Manuel Neuer ist wieder da! Bei seinen Testspiel-Auftritten wirkte es so, als wäre die deutsche Nummer eins nie weggewesen. Ex-Nationaltorhüter Timo Hildebrand sieht dennoch einen ganz bestimmten Punkt kritisch.

Ein Interview

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Nur noch wenige Tage, dann startet die WM 2018 in Russland und es wird das eintreffen, was viele noch vor ein paar Monaten für unmöglich hielten: Manuel Neuer wird aller Voraussicht nach das Tor der deutschen Nationalmannschaft hüten.

Timo Hildebrand stand selbst bei der WM 2006 im Aufgebot des DFB-Teams. Er kann verstehen, dass Bundestrainer Jogi Löw trotz fehlender Spielpraxis an Neuer festhält. Eine Sache dürfe man jedoch nicht unterschätzen, erklärt der Ex-Nationaltorhüter im Interview mit unserer Redaktion.

Mit Manuel Neuer und Kevin Trapp hat Jogi Löw gleich zwei Torhüter für den deutschen WM-Kader nominiert, die – aus unterschiedlichen Gründen - über sehr wenig Spielpraxis verfügen. Wie sehen Sie das – ist das nicht sehr risikoreich?

Timo Hildebrand: Es sind zwei spezielle Fälle. Manuel Neuer hat ewig nicht mehr gespielt, bis auf die letzten zwei Testspiele, aber er scheint nichts von seiner Erfahrung und seiner Spielweise eingebüßt zu haben. Er ist einfach der beste Torhüter und es ist absolut legitim vom Bundestrainer zu sagen: "Ich will den unbedingt in meinem Team haben."

Bei Kevin Trapp freut es mich, dass er dabei ist, aber im Normalfall spielt er keine große Rolle, kommt nicht zum Einsatz. Ich glaube, dass er aber fürs Team wichtig ist als Nummer drei. Er weiß da ganz genau Bescheid, weiß das einzuordnen. Deshalb ist das kein Problem.

Sepp Maier hat in einem Interview mit "FCB.tv" gesagt: "Manuel Neuer verlernt es ja nicht, auch wenn er sieben oder acht Monate nicht gespielt hat. Ich verlerne das Fahrradfahren ja auch nicht." Ist das wirklich so – verlernt ein Torhüter diese Reflexe wirklich nicht?

Im Groben stimmt das schon. Aber natürlich ist es wichtig, einen gewissen Rhythmus und Selbstvertrauen zu haben. Zu wissen, okay, der Fuß ist gesund, aber eben auch in den Spielszenen gut reagieren zu können.

Und da ist es natürlich schon etwas anderes, wenn ich jede Woche spiele. Es geht um ein gewisses Rhythmus-Gefühl, das man einfach braucht. Das darf man nicht unterschätzen.

Reicht es denn wirklich, sich Spielpraxis im Training und in zwei Testspielen zu holen? Kann man da überhaupt mit der gleichen Spannung und Konzentration zur Sache gehen?

Ich glaube, die letzten Prozentpunkte kommen immer erst, wenn es um die Wurst geht. Eine Weltmeisterschaft ist natürlich etwas Besonderes. Da darf man sich keine Fehler erlauben und schüttet doch mehr Adrenalin aus, als wenn man ein normales Freundschaftsspiel macht.

Manuel Neuer ist Kapitän der Nationalmannschaft. Hat er nach seiner langen Abwesenheit überhaupt noch die Autorität, die ein Kapitän braucht – oder haben ihn andere Wortführer wie Mats Hummels oder Thomas Müller inzwischen überholt?

Die Jungs kennen ihn ja trotzdem. Außerdem gibt es heutzutage nicht mehr diese Hierarchie, wie das früher in der Nationalmannschaft der Fall war. Manuel spielt ja mit vielen im Verein zusammen, deshalb glaube ich, es ist kein Problem, dass er jetzt auch als Kapitän zurückgekommen ist.

Und was die anderen Wortführer angeht: Es gibt genug mündige Spieler in der Nationalmannschaft, die sich natürlich weiter äußern dürfen. Da sehe ich überhaupt keine Probleme.

Wenn wir jetzt mal schwarzmalen: Manuel Neuer rutscht im ersten Spiel ein blöder Ball durch – wie, glauben Sie, fällt dann die Reaktion der Öffentlichkeit aus?

So wie die Reaktion immer ausfällt, wenn man schlecht spielt: nicht sehr erfreulich. Dann wissen es wieder alle besser und sagen: "Es war ja klar, dass das nicht gut gehen konnte."

Aber ich möchte nicht schwarzmalen. Ich gehe davon aus, dass Manu seine Leistung bringt. Ich weiß gar nicht, wann er das letzte Mal einen groben Fehler gemacht hat …

Sie sind ja während Ihrer aktiven Zeit von schweren Verletzungen verschont geblieben, können Sie sich trotzdem vorstellen, inwieweit Neuers Psyche und Angst vor einer erneuten Verletzung nun eine Rolle spielt?

Ich selbst fand nach einer Verletzung die Zeit, bis es dann endlich zum Spiel kommt, immer am schlimmsten. Da ist schon viel Kopfkino dabei.

Wenn man dann aber endlich wieder auf dem Platz steht, weiß man, was man zu tun hat, weiß, wie das Spiel läuft.

Klar, jedes Spiel hat besondere Szenen, aber Manuel Neuer macht das jetzt auch schon sein ganzes Leben lang. Deshalb kann er sich auf seinen Körper verlassen. Er trainiert, er ist gesund und er weiß ganz genau, was er zu tun hat.

Ist ein nicht verletzungsbedingter Torwartwechsel für Sie während der WM denkbar?

Nein. Das wäre gleichbedeutend mit einer Absetzung von Manuel Neuer. Das würde bedeuten, dass er auch zukünftig nur noch die Nummer zwei ist.

Das kann ich mir nicht vorstellen, außer im dritten Gruppenspiel, wenn Deutschland schon qualifiziert ist. Aber auch das glaube ich eigentlich nicht.

Viele finden es ungerecht, dass Marc-André ter Stegen, der beim FC Barcelona tatsächlich überragende Leistungen gezeigt hat, nur die Nummer zwei hinter Neuer ist, obwohl der eben nicht gespielt hat. Was hat denn Neuer ter Stegen trotz seiner fehlenden Spielpraxis voraus?

Das ist schwierig. Ich glaube zum Beispiel, dass Marc-André in seinem Alter schon viel weiter ist, als Manu in diesem Alter war.

Es geht da viel mehr um den Status, den sich Manu erarbeitet hat in den ganzen Jahren als unangefochtener Nationaltorhüter. Er ist einfach ein Ausnahmespieler und für ihn gibt es dann natürlich auch eine Sonderregel.

Glauben Sie, dass das auch intern für Unruhe sorgen kann? Ist vielleicht sogar so eine Anspannung wie zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann 2006 denkbar?

Ich glaube nicht. Damals war die Situation sehr viel prekärer und selbst da hat sich jeder dem großen Ziel untergeordnet, Weltmeister zu werden. Das wird auch dieses Mal jeder machen. Die Positionen sind klar verteilt. Da gibt es keinen Stunk.

Welche Rolle nimmt man als Ersatztorhüter bei einer WM ein? Was sind die Aufgaben, die man da hat?

Ich glaube, es ist einfach wichtig zu wissen, wo man im Team steht, keinen Ärger zu machen. Man ist Teil eines Teams, einer großen Mannschaft und muss einfach seinen Job machen. Das ist ein Riesenerlebnis, bei so einer WM dabei zu sein und das sollte man in jedem Fall genießen.

Und nun die finale Frage, um die gerade kein Experte herumkommt: Wer wird Weltmeister?

Gute Frage. Ich hoffe, dass Deutschland Weltmeister wird. In der Vorbereitung deutet zwar wenig darauf hin, aber – auch wenn es abgedroschen ist – Deutschland ist eine Turniermannschaft. Wenn's drauf ankommt, stehen wir parat.

Aber ich würde es auch mal einem Außenseiter gönnen. Einer Mannschaft, die niemand auf der Rechnung hat.

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