König Fußball, so sagt man, regiert die Welt. Also jedenfalls, wenn man entweder die WM 1974 schon live miterlebt hat oder wenn man (so wie ich) in einem derartig fußballbegeisterten Haushalt aufgewachsen ist, dass man sich bereits zur Grundschulzeit sonntags statt Pippi Langstrumpf oder irgendwelchen bunten Ninja-Schildkröten Dokus über längst vergangene Weltmeisterschaften ansehen musste. Oder mit einem Haufen aufgeregt durcheinanderquatschenden interfamiliären Teilzeit-Bundestrainern lautstark abwägen, ob Lothar Matthäus, Franz Beckenbauer oder Matthias Sammer der beste deutsche Fußballer war.

Marie von den Benken
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In einer normalen Grundschule Ende der Neunziger Jahre hießen die Fußballhelden Oliver Kahn, Ulf Kirsten und Jürgen Klinsmann. Oder, wenn man (so wie ich) das Glück hatte, in ein Schwarz-Gelb geprägtes Elternhaus geboren zu werden: Jürgen Kohler, Andreas Möller, Jörg Heinrich, Thomas Häßler, Stefan Reuter oder Steffen Freund. Jens Lehmann, Oliver Bierhoff und Christian Ziege spielten beim AC Mailand, der das Spieljahr 1997/98 mit einem enttäuschenden 10. Platz in der italienischen Liga abschloss. Der aktuelle Meister SSC Neapel, damals als der HSV des italienischen Fußballs unterwegs, stieg im selben Jahr übrigens mit schmächtigen 14 Punkten als Tabellenletzter ab. Es waren andere Zeiten.

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Während ich also in der dritten Klasse mit den Jungs darüber stritt, ob die Trikots von Borussia Dortmund hübscher waren als die von Bayern München oder dem Hamburger SV, anstatt mit den Mädchen darüber, wer die schönste Barbie und die niedlichsten Sommerkleidchen hatte, manifestierte sich eine schräge Liebe zum Fußball in mir. Und mal abgesehen von diesem billigen Rollen-Klischeedenken, mit dem ich Jungs zum Kicken sowie Mädchen zu Püppchen kategorisierte, blieb mir die Liebe zum Spiel bis heute erhalten. Aber keine Angst, das hier ist immer noch ein Wochenrückblick und kein Jahrhundert-Rückblick und daher beschränke ich den Radius der Retrospektive ab dieser Zwischenübersicht wieder konzeptloyal auf die vergangenen sieben Tage.

Es gibt nur 1 Rudi Völler

Kommen wir also zu den aktuellen Geschehnissen. Als Bundestrainer Hansi Flicks etwas unglückliche Ära als Bundestrainer sich nach einer katastrophalen WM 2022 im Jahr 2023 mit einer Niederlagen-Serie gegen Belgien, Polen, Kolumbien und Japan fortsetzte und der einzige Sieg des Jahres vor der EM im eigenen Land ein 2:0 gegen harmlose Peruaner blieb (Doppelschlag von Niclas Füllkrug übrigens, vorbereitet von Nico Schlotterbeck und Marius Wolf, im Prinzip also ein lupenreiner BVB-Sieg), zog der DFB erstmals in seiner fast 125-jährigen Geschichte die Notbremse. Flick wird als erster Bundestrainer in die Geschichte eingehen, der entlassen wurde. Nach einer Performance, gegen die sogar die Klimabilanz eines Porsche Cayenne als Erfolgsstory zählen würde, der ausschließlich mit angezogener Handbremse und Vollgas gefahren wird, keine besonders große Überraschung.

Zur Freude der weiteren knapp 80 Millionen Hobby-Bundestrainer außerhalb meiner Familie ging diese Demission mit einigen bemerkenswerten Nachwirkungen einher. Zunächst natürlich einem Traumszenario für Romantiker: Thomas Gottschalk moderiert noch mal "Wetten, dass..?", bei RTLzwei wird jeden Abend während "Love Island" die Videopremiere von Milli Vanilli angepriesen, Friedrich Merz möchte Bundeskanzler werden und die Rolling Stones gehen wieder auf Tour. Wenn das so weitergeht, bringt Völler beim nächsten Länderspiel Olaf Thon als Libero, Ace of Base landen mit "All That She Wants" den Hit des Jahres und George Clooney kehrt als Doug Ross in den "Emergency Room" zurück.

Wenn Du es nicht kleben kannst, dann Nagelsmann!

Das ist aber noch lange nicht alles. Endlich gibt es auch wieder ein flächendeckendes Gesprächsthema für die Mittagspausen an allen deutschen Arbeitsplätzen und auf allen deutschen Schulhöfen: Wer wird neuer Nationaltrainer? Julian Nagelsmann, den der FC Bayern nur zu gerne von seiner Payroll an den DFB durchreichen würde? Oder Louis van Gaal? Der ist zwar praktisch doppelt so alt wie Nagelsmann und es gab noch nie einen ausländischen Bundestrainer, aber immerhin hat der Tulpengeneral im Spätherbst seiner Trainerkarriere durch seine Netflix-Doku Sympathiewerte wie sonst nur Robert Habeck auf der Jahreshauptversammlung des IVMV (Internationaler Verband Militanter Veganer:innen).

Effenberg zu Bundestrainer: "Kein Freund" von Nagelsmann

Über einen möglichen Bundestrainer Julian Nagelsmann wird weiter kontrovers diskutiert. Beim Sportstammtisch im TV wird gesagt: Die Nationalmannschaft braucht keinen richtig guten Trainer.

Ob sich Nagelsmann mit erst 36 Jahren bereits auf einem gemütlichen Nationaltrainer-Job ausruhen möchte, scheint zumindest fraglich. Zumal er nicht unbedingt als klassisches Nivea-Model durchgeht und sich auch selten die Hand in den Schritt schiebt, um die aktuelle Geruchssituation seiner Gemächtsstruktur zu testen. Womit auch Außenseiter eine Chance auf einen der meistdiskutierten Jobs des Landes haben. Felix Magath etwa. Der lebendig gewordene Medizinball hat als Trainer immerhin drei Mal die Deutsche Meisterschaft und zwei Mal den Pokalsieg errungen – und war vor 20 Jahren Trainer des Jahres. Damals trainierte er den VfB Stuttgart und ließ Spieler wie Philipp Lahm oder Mario Gomez in der Bundesliga debütieren. Lahm wurde später Weltmeister, Gomez immerhin kurzzeitig der beste Freund von Basti Schweinsteiger.

Ebenfalls in der Diskussion: Matthias Sammer (von mir ein "Ja" – vor allem, weil der BVB ihn dann los wäre) und Oliver Glasner (wie Louis van Gaal allerdings kein Deutscher, was traditionell ein Novum wäre – aber warum nicht mal was Neues ausprobieren. Immerhin ist er kein Grünen-Wähler). Ausgerechnet Wunschkandidat Jürgen Klopp hat dagegen bereits via Berater abgewunken. Bliebe noch der frisch als Nationaltrainer in der Türkei gescheiterte Stefan Kunz. Keine Auswahl, bei der man von Creme de la Creme sprechen könnte.

Dementsprechend scheint der DFB inzwischen so verzweifelt zu sein, dass selbst Lothar Matthäus ernsthafte Außenseiterchancen eingeräumt werden. Ja: Genau der Lothar "I look not back, I look in front" Matthäus, der unter Uli "Steuerexperte" Hoeneß und Kalle "Rolex" Rummenigge nicht mal Greenkeeper werden sollte und sich darum beruflich auf die Analyse männlicher Geschlechtsorgane spezialisiert hatte: "Ey Mädels, unser Schwarzer hat den Längsten!"

GNTB – Germany's Next Topbundestrainer

Wer es am Ende wird, ist noch nicht absehbar. Mit dem nächsten Länderspiel in vier Wochen in den USA vor der Brust bleibt allerdings nicht allzu viel Zeit, um sich ausführlich mit 20 Kandidaten auszutauschen. Außer natürlich, Tante Käthe (wie der nicht gendernde Interimstrainer Rudi Völler seit seiner aktiven Zeit genannt wird) hängt noch ein paar Spiele dran. Fußball-Nostalgiker, Paul Breitner und andere Freunde von 60er-Jahre Trendfrisuren würde es sicher freuen. Realistisch scheint diese Variante allerdings nicht zu sein. Völler ist zwar sieben Jahre jünger als van Gaal, scheint sich aber auf dem gemütlichen Funktionärsposten beim DFB ganz kommod eingerichtet zu haben. Die ständigen Mätzchen der heutigen Spielergeneration, die größtenteils seine Enkel sein könnten, sind nichts für den wertekonservativen Weißbier-Rambo, der in seiner ersten Amtszeit als Bundestrainer bereits Kneipenlegende Waldi Hartmann in die ewigen Alkoholwrack-Jagdgründe echauffiert hat.

Aus der Sicht eines Malochers wie Völler, der als Spieler stets über bedingungslosen Einsatz kam und weniger über maradonaesque Filigranität, sind Eskapaden wie eingeflogene Star-Friseure, nächtelange PlayStation-Sessions, Instagram-Selbstbeweihräucherung und Spielerfrauen-Lotto-Toto-Rennquintett vermutlich unangenehmer als Elektroautos für die FDP. Ob ausgerechnet der altersweise Strafraum-Senior Völler noch mal langfristig auf die Trainerbank zurückkehrt, um sich dann mit einem Rudel durchgeknallter 20-Jähriger rumschlagen zu müssen, denen Likes von Lena Meyer-Landrut oder der Echtpelz-Ikone Loredana zuweilen wichtiger erscheinen als Trainingsdisziplin, scheint ziemlich unwahrscheinlich.

Mein Vorschlag wäre daher unkonventionell, aber dafür Erfolg versprechend: Heidi Klum. Das klingt im ersten Moment in etwa so logisch, wie Dieter Bohlen als Feminismusbeauftragten der Bundesregierung zu installieren, aber denken wir mal etwas genauer nach: Heidi Klum kennt sich damit aus, junge Menschen kompromisslos zu Höchstleistungen anzutreiben – aber sie bei wiederholtem Versagen gnadenlos ohne große Diskussion für immer auszusortieren. Sie weiß, wie man Bälle in Szene setzt: Ihre Brüste nennt sie selbst Hans und Franz. Sie kann ihre Stimme in derartige Sphären hochpiepsen, dass die Nationalspieler allein deswegen stets ihre absoluten Topleistungen abrufen würden, um nicht nach der Kabinenansprache mit Hörsturz ausgewechselt zu werden und die Karriere an den Nagel hängen zu müssen.

Darüber hinaus liefert sie regelmäßig Motivationssprüche auf Sepp-Herberger-Niveau ("Wenn du ganz nach oben willst, musst du die Zähne zusammenbeißen"), verlangt als staatlich (und von ProSieben) geprüfte Drill-Masterin stets eiskalte Selbstbeherrschung beim Training ("Ihr müsst hart werden. Ich will nichts schwabbeln sehen"), wird endlich akkurate Wege finden, Spieler wie Thilo Kehrer auszusortieren, ohne ihre sportliche Karriere zu beschädigen ("Hübsches Gesicht, lange Beine – das reicht nicht!") und kann sich nach ihrer langjährigen Feldstudie als ergebnisoffene Dating-Expertin wunderbar in die Bedürfnisse der jungen Kicker hineinversetzen: ("Ich bin auch viel geritten – aber nicht unbedingt auf Pferden"). Also, lieber DFB: Mach et! Dann haben die Fans auch endlich wieder ein Foto für Dich!

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