen

Für die Verletztenmisere kann Ancelotti nichts, dass ihm nacheinander alle drei Innenverteidiger wegbrechen und nur halb einsatzbereit zurückkehren, ist ebenso Pech wie die Verletzung des Stammtorhüters und der zwischenzeitliche Ausfall des besten Angreifers.

Warum die Bayern aber keine Alternativen zugekauft haben in dem Wissen, einige neuralgische Positionen nicht doppelt oder doppelt gut besetzt zu haben, bleibt eine zentrale Frage.

Ancelotti hat sich innerhalb einiger Monate in großen Teilen von jenem Fußball abgewandt, den Pep Guardiola dieser Mannschaft in drei Jahren beigebracht hat. Die Guardiola-Bayern waren in ihrer Gesamtheit immer auch mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Diese Basis in verschiedenen Phasen des Spiels, ob bei Ballbesitz oder im Spiel gegen den Ball, verblasste immer mehr.

Lange haben die Bayern dies kompensiert durch ihre überragenden Einzelkönner. Wenn diese aber verletzt oder nicht fit sind und einige andere in der entscheidenden Phase nicht einhundert Prozent ihrer Form abrufen, dann schlägt für gewöhnlich die Stunde der Reservisten. Aber die hat Ancelotti, und das muss man ihm ankreiden, nicht als ein Schattenkabinett aufgebaut, das den höchsten Ansprüchen genügt.


Zu viele Spieler stagnieren

Douglas Costa, Kingsley Coman, Sven Ulreich spielten bei ihren Bewährungschancen ordentlich. Aber das reicht eben nicht. Renato Sanches war nie eine Option, Thomas Müller saß bei fast jedem wichtigen Spiel der jüngeren Vergangenheit zunächst auf der Bank.

Joshua Kimmich, unter Guardiola ein Senkrechtstarter, berücksichtigte der Italiener fast gar nicht mehr. Kimmich ist die Speerspitze jener Spieler, die unter Ancelotti stagnieren, Juan Bernat ist da ebenfalls dazuzurechnen und auch David Alaba - auch wenn der Spiel für Spiel auf dem Rasen steht. Bayerns Wettkampfkader für die Aufgaben in der Königsklasse und im Pokal bestand im Prinzip aus 11 Spielern, auf die Ancelotti blind vertrauen konnte. Alle anderen waren schlicht nicht vorbereitet auf die schweren Aufgaben.

Man muss keine Diskussion um den Trainer und dessen weiteres Wirken beginnen. Aber man wird diese Saison sauber analysieren und auf allen Ebenen die Entscheidungen hinterfragen. Und dann vermutlich zum Ergebnis kommen, dass Ancelotti eine Spur zu sehr verwaltet und zu wenig gefordert und gefördert hat.

Ein teurer April

Und man muss ebenfalls kein Prophet sein zu behaupten, dass dieser April die Bayern eine ordentliche Stange Geld kosten wird. Nicht nur wegen der entgangenen Millionen in Champions League und DFB-Pokal und die Chance, mit dem einen oder anderen Triumph die Saison zu versilbern. Sondern weil die Bayern in der Vergangenheit auf eine enttäuschende Saison gerne auch mit spektakulären Aktivitäten auf dem Transfermarkt reagiert haben.

Vor zehn Jahren wurden die Münchener nur Vierter, sie verpassten die Champions League und mussten tatsächlich im Cup der Verlierer ran. Was folgte, war Powershopping in einer neuen Dimension. Fast 90 Millionen Euro gaben die Bayern aus, ein Heidengeld für damalige Verhältnisse.

Miro Klose, Luca Toni, Franck Ribery, Marcell Jansen, Jose Sosa, Jan Schlaudraff und Hamit Altintiop wurden rangekarrt, dazu Ze Roberto zurückgeholt und später noch Brasiliens größtes Verteidigertalent Breno.

2012, nach der dreifachen Bestrafung durch den BVB und den FC Chelsea, leisteten sich die Bayern mit Javi Martinez ihren bis heute teuersten Transfer der Vereinsgeschichte. Die 40 Millionen von damals werden in diesem Sommer sehr wahrscheinlich fallen.

Die Bayern werden jetzt nicht völlig verrückte Dinge tun. Aber sie werden zuschlagen, der anstehende Umbruch lässt da kaum Spielraum - und in der Summe wohl so viel Geld in die Hand nehmen wie noch nie.


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