Sich in einem Text über einen bestimmten Zustand, eine Person, eine Situation oder ein Unternehmen zu beschweren, nennt man landläufig gerne umgangssprachlich "auskotzen". Im Englischen sagt man "Rant". Fast schon pittoresk altmodisch wiederum zeigt sich die Rückübersetzung vom Englischen ins Deutsche: "Schimpftirade". Schimpftirade ist ein eindeutig zu früh im gängigen Sprachschatz verwelkte Vokabel. Ähnlich wie "anprangern" oder "kommod". Letzteres klingt wie ein Nachtschrank einer schwedischen Leichtbau-Möbelhauskette, die inzwischen primär als Schnellimbiss für skandinavisches Fast Food operiert.
Dieser weitestgehend informationsfreien Einleitung zu meinem heutigen Wochenrückblick folgt sogleich ein flammender Rant/Schimpftirade über die Alltagstauglichkeit der Deutschen Bahn, die sich jahrelang selbst als "Unternehmen Zukunft" feierte. Zu feiern jedoch, das darf man ernüchtert feststellen, gibt es schon lange nichts mehr. Außer natürlich, man gehört zum Top-Management der Bahn und gönnt sich selbst jährlich bemerkenswert üppig ausfallende Millionengehälter und -Boni.
Fachkräftemangel
Für mich als Absolventin von keinerlei Journalistenschule oder Autoren-Akademie ist es besonders wichtig, Texte wenigstens handwerklich geeignet aufzubauen, um das Interesse der Leser und (für Gender-Hasser seien sie, natürlich, hahaha, explizit separat erwähnt) Leserinnen zu wecken und vor allem bis zum Ende des Textes aufrecht zu erhalten. Ich habe mir daher Fachliteratur besorgt. Ich war immer eine Streberin. Am besten geeignet schien mir dafür das Handbuch "Texte schreiben für pfiffige Einsteiger" aus der berühmten Tutorial-Serie, aus der auch Klassiker stammen wie "Fußballnationalmannschaften trainieren wie
In diesem fachliterarischen Bernsteinzimmer der Texterstellung habe ich gelesen: Mit schwachen Argumenten beginnen und dann steigern. Das baut einen besseren Spannungsbogen auf, als mit der krassesten Info direkt in den Text zu starten und dann kontinuierlich abzubauen. Proportional zum Spannungs- und Dramaturgie-Abfall springen nämlich (das weiß jeder, der mal gratis für eine Schülerzeitung geschrieben hat) auch die Leser und Leserinnen ab. Tja, wer hätte das gedacht, oder? Was kommt wohl als nächstes? Je heißer es wird, desto weniger Skianzüge werden getragen?
Zugfahrschaf Marie (Schaf, nicht scharf)
Egal. Ich als Autorinnen-Quereinsteigerin und somit bestenfalls ungelernte Aushilfskraft halte mich selbstverständlich dennoch an diese wertvollen Tipps der besten Autoren der Welt (und
In den vergangenen Wochen bin ich wieder viel Zug gefahren. Ich fahre im Allgemeinen viel mit der Bahn. Selbstlobend möchte ich vortragen, dass ich sogar sehr lange Strecken mit dem Zug fahre, auf denen man üblicherweise eher das Flugzeug nimmt. Auch ich habe das bis vor ein paar Jahren nahezu selbstverständlich gemacht. Nie darüber nachgedacht, dass man auch den Zug nehmen könnte. Warum auch?
Viele Jahre, bevor es mich vom gemütlich-luxuskinderwagendurchseuchten Hamburg Eppendorf ins Avocado-Toast-pulsierende Berlin-Charlottenburg verschlug, war meine mit Abstand häufigste Strecke, die ich sowohl beruflich wie auch privat zurücklegte: Hamburg-Paris-Hamburg. Warum es als sonderbar unkonventionell gilt, diese fast 1.000 Kilometer mit dem Zug statt dem Flieger zurückzulegen, ist leicht erklärt:
Von Hamburg nach Paris mit dem Zug zu fahren ist weniger komfortabel (man muss mindestens einmal umsteigen), dauert deutlich länger und ist dafür im Schnitt dreimal so teuer. Auf dem Papier ein eher hirnrissiges Unterfangen. Wenn man aber mal für drei Sekunden über die Umwelt, die Zukunft, seine eigene Komfortzone, das Klima und die Verkehrswende nachdenkt, merkt man schnell: Flugzeuge sind – trotz immenser Steuervorteile – gar nicht das nachhaltigste Fortbewegungsmittel, das es gibt. Potzblitz, oder?
Naja, lange Rede, kurzer Sinn: Ich fuhr schon oft nach Paris und verpasste dank Verspätungen im ICE nach Dortmund den dortigen Anschlusszug nach Paris, den Thalys. Der Thalys verkehrt nicht im Stundentakt. Ihn zu verpassen ist stets unangenehm und mit sehr viel zusätzlicher Warterei verbunden. Aber auch die rein von der Deutschen Bahn alternativ angebotene Strecke (von Hamburg nach Karlsruhe und von dort nach Paris) ist bei mir noch nicht ein einziges Mal so pünktlich gewesen, dass ich den ursprünglich geplanten Anschluss-ICE nach Paris hätte erreichen können. Und dann fährt der nicht mal – anders als der rote Thalys – zum Gare du Nord.
Darüber hinaus fuhr ich zuletzt oft von Hamburg nach Berlin (eigentlich immer verspätet, aber insgesamt keine so lange Strecke, daher: was solls). Und ebenfalls (Heja BVB) oft von Berlin nach Dortmund. Da wird es schon kritischer. Zuletzt verpasste ich das Heimspiel gegen Heidenheim aufgrund multipler Verspätungsorgien der Deutschen Bahn. Nun gut, könnte man da sagen: Eigentlich eine Serviceleistung, wenn man bedenkt, wie sich Borussia Dortmund im besagten Heimspiel präsentiert hat. Dennoch ärgerlich.
Bermudadreieck Fahrplan Deutsche Bahn
All diese Fahrplan-Mätzchen sind aber gar nichts gegen mein Berlin-München-Abenteuer diese Woche. Um für einen sehr um E-Mobilität bemühten Energieversorger auf der IAA zu sprechen, fuhr ich von Berlin ins schöne politische Heimatdorf von Markus Söder. Die Hinfahrt gestaltete sich wie folgt: Donnerstag fiel mein Zug sowie die meisten anderen Züge aus. Der Bahnhof München war quasi stillgelegt. Die Deutsche Bahn riet allen Reisenden, an diesem Tag auf Fahrten von und nach München zu verzichten. Als brave Stammkundin fuhr ich folgsam wieder nach Hause und buchte meinen Zug auf Freitag 10:30 Uhr um. Auch dieser Zug, das erklärte mir die Bahn-App eine Stunde vor Abfahrt, würde ausfallen. Ich buchte einen alternativen Zug um 15:30 Uhr. Lieber etwas Zeit verstreichen lassen. Man weiß nie.
Zwischenzeitlich meldete sich dann die Bahn-App erneut und teilte mir mit, dass mein ursprünglicher Zug, den sie einige Minuten zuvor als "fällt aus" deklariert hatte, nun doch fahren würde. Mit erst 20, dann 40 und in weiteren lustigen Push-Nachricht-Schritten dann irgendwann 100 Minuten Verspätung. Mir egal, dachte ich, ich hatte ja meinen sicheren Platz um 15:30 Uhr. Haha. Jaja. Pünktlich zu meiner Ankunft am Berliner Hauptbahnhof meldete sich wieder meine Lieblings-App: Zug 20 Minuten verspätet. Ach nee, doch 60 Minuten. Pünktlich zur dann insgesamt knapp 80 Minuten verspäteten Abfahrt meldete die App sich ausnahmsweise mal nicht mit einer weiteren Verspätungs-Hiobsbotschaft, sondern mit einem Gleiswechsel. Hurra. 500 potenzielle Passagiere, die alle bereits mindestens eine Stunde auf Gleis acht ausgeharrt hatten, sprinten hektisch auf Gleis vier. Wo der Zug dann stand – und sogar wenig später abfuhr.
Allerdings nicht wie geplant über Nürnberg nach München. Denn auf der Strecke Nürnberg-München war inzwischen ein Güterzug verendet, der unsere Weiterfahrt verhinderte. Aber halb so wild, weil zum Ausgleich das Bordbistro geschlossen hatte, damit man keine beruhigenden Getränke erwerben konnte. Nach etwas Beratungszeit ging es in einer schönen Bayern-Tour von Nürnberg nach Augsburg und von dort nach München. Das erlaubte schöne Einblicke in die unberührte Natur Bayerns, vornehmlich bestehend aus lustig den verträumt durch ihre Koppel gleitenden ICE anstarrende Kuhherden, und eine weitere Verspätung von knapp einer Stunde. Alles in allem war ich statt Donnerstag gegen 15:30 Uhr dann am Freitag gegen 21:30 Uhr in München. Das gesamte Dilemma des ehemaligen Technologie-Vorreiters Deutschland in 1,5 Tagen durchgespielt.
Back for Good
Und nur, damit es nicht heißt: Okay, das war wirklich viel Pech, aber das ist ja nicht immer so. Ich musste ja auch noch von München nach Berlin zurück. Geplant war das am Sonntag um 11:56 Uhr. Der Zug fuhr mit nur 20 Minuten Verspätung (und damit für Deutsche Bahn Verhältnisse im Grunde überpünktlich) ab. Allerdings mit drei gesperrten Waggons, da dort bei 30 Grad Außentemperatur die Klimaanlage ausgefallen war. Es wurde also recht eng in den verbleibenden Wagen – und auch atmosphärisch etwas schwerfällig, da eine nicht unstattliche Anzahl von Reisenden extra eine Platzreservierung erworben hatten, um über einen sicheren Sitzplatz zu verfügen, nun aber die dazu passenden Waggons gesperrt waren.
Glücklicherweise blieb diese unsägliche Situation aber nur bis Nürnberg so. Da nämlich versagte die Technik und der ICE bliebt zunächst stehen. Nach langen 20 Minuten hieß es, den vorderen Teil des Zuges, der bis Hamburg fahren sollte, würde man wohl wieder flottbekommen, der hintere ICE, der nur bis Berlin geplant war, wäre aber unreparierbar. Die Fahrgäste sollten sich einen Platz im vorderen Teil suchen. Oder noch besser: In den am Gleis gegenüber in 30 Minuten eintreffenden alternativen ICE umsteigen. Die meisten Betroffenen zwängten sich also in einen ohnehin schon überfüllten Nachfolgezug. Andere blieben voller Hoffnung im angeblich reperaturfähigen Zugteil.
Naja, was soll ich sagen: Nach aufregenden weiteren 100 Minuten wurde klar: Der vordere Teil des Zuges war zwar wieder fahrtüchtig, durch einen technischen Defekt am hinteren Zug ließ sich aber der vordere Zug (wieder heile) nicht mehr vom hinteren (defekten) Zug trennen. Ich verbrachte die nächsten Stunden also auf Gleis Sieben im Bahnhof Nürnberg und anschließend im gänzlich überfüllten Nachfolge-Nachfolgezug im Bordbistro, in Schweißnähe zu einem ganz netten älteren Herrn, dem die Hitze merklich zu schaffen machte. Auch geruchsanatomisch ein Erlebnis. Alles in allem brachte mich dieser Zug dann um 18:28 Uhr in den Hauptbahnhof Berlin. Sechseinhalb Stunden statt dreieinhalb Stunden und nur ein ungeplanter Zugwechsel. Auf jeden Fall deutlich schneller als die Hinfahrt. Meine dankbarsten Empfehlungen an dieser Stelle an Volker Wissing und die Deutsche Bahn. Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Woche – und hoffentlich keine Zugfahrt.
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