Der österreichischen Nationalmannschaft wird bei der EM 2024 unter Ralf Rangnick viel zugetraut. Austria-Ikone Toni Polster erklärt unserer Redaktion dagegen, warum er den Fußball des deutschen Trainers kritisch sieht.

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Es soll für die Austria bei der Fußball-EM 2024 in Deutschland (14. Juni bis 14. Juli) weit gehen. Daran glauben viele Fans in Rot, Weiß, Rot. Wenn Österreich an diesem Montag (21 Uhr) zum Auftakt in Düsseldorf auf Vize-Weltmeister Frankreich trifft, ist die Mannschaft des deutschen Teamchefs Ralf Rangnick schließlich seit sieben Partien ungeschlagen.

Toni Polster mahnt

Und: Von den 14 Länderspielen seit Anfang 2023 hat die österreichische Truppe nur ein einziges verloren - im Oktober bei einem 2:3 (0:1) gegen Belgien. Stattdessen bejubelten die Fans in der EM-Qualifikation klare Siege gegen Schweden (2:0, 3:1) und feierten frenetisch im November in Wien ein 2:0 (1:0) im Test gegen EM-Gastgeber Deutschland. Es folgte ein beeindruckendes 6:1 (2:1) im Vorbereitungsspiel gegen die Türkei.

Doch ausgerechnet einer will bei der Euphorie nicht richtig mitmachen: Austria-Legende Toni Polster. "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Favorit in der Gruppe ist sicher Frankreich. Auch Holland ist wesentlich besser in der Weltrangliste platziert als wir", sagt der frühere Bundesliga-Kult-Stürmer im Gespräch mit unserer Redaktion und meint: "Es wird darum gehen, die Gruppe zu überstehen. Wenn wir das schaffen, ist alles, was dann kommt, eine Zugabe."

Alaba, Schlager und Kalajdzic fehlen

Der heute 60-jährige Polster verfolgt die Nationalmannschaft der Alpenrepublik genau. Der in Wien geborene einstige Bundesliga-Stürmer (1. FC Köln, Gladbach) ist mit 44 Länderspieltoren Rekordtorschütze. Zwischen 1982 und 2000 bestritt er 95 Länderspiele. Als Grund für seine Skepsis nennt er zum einen die Verletzungsmisere des Rangnick-Teams in den vergangenen Monaten.

Abwehrchef David Alaba (31 Jahre, Real Madrid), Mittelfeldstratege Xaver Schlager (26, RB Leipzig), Stürmer Sasa Kalajdzic (26, Eintracht Frankfurt) - alle drei Spieler fehlen wegen Kreuzbandrissen. Bis zu diesen Verletzungen galt die Elf des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) als extrem eingespielte Einheit, mit mehreren Spielern, die fußballerisch geradezu linear bei RB Leipzig und dessen Schwesterklub Red Bull Salzburg ausgebildet wurden.

Mit Alaba und Schlager fallen jetzt jedoch zwei maßgebliche Stützen für die Vorrunde in der Gruppe D gegen Frankreich, Polen und die Niederlande weg.

Vorsichtige Töne vor der EM

"Da diese drei Spieler fehlen, zählt dieses Argument nicht mehr", meint Polster zum Umstand, dass zuvor viele Positionen gegenseitige Abläufe auf dem Platz genau kannten. "Natürlich fehlen uns diese drei Jungs", sagt der langjährige Bundesliga-Profi (1993 - 2000). Jetzt müssten Spieler aus "der Hinterhand" einspringen, "die auch bei guten Vereinen spielen", erklärt der Wiener und zählt für die Abwehr Philipp Lienhart vom SC Freiburg und Kevin Danso (RC Lens) auf.

Dennoch mahnt Polster: "Bei allem Optimismus: Ich warne davor, die Bodenhaftung zu verlieren. Schlager tut sicherlich sehr weh. Wenn ich sagen müsste, wer am meisten fehlt, ist das für mich Xaver Schlager. Er ist mit Konrad Laimer (FC Bayern, d. Red.) sicherlich unser bester Pressingspieler, und er ist unheimlich laufstark."

Ihn soll wohl sein Leipziger Kollege Nicolas Seiwald auf der Sechs ersetzen, damit Routinier Marcel Sabitzer (30, Borussia Dortmund) nach vorne in die Offensive rücken kann. Das Problem: "Seiwald kann nicht diese Konstanz haben, weil er bei Leipzig wenig gespielt hat", erklärt Polster über den "Riesen-Junge, der leider zu wenige Minuten hatte".

Fußball von Ralf Rangnick: Toni Polster ist vor EM skeptisch

In Zahlen: Der 23-jährige Seiwald kam in der vergangenen Saison bei den Sachsen nur in 21 von 34 Bundesliga-Spielen zum Einsatz, obwohl er keine Verletzung hatte. Und: Nur sechsmal stand der Youngster in Leipzigs Bundesliga-Startelf. Auch deshalb war er im ÖFB-Team lange Zeit nur zweite Wahl.

Doch Polster stimmt noch etwas nachdenklich: Rangnicks Fußball.

"Es ist unheimlich schwierig, diese Form von Fußball 90 Minuten lang durchzuziehen", sagt er unserer Redaktion: "Das ist unheimlich kraftraubend und intensiv, das darf man nicht unterschätzen." Was er meint: Österreich spielt unter dem 65-jährigen Rangnick bei Ballbesitz des Gegners einen sehr aggressiven Fußball, setzt den Kontrahenten mit permanentem Pressing unter Druck und versucht, bei Ballgewinn sehr schnell umzuschalten. Gleichzeitig sollen die Offensivleute variabel ihre Positionen verschieben und die defensiven Mittelfeldspieler gemeinsam mit der Abwehr auch im Umschaltmoment stets die Absicherung gegen Konter im Blick haben.

Auftakt gegen Frankreich

Wie kräftezehrend das ist, zeigte der vorletzte EM-Test gegen Serbien (2:1) in Wien, als die Balkan-Fußballer in der zweiten Halbzeit beinahe das Spiel drehten. Jetzt geht es gegen den Turnier-Mitfavoriten Frankreich, dem die Österreicher vor fast genau zwei Jahren in der Nations League ein 1:1 (1:0) abtrotzten. Es war damals das dritte Länderspiel unter Rangnick, der für seinen ÖFB-Job kürzlich sogar ein mögliches Engagement beim FC Bayern sausen ließ. Was ist drin? Polster hofft: "Dass wir was können und dass wir gut drauf sind, ist überhaupt keine Frage."

Über den Gesprächspartner

  • Toni Polster ist ein ehemaliger Spieler und Trainer. Für die östereichische Nationalmannschaft lief er insgesamt 95-mal auf und erzielte dabei 44 Tore, was ihn zum Rekordtorschützen Österreichs macht.

Verwendete Quellen

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