Manchester United war mal der aufregendste Klub der Welt, sein Stadion eine Kultstätte des Fußballs. Von diesem Glanz ist nur wenig übrig geblieben, das rote Imperium wankt. Wie konnte es so weit kommen?

Eine Analyse

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Es gibt viele Gründe, warum sich der FC Bayern zum größten und mächtigsten Verein Deutschlands aufschwingen konnte.

Einer der wichtigsten, vielleicht der wichtigste neben der Tatsache, dass irgendwann Uli Hoeneß Manager wurde, ist: Die Bayern hatten in der Bundesliga über 30 Jahre lang das größte Stadion.

In den 70er-Jahren enteilten die Münchner dem Hauptkonkurrenten aus Mönchengladbach, weil der auf dem Bökelberg nicht einmal halb so viele Fans unterbringen und damit Kasse machen konnte wie die Bayern im schmucken Olympiastadion.

In den 80ern war der Volkspark in Hamburg zu klein und die letzte Umbauphase in Dortmund wurde erst Anfang des neuen Jahrtausends fertiggestellt.

In der Premier League hatte Manchester United immer diesen Bayern-Status inne. Kein Klub hatte ein größeres Stadion, Arsenal, Tottenham, ManCity, Everton oder der FC Liverpool spielten und spielen in Pralinenschachteln im Vergleich zum Old Trafford.

United und sein Theater der Träume waren das Vorzeigeobjekt der frühen Phase des Turbokapitalismus im Fußball, das Hochglanzprodukt der Anfang der 90er-Jahre ins Leben gerufenen Premier League mit den milliardenschweren TV-Verträgen und der Kolonialisierung anderer Erdteile. Der aufregendste Klub der Welt.

Manchester United und sein Stadion bröckeln

Diese Erkenntnis wirkt heute ebenso aus der Zeit gefallen wie das Old Trafford selbst. Es bröckelt und tropft an vielen Ecken und Enden, die Bausubstanz des 1910 eröffneten Stadions ist alt und marode.

Die FIFA hat Uniteds Spielstätte den Status der "internationalen Top-Arena" neulich entzogen. Der rigide Sparkurs der Mehrheitseigner Joel und Avi Glazer macht auch vor dem Old Trafford nicht Halt, was kurzfristig gedacht vielleicht noch irgendwie sinnvoll erscheinen mag und vom Claim "Investitionen in Beine, nicht in Steine" gedeckt wird. Aber schon jetzt ist klar, dass United nicht nur seine Vormachtstellung eingebüßt hat, sondern alsbald auch den Anschluss verlieren wird im Vergleich mit den anderen Klubs der sogenannten Big Six in England.

Arsenal und Tottenham sind längst in größere, modernere Arenen umgezogen, Lokalrivale City ebenfalls. Hier lässt sich neben den TV-Einnahmen und jenen aus dem Merchandising das ganz große Geld verdienen. Im internationalen Vergleich spielen Juventus, die Bayern, Dortmund, Atletico in neuen Arenen, Real Madrid, der FC Barcelona, Inter und Milan haben die Um- oder Neubaupläne für ihre Kultschüsseln längst abgenickt.

Nach Sir Alex Ferguson die große Leere

In England verweigern bisher lediglich Chelsea und vor allem der schärfste Rivale Liverpool eine Neuausrichtung. Aber die Reds haben einen Jürgen Klopp - und den hat United nun mal nicht.

Denn mit der infrastrukturellen Misere geht seit sechs Jahren auch eine sportliche einher. 2013 feierten die Red Devils ihre bislang letzte Meisterschaft, seitdem hat der Klub die wahnwitzige Summe von rund einer Milliarde Euro in neue Spieler und ein paar Trainer investiert.

Das Resultat: Ein zweiter Platz hinter ManCity, mit einem Rückstand von sagenhaften 19 Punkten auf den Lokalrivalen. Die restlichen Platzierungen: Siebter, Vierter, Fünfter, Sechster, Sechster, Siebter.

Die Weltmacht ist zerfallen, und es gibt derzeit niemanden, der einen ebenso ernsthaften wie durchdachten Wiederaufbau anschieben könnte. Man muss kein großer Kenner des englischen Fußballs sein, um zu erkennen, dass der Niedergang unmittelbar verknüpft ist mit dem Abgang von Alex Ferguson.

Der knorrige Schotte hat United zu dem gemacht, was es zwei Jahrzehnte lang war: Ein gefräßiges Monster, das alles und jeden neben sich weggebissen und sich einen Titel nach dem anderen gekrallt hat.

Auf Sir Alex' Konto gehen 13 Meisterschaften und 19 nationale Pokaltitel, drei Europapokaltriumphe, darunter zweimal in der Champions League und zweimal der Gewinn des Weltpokals. Achtunddreißig Titel holte "Fergie" in 27 Jahren als Teammanager, eine unfassbare Zahl. In der Post-Ferguson-Ära waren es bisher schlappe drei: zwei Pokaltitel und der "Trostpreis" in der Europa League.

Abstiegskampf statt Titelrennen?

In England ist die Rolle des Trainers immer noch sehr traditionell und eine andere als etwa in Deutschland oder in Spanien. Der Coach ist für die Mannschaft ebenso verantwortlich wie für die Transfers, viele Klubs verzichten bis heute auf einen Sportdirektor und legen ihr Schicksal zu großen Teilen in die Hände des allmächtigen Teammanagers.

Bei United geht diese ehrwürdige Strategie seit einigen Jahren ziemlich schief. Die Liste der prominenten Fehlinvestitionen ist länger als jene der Top-Transfers, dabei war gerade das eine Spezialdisziplin von Ferguson:

Den richtigen Spieler zur richtigen Zeit zu verpflichten und ihm seinen Platz innerhalb der Mannschaft zuzuweisen. Fergies Nachfolger scheiterten und scheitern daran teilweise spektakulär.

Dem blassen David Moyes folgte die Feel-Good-Übergangslösung Ryan Giggs. Der komplette Kulturwandel vom verspotteten "Trainerroboter" Moyes hin zu Everbody‘s Darling Giggs ging gründlich schief, danach sollte Louis van Gaal die Scherben zusammenkehren und endlich den Neuaufbau initiieren: Mit einem frischen, angriffslustigen Fußball.

Aber Van Gaal bekam nicht die gewünschte Handlungsfreiheit, die Trennung verlief erst geräuschlos, später dann doch noch schmutzig.

Mit Jose Mourinho kam das exakte Gegenstück als Nachfolger, der einen destruktiven Ergebnisfußball spielen ließ. Mourinho strich damit diesen einen zweiten Platz in der Liga ein und er holte die Europa League. Aber Uniteds Spielweise war grauenhaft und irgendwann rebellierten dagegen auch die Spieler.

In Ole Gunnar Solskjaer versucht sich nun schon der fünfte Trainer am Ferguson-Erbe, aber auch der einstige Publikumsliebling droht zu scheitern. Solskjaer verantwortet den schlechtesten Saisonstart der letzten 30 Jahre, der Sieg am Wochenende im Kellerduell gegen Brighton & Hove Albion bringt United vorerst immerhin weg von den Abstiegsplätzen.

Solskjaers Jugenoffensive läuft schleppend

Nach zwölf Spieltagen beträgt der Rückstand auf den FC Liverpool astronomische 18 Punkte, von einer Meisterschaft oder wenigstens dem Einzug in die Champions League redet im roten Imperium derzeit niemand.

Dafür sind die Entwicklungen bei ManCity, den Reds, Tottenham und auch beim Chelsea zu konträr zu denen bei United. Solskjaer versucht sich derzeit an einer Jugendrevolte, ein gutes halbes Dutzend Akademiespieler baut der Norweger in die Mannschaft ein, einer wie Marcus Rashford, ebenfalls aus der eigenen Jugend, ist zwar erst seit drei Jahren fest dabei, jetzt aber schon so etwas wie der große Hoffnungsträger des Klubs.

Bisher läuft Solskjaers Jugendoffensive eher schleppend an, und weil auch die vielen teuren Spieler im Kader wie in den Jahren zuvor schon allenfalls noch stagnieren, ist der Stillstand des gesamten Klubs perfekt.

Woodward und die fehlende Strategie

Der Frust und der Ärger der Fans fokussieren sich deshalb neben den Glazers auch auf Ed Woodward. Der United-Boss im Hintergrund, eher ein Technokrat denn ausgewiesener Fußballexperte, ist zur Zielscheibe geworden.

Ihm wird vorgeworfen, zwar weiterhin das große Finanzrad weiterzudrehen, für die inhaltlichen Bereiche aber keine Lösungen zu haben. United fehlt es in der Tat an einer durchdachten Strategie, die mehr kann, als nur immer mehr Geld auszugeben.

Und so lange der Klub einigermaßen planlos vor sich hin dümpelt und die Konkurrenz dagegen weiter mit Konzepten, schlauen Entscheidungen und Entscheidern operiert, dürfte sich daran auch nicht viel ändern.

Manchester United sollte sich auf weitere magere Jahre einstellen, Real Madrid, Barca oder die Bayern dürften im Old Trafford so schnell wohl nicht mehr vorbeischauen. Stattdessen gastiert demnächst das holländische Mittelklasseteam aus Alkmaar im Theater der Träume. In der Gruppenphase der Europa League.

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