Eine Woche der Gewinner liegt hinter uns. Wir sind Topmodel. Wir sind Dancing Star. Wir sind Champions League. In kaum einer Woche wurden so viele Titel von internationaler Relevanz vergeben. Und wir, also Deutschland, das Land der Dichter und Denker und Fußballer und Tänzer und Supermodels ganz vorne dabei.

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Okay, es rumort auch ein bisschen bei den selbsternannten Sittenwächtern mit Toleranzlevel aus den 50er-Jahren. Wen die Angst vor Gendersternchen um den Schlaf bringt und wer denkt, in einer klassischen Familie sollte der Mann die Brötchen verdienen und die hübsche Frau zu Hause die Kinder hüten und rechtzeitig Bier und Abendbrot zurechtstellen, den triggert natürlich auch ein Blick auf die Siegerpodeste der vergangenen Tage.

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Ein Transgendermodel gewinnt "Germany's Next Topmodel" - knapp vor einem Curvy-Model und einer jungen Frau, die vor fünf Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen ist. Da kann man schon mal nervös werden, wenn der eigene Wertekanon Schnappatmung bekommt, wenn Riccardo Simonetti einen Fan-Einspieler bei "Friends" einsprechen darf, obwohl weder Ross noch Joey noch Chandler auf Männer stehen.

Hätte der langhaarige Paradiesvogel nicht wenigstens für "Sex and the City" schwärmen können? Immerhin gibt es da die Rolle des in Hollywood so beliebten schwulen besten Freundes.

"Jeder Schwule hat seine Hetero-Helga"

Apropos schwuler bester Freund: Ich habe mal auf einer Berlinale-Party mit einem sehr berühmten homosexuellen Schauspieler Tequila Shots getrunken, bis wir um sechs Uhr morgens die letzten im Raum waren. Dabei hat er mir ein Geheimnis verraten. Ich zitiere im O-Ton: "Jeder Schwule hat seine Hetero-Helga."

Ein Konzept, das auch mir durch meine wilde Partyzeit in Hamburg geholfen hat. Nach einigen schmerzhaften Jahren auf den einschlägigen Szene-Parties, bei denen man stets aufpassen musste, nicht versehentlich von Hamburger Partygrößen wie Dieter Bohlen oder Oliver Geissen in ein unangenehmes Gespräch über kurze Tops und sexy Unterwäsche hineingezogen zu werden, entdeckte ich die sogenannten Schwulen-Partys.

Eine traumhafte Welt eröffnete sich mir. Die ganze Nacht tanzen mit hübschen, gut riechenden, sehr höflichen Männern, die mir ihre Nummer höchstens dann zusteckten, wenn sie ihre Samstage mit mir beim Shopping verbringen wollten. So eine Atmosphäre der Sicherheit gibt es für eine junge Frau sonst eigentlich nur noch auf Fashion Weeks. Da steht man ja auch gerne mal 20 Minuten lang oben ohne in einem Raum voller Männer, aber alle gucken nur auf deine Hose.

Champions-League-Sieg als deutsche Co-Produktion

Aber zurück zum Thema. Als ob nämlich Alex als Gewinnerin bei Heidi Klums Modelakademie für den wertekonservativen Ewiggestrigen nicht schon schlimm genug wäre, gewinnt einen Tag später auch noch ein Isländer bei "Let's Dance". Es ist einfach nicht mehr auszuhalten. Jetzt nehmen uns die Ausländer schon die TV-Trophäen weg. Danke Merkel!

Zum Glück dauerte es nur einen einzigen weiteren Tag, bis alle Fortschrittsallergiker am Samstag ihre Frustration bei einem traditionell urdeutschen Festakt abschütteln konnten: Champions-League-Finale. Ein deutscher Verein schaffte es zwar nicht ins Finale, wohl aber ein Haufen deutscher Exil-Londoner.

Kai Havertz, Timo Werner und Antonio Rüdiger auf dem Platz, Thomas Tuchel als ihr Coach beim FC Chelsea an der Linie. Vier Deutsche, Havertz dazu als Schütze des einzigen Tores. In der Startelf genauso viele Deutsche wie Engländer, da darf man den Champions-League-Sieg des FC Chelsea durchaus mal als deutsche Co-Produktion deklarieren.

Marco Rose wirkt irgendwie ein bisschen wie Armin Laschet

Mit Thomas Tuchel hat nun nach Jürgen Klopp (2019 mit Liverpool) und Hansi Flick (2020 mit dem FC Bayern) der dritte deutsche Trainer in Serie den Henkelpott gewonnen. Noch heute gibt es in und um Dortmund nicht wenige Fans des BVB, die Aki Watzke gerne ein paar Takte dazu sagen würden, dass er Tuchel damals nach Vizemeisterschaft und Pokalsieg entlassen hat. Keine Takte übrigens, für die man einen Lyrikpreis gewinnen würde.

Naja. Borussia Dortmund hat dafür ja jetzt Marco Rose, der mit Borussia Mönchengladbach soeben Achter der Liga geworden ist. Rose wirkt ja irgendwie ein bisschen wie Armin Laschet. Man sehnt sich nach einem Neuanfang, aber so richtig warm wird keiner bislang mit ihm und so langsam fragen sich viele, ob man nicht viel lieber mit dem Amtsinhaber hätte weitermachen sollen.

Darauf habe ich echt keinen Baerbock mehr

Wo wir gerade bei Kanzlerkandidaten sind: Auch Annalena Baerbock scheint nach einem Frühstart in ungeahnte Umfragetriumphe noch vor der heißen Phase des Bundestagswahlkampes wieder brutal auf den Boden der Tatsachen angekommen zu sein. Nachmelde-Skandälchen, Abschluss-Schwäche, von Talkshow-Junkie Frank Thelen zur Spende an "Ein Herz für Kinder" genötigt und dann wendet sich sogar die grüne Hauspresse vom "Spiegel" mit einem kritischen Titel gegen die aufkommende Baerbock-Euphorie.

Da ist man verwundert in den verschiedenen Meinungs-Bubbles. Gerade war man sich doch noch sicher, der "Spiegel" wäre inzwischen für die Grünen, sowas wie der "Vorwärts" für die SPD. Da gelingt der Hamburger Selbsthilfegruppe für Relotious-Geschädigte von der Ericusspitze in der Hafen City der meinungspluralistische Befreiungsschlag.

Einer solch unangenehmen Entwicklung muss man, so steht es im 1x1 der Polit-PR-Profis, natürlich umgehend entgegenwirken. Baerbock entscheidet sich für den Gerhard ("Hol mir mal ne Flasche Bier") Schröder Move und erklärt, sie würde wirklich "sehr gerne grillen, auch mal Fleisch". Ja, das ist wichtig. Schnell Boden gut machen bei den verängstigten Grünen-Phobikern. Weg vom Image der veganen Verbotspartei. Die Kanzlerkandidatin persönlich schmeißt gerne auch mal Würstchen auf den Grill. Also Fleisch im Naturdarm, keine Spieler von Schalke 04.

Max Otte wird Vorsitzender der Werte Union

So viele Gewinner, so wenig Verlierer. Da fällt es sogar kaum ins Gewicht, dass die sich selber als Teil der CDU bezeichnende so genannte Werte Union mit Max Otte jemanden zum Vorsitzenden kürt, der die CDU vor zwei Jahren noch empört Richtung AfD verlassen wollte. Da wächst zusammen, was zusammengehört, denn auch Vorzeige-Bundestagskandidat und CDU-Versöhnungsbeauftragter Hans-Georg Maaßen hat ja bereits damit begonnen, die Union zu einer Art Auffangbecken für frustrierte Ex-AfD-Wähler auszubauen.

Da wird der stets um Abwiegeln und Aussitzen bemühte Kanzlerkandidat Armin Laschet aber zur Ablenkung viele überteuerte aber dafür wenigstens den vorgeschriebenen Normen nicht entsprechende Masken für die NRW-Polizei bei Van Laack, den Buddies von seinem Sohn Joe, kaufen müssen, bis das in Vergessenheit gerät.

Da darf man natürlich gespannt sein, was die kommende Woche bringen wird. Schlägt die gelbe Hand der Liberalität zurück? Die Woche war es nämlich recht still um Christian Lindner. Gut, vielleicht war der mit Mietvertragsverhandlungen mit seinem Vermieter Jens Spahn beschäftigt und konnte nicht so oft erläutern, warum Fridays For Future politische Leichtgewichte sind und die Einhaltung der Klimaziele zwar auch recht wichtig ist, aber nicht so wichtig wie billiges Fleisch aus Massentierhaltung und weniger Mehrwertsteuer für Hotels. Das regelt dann hoffentlich der Markt. Oder die Bundestagswahl. Es bleibt jedenfalls spannend. Bis kommende Woche.

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