• In einer Münchner Kult-Fußball-Kneipe wird an einem Themenabend eifrig zur umstrittenen WM 2022 debattiert.
  • Die Mutter von BVB-Star Mats Hummels, Ulla Holthoff, beschwert sich über "Katar-Bashing" in Deutschland und zieht einen brisanten Vergleich.

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Darf man sich auf die WM 2022 in Katar freuen? Sollte man als Fan die Weltmeisterschaft im Emirat lieber boykottieren? Auf der Arbeit, in Bus und Bahn, am Stammtisch - Fußball-Deutschland diskutiert darüber, wie es mit dem umstrittenen Turnier (20. November bis 18. Dezember) umgehen soll. Schließlich werden dem WM-Gastgeber zahlreiche Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen vorgeworfen, ebenso die mutmaßliche Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen.

WM 2022 in Katar: Hitzige Diskussion in Münchner Kult-Kneipe

In München gibt es im Stadtteil Maxvorstadt eine Kult-Fan-Kneipe, die gesellschaftspolitischen Fragen seit Langem eine Bühne gibt. So war es auch an diesem Donnerstagabend (17.11.), als die Petra-Kelly-Stiftung und Wirt Holger Britzius im "Stadion an der Schleißheimer Straße" unter dem Titel "WM in Katar - Chance oder Scheitern?" zur Podiumsdiskussion luden.

Unter den Diskutierenden zwischen unzähligen bunten Fan-Schals: die bekannte Sportjournalistin Ulla Holthoff, Mutter von Weltmeister Mats Hummels (Borussia Dortmund). Im Gespräch mit den Buchautoren Jan Busse und René Wildangel ("Das rebellische Spiel - Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die Katar-WM") kritisierte sie eine "Selbstherrlichkeit" und "Arroganz" in Deutschland.

Die 64-Jährige, die einst als erste Frau hierzulande ein Fußball-Spiel im Fernsehen kommentierte, verteidigte Katar entschieden und ging hart mit der deutschen Position ins Gericht. Stichwort "Bestechlichkeit".

Ulla Holthoff kritisiert deutschen Fußball

"Korruption ist kein Alleinstellungsmerkmal von Katar. Das ist im System impliziert", sagte sie und verwies auf den Fußball-Weltverband Fifa sowie die europäische Uefa. So sei auch bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland nicht alles sauber gelaufen, meinte die Mutter des Dortmunder Abwehrchefs.

"Bei uns ist es dann aber keine Korruption, weil das sind wir und das (der Fußball, Anm. d. Red.) gehört zu unserer Kultur. Hier macht es der Kaiser (Franz Beckenbauer, Anm. d. Red.) schon. Bei Katar ist es Korruption", sagte sie.

Holthoff bekam bei dieser These Unterstützung von Nahostwissenschaftler René Wildangel, der im syrischen Damaskus studierte und drei Jahre lang das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah (Palästinenser Gebiete) leitete. Er gilt als Kenner der Arabischen Halbinsel, sprach für sein Buch mit mehreren Quellen von vor Ort.

Katar wolle durch die Austragung der Weltmeisterschaft seinen "Einfluss ins Extreme steigern". Dafür habe das Emirat umfassende Korruption bemüht, erklärte der Historiker und verwies auf entsprechende ARD-Recherchen: "Das Beweismaterial ist erdrückend." Er monierte, dass den Arbeitsmigranten zum Teil die Löhne nicht ausbezahlt würden und dass Katar seine Frauen-Nationalmannschaft nur zum Schein bei der Fifa angemeldet habe.

Im 80.000 Zuschauer fassenden WM-Stadion in Lusail findet das Endspiel der WM 2022 statt

Warum das WM-Turnier in Katar so umstritten ist

Die WM in die Wüste zu vergeben, war 2010 der Kardinalfehler der Fifa, den selbst der damalige Präsident Sepp Blatter zugibt. Katar steht gemeinsam mit korrupten Funktionären am Pranger, weil sich das Emirat nicht um Menschenrechte schert, das Klima zerstört und den Gigantismus auf Kosten ausgebeuteter und getöteter Arbeitskräfte neu definiert.

Autoren-Kollege Jan Busse, der als Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München arbeitete, referierte, dass Katar keine Tradition im Fußball habe. So hätten Ende der 1940er Jahre erstmals englische und indische Mitarbeiter einer britischen Ölbohr-Unternehmung dort gekickt.

Ihre Botschaft an Bundestrainer Hansi Flick

Aber: Auch den Kritikpunkt Tradition ließ Holthoff nicht gelten und nannte die WM 1994 in den USA als Gegenbeispiel. Damals sei es "nie ein Thema gewesen, dass die USA keine Fußballkultur haben", sagte sie und warf Skeptikern in der deutschen Fanszene eine "persönliche Kränkung" vor.

"Es ist Winter und kalt, man nimmt uns unsere Fanmeilen", meinte sie und kritisierte ein angebliches "Katar-Bashing". Deutschland würde vielmehr darum bitten, "dass unsere Firmen dort platziert werden. Die U-Bahn in Katar hat die Deutsche Bahn geplant", erzählte sie. Ihr sei die "Selbstherrlichkeit und Arroganz", mit der Deutschland auf das Emirat zeige, "zu viel".

Man dürfe "nicht immer nur brüllen". Katar sei stattdessen der "erste Staat, der schuldenfrei aus einer WM geht". Und: Während woanders Sportstätten "verrotten, gab es noch nie eine Veranstaltung, die so nachhaltig sein wird", sagte sie. So würden die Stadien zum Beispiel in Gesundheits- und Hochschulzentren zurückgebaut, erklärte Holthoff ihre Sicht. Busse entgegnete mit Verweis auf die aufwändigen Bauten, er sei "skeptisch, was den Klima-Fußabdruck betrifft".

Holthoff hatte noch eine Botschaft an den Bundestrainer parat. "Ich habe aus persönlichen Gründen einen Boykott aller deutschen Spiele beschlossen", erklärte sie. Denn: Ihr Sohn Mats Hummels wurde von Hansi Flick nicht in den deutschen WM-Kader berufen, was die Sportjournalistin entschieden kritisierte.

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So sei der 33-jährige Innenverteidiger des BVB angeblich "wegen Meinung nicht mitgenommen worden. Derjenige, der in Deutschland sachlich und sauber die Leistung seiner Mannschaft kommentiert, wird wegen Meinung nicht mitgenommen", sagte sie und ließ mit Blick auf die weitere Karriere des langjährigen Nationalspielers aufhorchen: "Ich würde tatsächlich, wenn der Mats spielen würde, weil es seine letzte Saison ist, diese Spiele anschauen."

Boykott oder nicht? Die Diskussion zeigte, wie weit die Meinungen auseinander gehen. Holthoffs zweiter Sohn, DAZN-Kommentator Jonas Hummels, moderierte den Themenabend und fasste schließlich zusammen: "Deutschland könnte auch sagen: 'Wir nehmen nicht an dieser WM teil.'"

Verwendete Quelle:

  • Podiumsdiskussion: WM in Katar – Chance oder Scheitern?, Stadion an der Schleißheimer Straße, München
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